29.9.2011 Wetzlarer Neue Zeitung
"Wir sind schon lange nicht mehr Papst"
Weilburg/ Wetzlar/Dillenburg. Papst Benedikt XVI. ist wieder abgereist. Er hat den deutschen Katholiken die "Vertiefung des Glaubens" empfohlen und zu kirchlichen Reformen geschwiegen. Henny Toepfer (72) aus Dillenburg leitet die Gruppe "Wir sind Kirche" im Bistum Limburg, sie hat das erwartet - und ist trotzdem enttäuscht. "Endgültig" für dieses Pontifikat, sagt Toepfer. Die Ökumene an der Kirchenbasis leben, das will sie trotzdem.
Nach dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland vermissen Katholiken Antworten.
Frau Toepfer, 300 000 Menschen haben den Papst in Deutschland gesehen und gefeiert. Wie hat der Besuch auf Sie gewirkt?
Henny Toepfer: Ich muss sagen, ich hatte keine große Erwartungen. Seit 16 Jahren beschäftige ich mich mit der Gruppe "Wir sind Kirche" in der katholischen Kirche mit der Frage: Wie kann es für uns weitergehen? Ich hatte nur eine leise Hoffnung, dass Papst Benedikt gegenüber den evangelischen Christen ein Zeichen der Versöhnung setzt.
"Orthodoxe schneiden beim Papst besser ab als evangelische Christen"
"Wenn Kirche keine Antwort mehr gibt, dann gehen die Leute", sagt Henny Toepfer. Nach ihrer Meinung hängt das, was die Kirchenleitung Glaubenskrise nennt, eng mit der Krise der katholischen Kirche zusammen. In seinem Papier "Dominus Jesus" hatte er der evangelischen Kirche abgesprochen, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein. Viele waren vielleicht davon ausgegangen, dass er im Augustinerkloster, dort wo Luther noch als ,guter Katholik gewirkt hat, wenigstens einen Satz sagt. Aber da ist nichts gekommen. Es gab keinen Hinweis auf das Lutherjahr 2017, keine Aussicht auf ein gemeinsames Abendmahl in Zukunft. Da schneiden die Orthodoxen bei Papst Benedikt besser ab. Das war meine Erwartung.
Es gab mal eine Zeit, da ging es euphorisch durchs Land: "Wir sind Papst". Ist das vorbei?
Toepfer: Natürlich gibt es Gläubige, die dem Papst zujubeln. Auch bei seinem jetzigen Besuch in Deutschland. Das hat viel von Event-Kirche. An der Kirchenbasis heißt es eher: "Wir sind nicht mehr Papst". Das sagen viele, die die Arbeit in den Gemeinden tragen und die betroffen reagieren.
Mehr Glaube und Treue gegen Rom, weniger Debatte über Kirchenstrukturen - das war eine der zentralen Botschaften des Papstes. Kommt man damit im Kirchenalltag weiter?
Toepfer: Das ist Basta-Politik. Die Debatten-Kultur wird abgewertet. Der Dialog soll mit Gott geführt werden, wer vor Ort versteht das? Das ist der Tenor, und das ist schlecht. Wir brauchen das Miteinander im Gespräch. Die Bischöfe haben genau das - wenn auch manchmal halbherzig - aufgegriffen. Wie der Gesprächsprozess weiter gestaltet wird, bleibt abzuwarten. Wir sind doch mündige Menschen, die gehört werden wollen. Was in der Kirchenleitung seit langem ignoriert wird: Die Glaubenskrise - von der auch Benedikt spricht - hängt mit der Krise der Kirche zusammen. Wenn die Kirchenleitungen keine Antworten geben auf gestellte Fragen und Forderungen der Menschen, verliert sie die Gläubigen. 181 000 Menschen haben die Kirche im vergangenen Jahr verlassen.
"Die Leute lassen den Glauben nicht los, sondern sind irritiert über die Kirche"
Das sind Leute, die nicht vom Glauben loslassen, sondern die höchst irritiert sind über das, was in der katholischen Kirche läuft. Die Missbrauchsfälle waren nur die Spitze des Eisberges. Es geht auch um Macht und um die starre Orientierung auf Rom. Da wird derzeit einiges zurückgedreht. Die Alltagsprobleme - das Miteinander der Christen vor Ort, eine Vision für das gemeinsame Abendmahl zu haben, das Zölibat, der Umgang mit Ehepartner unterschiedlicher Konfession, eine zu verändernde Sexualethik - auf all diese Fragen gibt es keine Antwort. Diejenigen in den Kirchenleitungen, die solche Fragen gestellt haben, scheuen jetzt eine redliche Bilanz.
Verlassen Sie jetzt auch die Kirche?
Toepfer: Nein. Ich bin kritische Katholikin und werde das auch bleiben. Ich habe meine Heimat in der Kirche und würde das nicht aufgeben. Aber es stimmt. Durch solche Äußerungen werden wir zur Randgruppe, werden isoliert, obwohl wir Zulauf haben. Wir sind selbstbewusst und werden unseren Platz in der Mitte der Kirche verteidigen.
Das bedeutet: Die Kluft zwischen Laienbewegung und Amtskirche wird eher größer?
Toepfer: Die Richtung aus Rom wird klar vorgegeben. Ob die Menschen dem nachfolgen, wird sich erst zeigen. Die Bischofskonferenz in Fulda wird sich mit damit auseinandersetzen müssen. Das Ergebnis kann man fast schon erahnen.
Was bedeutet der Besuch für das Zusammenleben von Christen unterschiedlicher Konfession, für die Ökumene?
Toepfer: Trotz der päpstlichen Position wird der Weg der Ökumene vor Ort weiter beschritten. Was ich mit anderen leben will: Ökumene an der Basis. Tun, was uns eint, das ist die große Aufgabe. Das werden wir tun in Limburg, in Wetzlar, in Dillenburg und andernorts. Selbstbewusst und mit der Bibel in der Hand. Wir bereiten in Eibach geraden unseren ökumenischen Gottesdienst vor. Davon lasse ich mich nicht abbringen.
Ich bin mit dem EKD-Präses Nikolaus Schneider ganz einer Meinung: Die Zukunft der Kirchen wird ökumenisch. Die Bischöfe und der Papst wissen gar nicht, wie weit die Ökumene ist....
Zuletzt geändert am 04.10.2011