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Veröffentlicht am 10­.01.2012

10.1.2012 - DPA

Pastor wegen hundertfachen Missbrauchs vor Gericht

Von Michael Evers, dpa

Wieder steht ein Geistlicher wegen Missbrauchs vor Gericht. Das Bistum wollte nichts vertuschen, sondern reagierte prompt auf erste Hinweise. Trotzdem verging der Priester sich noch jahrelang an Kindern. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Braunschweig (dpa/lni) - Den Kommunionsunterricht nutzte ein Geistlicher aus Salzgitter, um das Vertrauen zweier Familien zu gewinnen - anschließend verging er sich über Jahre an deren drei Jungen. Wegen sexuellen Missbrauchs in 280 Fällen muss sich der katholische Pfarrer von diesem Donnerstag an vor dem Landgericht in Braunschweig verantworten. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Der 46-Jährige hat die Mehrzahl der Taten gestanden.

Das Geschehen reiht sich in eine Serie von Missbrauchsfällen in der Kirche. Die Verantwortlichen aber versuchten anders als mitunter früher nichts zu vertuschen. Der Fall illustriert, wie trotz frühzeitiger und mehrfacher Intervention des Bistums der Missbrauch zunächst unerkannt weitergehen konnte.

Bereits 2006 war der Priester ins Visier des Bistums Hildesheim gerückt, weil er mit einem Jungen gemeinsam in einem Bett übernachtet hatte. Nach Protest der Familie wurde ihm ein Kontaktverbot auferlegt, von sexuellem Missbrauch war zunächst nicht die Sprache.

Auf Betreiben des Bistums prüfte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2010 den Vorfall, konnte aber kein strafbares Handeln erkennen. Als der Priester sich nicht an das Kontaktverbot hielt, gab es 2011 eine erneute Ansprache durch das Bistum. Erst aber als die Mutter des Jungen im vergangenen Sommer Anzeige erstattete, brachte die Sonderkommission «Peccantia» (lat. Sünde) die Taten ans Tageslicht. Von einer «Vielzahl regelmäßiger Fälle» sprachen die Ermittler.

Als vor zwei Jahren immer mehr Missbrauchsfälle in Schulen und Gemeinden öffentlich wurden, reagierte die katholische Kirche: Die jahrzehntelange Vertuschung sollte zu Ende sein, null Toleranz bei Missbrauch lautete die neue Devise. Die erst 2002 eingeführten Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt wurden verschärft. Bei jedem Verdacht soll nun automatisch die Justiz eingeschaltet werden. Für Betroffene von Missbrauch in der Kirche startete die Deutsche Bischofskonferenz im April 2010 eine Hotline. Mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann wurde ein Missbrauchsbeauftragter benannt.

Auch das Bistum Hildesheim ging das Thema an, richtete einen Beraterstab mit einer Psychiaterin als Ansprechpartnerin ein, organisierte Schulungen und sicherte Betroffenen Hilfe zu. Reicht das alles aber aus?

«Es ist ein Strukturproblem der katholischen Kirche, dass Priester sich nicht mit Sexualität auseinandersetzen sollen», meint Christian Weisner von der Bewegung «Wir sind Kirche». Stattdessen müsse die Kirche den verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität zum Gegenstand ihrer Priesterausbildung machen. «Die katholische Kirche ist da noch nicht aus den Schlagzeilen heraus», sagt der Sprecher der Basisbewegung. «Man muss Papst Benedikt zugute halten, dass er gehandelt hat, zu spät und zu schwach aber, und er wird zu wenig unterstützt.»

Und den Missbrauchsbeauftragten Ackermann sieht Weisner in keinem guten Licht: «Ackermann ist seit zwei Jahren federführend mit dem Thema betraut, hat in seinem Bistum aber falsch gehandelt.» Kurz vor Weihnachten hatte Ackermann «gravierende Fehler» eingeräumt. Er hatte einen Priester, der sexuelle Kontakte zu zwei Messdienerinnen in den achtziger Jahren zugegeben hatte, nicht sofort beurlaubt.

«Die Hotline und die Überarbeitung der Richtlinien signalisieren eine andere Offenheit der kirchlichen Verantwortungsträger», sagt der Leiter der Hotline, Andreas Zimmer in Trier. «Es haben sich viele gemeldet mit alten Fällen in der Hoffnung, dass sie nun Gehör finden.» Betroffene beobachteten sehr genau, wie die Kirche nun verfahre.

«Das Signal "wir hören zu" erzeugt Erwartungen und führt zum Teil zu Enttäuschungen.» Die Rückmeldung sei, dass einiges noch holprig laufe und verbesserungsfähig sei, aber «es hat vielfach ein Qualitätsentwicklungsprozess eingesetzt, in den die Rückmeldungen der Anrufenden eingeflossen sind», so Zimmer. Bis Mitte November gingen rund 7500 Anrufe bei der Hotline ein, es gab 370 E-Mail-Beratungen mit insgesamt rund 2 500 einzelnen Mails - zumeist ging es um ältere Fälle.

Zuletzt geändert am 10­.01.2012