26.9.2011 - Stuttgarter Zeitung
Stärkung oder Skepsis in Krisenzeiten
Große Hoffnungen haben den Besuch des Papstes begleitet. Bischöfe und Gläubige erwarteten in der Krise eine Stärkung vom Papst, und die reformwilligen Katholiken erhofften sich mehr Offenheit gegenüber den strittigen Fragen. Ein Gespräch mit zwei Vertretern.
Zahlreiche Fernsehübertragungen, große Gottesdienste und viele Presseberichte. Wie bewerten Sie das Echo auf den Papstbesuch?
Bischof Fürst Das Echo ist enorm - und ungleich freundlicher als zuvor von vielen erwartet. Aber auch mit den negativen Reaktionen muss die Kirche offen und unerschrocken umgehen. Die Liveübertragungen haben den Besuch von Papst Benedikt in ein anderes Licht gerückt: Sie haben sichtbar und hörbar gemacht, dass dies für Tausende von Menschen ein unbeschreiblich frohes Fest war, eine Stärkung ihres Glaubens und ihres Kircheseins. Es ist schon sehr beeindruckend, wie stark in einer weithin säkularen Gesellschaft dieser Papst, die Themen, für die er steht, und die Kirche, die er leitet, die Öffentlichkeit bewegen.
Christian Weisner Die Rede im Deutschen Bundestag, der Gottesdienst im Olympiastadion und gestern in Freiburg, das Treffen im Erfurter Augustinerkloster, das sind eindrucksvolle Ereignisse und Bilder. Der Aufwand, der bei dieser Reise betrieben wird, ist enorm. Die Medienberichte zeigen das große Interesse vieler Menschen an Religion, an Kirche und an diesem Papst, der aus Deutschland kommt. Die Frage ist nur, warum viele Menschen in der katholischen Kirche keine Heimat mehr suchen und finden.
Benedikt XVI. hatte vor seiner Reise stark an Ansehen verloren. Hat sich sein Bild nun verändert?
Fürst Die Diskussionen um Papst Benedikt zeigen, dass man sich mit ihm auseinandersetzt, und das ist gut. Ich denke, dass die Eindrücke seines Besuchs manches Vorurteil zurechtrücken können. Sie haben einen klugen, abwägenden, sensiblen Menschen gezeigt, der aufmerksam zuhören und menschlich sehr warm reagieren kann. Und man spürt, dass er als Person authentisch hinter den Positionen steht, die er vertritt.
Weisner Die Zahl der Kirchenaustritte und die Meinungsumfragen liefern ein dramatisches Bild. Nicht nur der Papst, sondern die ganze katholische Kirche hat leider massiv an Ansehen verloren. Das "Wir sind Papst"-Gefühl nach seiner Wahl ist längst einer großen Skepsis oder gar Resignation gewichen, daran hat auch dieser Besuch nichts geändert.
Was sind für Sie die wichtigsten Botschaften und Ergebnisse des Besuchs?
Fürst Ich stehe noch zu stark unter den unmittelbaren Eindrücken, um eine differenzierte Bewertung vorzunehmen. Unbestreitbar ist die Rede vor dem Bundestag es wert, sich intensiv mit ihr auseinanderzusetzen. Für ein herausragendes Signal halte ich die Begegnung mit den Vertretern der protestantischen Kirchen im Erfurter Augustinerkloster. Er hat eine Einheit der Kirchen betont, die im Kern des Glaubens, in der Christusbeziehung, begründet ist. Das führt nicht aktuell zu lehramtlichen Konsequenzen, aber es zeigt eine Würdigung des gemeinsamen ökumenischen Reichtums, die zum Weitergehen ermutigt. Sehr froh bin ich über das Treffen mit Opfern sexuellen Missbrauchs, über die Papst Benedikt mit Erschütterung berichtet hat. Wie ich höre, waren diese Begegnungen von großer persönlicher Anteilnahme geprägt.
Weisner Die Gottesfrage als Leitmotiv seines Besuches herauszustellen ist sicher gut und wichtig. Doch sollten Gotteskrise und Kirchenkrise nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die römisch-katholische Kirche befindet sich weltweit in der größten Krise seit der Reformation. Es ist schon sehr enttäuschend, dass er allen Reformanliegen, die ja auch der Bundespräsident in seiner Begrüßung deutlich angesprochen hat, in der Predigt im Berliner Olympiastadion eine deutliche Abfuhr als "Kirchenträume" erteilt hat. Eine besonders herbe Enttäuschung ist seine Absage an konkrete Fortschritte in der Ökumene, obwohl er nach seiner Wahl versprochen hatte, sich um sichtbare Zeichen der Ökumene zu bemühen.
Welche Veränderungen erwarten Sie nun für das Leben in den Gemeinden und Diözesen?
Fürst Ich erwarte nicht, dass sich dieser Besuch sofort und eins zu eins in messbaren Veränderungen niederschlägt. Aber ich glaube, dass er Impulse setzt, verstärkt darüber nachzudenken: Was bedeutet uns unser Glaube? Wie mutig müssen wir die Herausforderung zu Läuterung, Erneuerung und Reform annehmen, damit wir die befreiende Kraft des Evangeliums zur Wirkung bringen?
Weisner Da sollten wir nicht zu viel erwarten. Ich sehe solche inszenierten Massenevents eher skeptisch. Anders als bei Katholiken- und Kirchentagen finden ja keine wirklichen Begegnungen und kein Dialog statt. Auch der große Weltjugendtag 2005, wo die Grundstimmung noch viel positiver war, hat keine erkennbaren bleibenden Früchte getragen.
Hat der Papst auch Menschen außerhalb der Kirche so mit seinen Botschaften erreicht, dass sich wieder mehr Menschen für die Kirche interessieren?
Fürst Das wird sich erst später zeigen. Wer offen dafür ist, konnte ihn als einen Glaubenszeugen in der modernen Welt von hoher Glaubwürdigkeit erleben. Und ich glaube, dass Papst Benedikt Themen angesprochen hat, die weit über den kirchlichen Radius hinaus wahrgenommen werden: Was gibt unserem Leben Sinn? Welches Verständnis von Freiheit und Verantwortung leitet uns? Das kommt dem Bedürfnis vieler Menschen nach Orientierung entgegen.
Weisner Für Menschen außerhalb unserer Kirche sind viele Symbole und Handlungen schwer verständlich, auch der große Aufwand, der mit diesem Besuch verbunden ist. Ich fürchte, dass seine intellektuellen Ansprachen und Predigten von vielen gar nicht verstanden werden. Das hat man auch schon bei seinem "Wort zum Sonntag" vor einer Woche gemerkt.
Das Gespräch führte Michael Trauthig.
Zuletzt geändert am 30.09.2011