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Veröffentlicht am 10­.02.2012

10.2.2012 - Publik-Forum

40 Jahre Publik-Forum: 1995 Mister Kirchenvolksbegehren

Wie aus einer Kontaktadresse das Gesicht der Reformbewegung wurde. Christian Weisner hat sein Engagement zum Beruf gemacht »In letzter Minute erreichen uns Informationen, dass dieses Kirchenvolksbegehren auch in Deutschland durchgeführt werden soll«, meldete Publik-Forum im Sommer 1995 (14/1995). Mehrere Initiativen in verschiedenen Bistümern säßen in den Startlöchern. »Auch eine vorläufige Kontaktadresse ist schon gefunden.«

Hintergrund der brandheißen Meldung im Sommer 1995 war das Kirchenvolksbegehren in Österreich. In einer groß angelegten Unterschriftenaktion verlangten die Katholiken von ihrer Kirche umfassende Reformen: die Abschaffung des Pflichtzölibats, die volle Gleichberechtigung von Frauen, Mitsprache bei der Bischofswahl, eine freie Gewissensentscheidung in Fragen der Sexualität. Und diese revolutionäre katholische Initiative schwappte nun auch nach Deutschland über.

Aus der »vorläufigen Kontaktadresse« Christian Weisner in Hannover ist inzwischen eine Lebensaufgabe geworden. 1,8 Millionen Unterschriften sind damals im Briefkasten des hannoverschen Stadtplaners eingegangen, Weisner hat die notariell beglaubigte Zahl zusammen mit den anderen Initiatoren persönlich den deutschen Bischöfen übergeben. Und seitdem ist der Mann mit dem kurzen grauen Bart das Gesicht des Reformkatholizismus in Deutschland, das von den Medien immer wieder zu aktuellen kirchlichen Entwicklungen befragt wird. Weisner hat sich diese Rolle nicht gewünscht, kann die Mediengesetze aber nicht außer Kraft setzen.

Anfangs hat er seinen Beruf als Stadtplaner noch ausgeübt. Mittlerweile hat sich die »Wir-sind-Kirche«-Arbeit zu einer Vollzeitstelle ausgeweitet, die seine Tage ausfüllt, aber dennoch nicht bezahlt wird. In der Kirchenvolksbewegung hat Weisner auch seine Frau kennengelernt und ist zu ihr nach München gezogen. Jetzt arbeitet er ausschließlich für das gemeinsame Anliegen der Kirchenreform – und sie bestreitet den Lebensunterhalt.

Die Forderungen von 1995 sind unerfüllt geblieben. Und nicht nur das, klagt der 60-Jährige: Von der Amtskirche habe es »immer neue Breitseiten« gegeben. Frustriert ist er dennoch nicht. Reformen in einer 2000-jährigen Weltorganisation könne man eben »nicht wie beim Otto-Versand bestellen«, meint Weisner und verweist auf die Schwangerschaftsberatungsstellen von Frauenwürde, das Nottelefon für Opfer sexueller Gewalt und die Reformveranstaltungen auf allen Katholikentagen als Früchte des Kirchenvolksbegehrens. Weitreichende Veränderungen erkennt er vor allem auf der Bewusstseinsebene: »Als Getaufte und Gefirmte lassen wir uns die Deutungshoheit über unseren Glauben nicht mehr aus der Hand nehmen.«

Eva Baumann-Lerch

Zuletzt geändert am 14­.02.2012