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Veröffentlicht am 10­.02.2012

10.2.2012 - Publik-Forum

40 Jahre Publik-Forum: 1972 - Ist die Kirche noch zu retten?

Wenn die katholischen Theologenaufstände und Reformbewegungen erfolglos bleiben, droht die Entwicklung zur Großsekte

Es hat etwas von einer unendlichen Geschichte. »Die katholische Kirche befindet sich mitten in einer vielschichtigen Führungs- und Vertrauenskrise«, stellten im Jahr 1972 katholische Theologen und wenige Theologinnen alarmiert fest. In einer furoremachenden Erklärung »Wider die Resignation in der Kirche«, die Publik-Forum beigelegt war, hieß es weiter: »Viele Menschen leiden an der Kirche. Resignation breitet sich aus« (3/1972).

Nicht anders im Jahre 2011: Von einer »tiefen Krise unserer Kirche« sprechen die Theologieprofessorinnen und -professoren in ihrem Memorandum »Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch«. Und: Es seien – wegen der sexuellen Missbrauchsfälle der Vergangenheit und der von oben verordneten Zusammenlegung der Gemeinden – so viele Christen wie nie zuvor aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dazu könnten die Theologinnen und Theologen nicht einfach schweigen.

»Nicht schweigen«, »selber handeln«, »gemeinsam vorgehen«, »Zwischenlösungen anstreben« und »nicht aufgeben«, lauteten vor vierzig Jahren die Appelle der Theologenzunft. Im Blick waren vor allem strukturelle Probleme: die »Ernennung der Bischöfe im Geheimverfahren«, die »mangelnde Durchsichtigkeit der Entscheidungsprozesse«, die »ständige Berufung auf die eigene Autorität und den Gehorsam der anderen« sowie die »Bevormundung der Laien«. Vermisst wurden damals »große zukunftsweisende Konzeptionen und klare Prioritäten«.

Das ist heute nicht viel anders. Im Memorandum 2011 wird eine stärkere Beteiligung der Laien in allen Feldern des kirchlichen Lebens gefordert, gerade auch in den Gemeinden; eingeklagt werden eine verbesserte Rechtskultur und ein ebensolcher Rechtsschutz, der Respekt vor dem Gewissen des Einzelnen, die Abkehr von einem »selbstgerechten Rigorismus« und eine größere kulturelle Vielfalt in den Gottesdiensten statt »zentralistischer Vereinheitlichung«.

Zwischen den Jahren 1972 und 2011 gab es immer wieder zum Teil spektakuläre innerkatholische Proteste. Nach dem Entzug der Lehrerlaubnis für den Theologen Hans Küng (siehe Seite 10 in diesem Heft) gründete sich zum Beispiel die Initiative Kirche von unten (IKvu), die nach der Devise »selber handeln« den »Katholikentag von unten« ins Leben rief. Der IKvu ging und geht es dabei auch um eine politischere und parteilichere Kirche, aus einer ökumenisch-befreiungstheologischen Perspektive heraus. Heute ist die Bedeutung dieser Initiative innerhalb der Kirchen geringer geworden. Den »Katholikentag von unten » gibt es nur noch in abgespeckter Form, teilweise integriert ins Programm des offiziellen Katholikentages. Denn auch dort will inzwischen eine Mehrheit innerkirchliche Reformen.

Im Januar 1989 war es die »Kölner Erklärung: Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität«, die in der Öffentlichkeit – auch der nichtkirchlichen – für Aufsehen sorgte. Damals beklagten sich 220 Theologieprofessorinnen und -professoren erneut darüber, dass Bischöfe »unter Missachtung der Vorschläge der Ortskirchen« ernannt werden. Sie klagten über die vielen Fälle, in denen Theologieprofessoren die Lehrerlaubnis entzogen würde, was ein »gefährlicher Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre« darstelle. Und sie kritisierten scharf eine unzulässige Überdehnung der lehramtlichen Kompetenz des Papstes, die »Entmündigung der Teilkirchen« und die »Zurücksetzung der Laien in der Kirche«.

Heute sind weitere Reformforderungen hinzugetreten, die vor allem von der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche immer wieder angemahnt werden: die Abschaffung des Pflichtzölibats für die Priester, die Zulassung von Frauen zu Diakonat und Priesteramt und eine Änderung der überholten Positionen in der Sexualmoral.

Den Reformdruck verschärft hat im letzten Jahr die Pfarrerinitiative in Österreich mit ihrem »Aufruf zum Ungehorsam«. Sie will entgegen offiziellem Verbot wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zulassen und Laien im Gottesdienst um Predigten bitten. Grundsätzlich vorstellbar hält sie auch Eucharistiefeiern ohne priesterliche Beteiligung.

Vielen Katholiken stellt sich heute die Frage, ob diese römisch-katholische Kirche überhaupt reformierbar ist. Darum wird es auch im aktuellen, von den deutschen Bischöfen auf fünf Jahre angelegten Gesprächsprozess gehen. Die einen setzen auf den langen Atem und die Hoffnung wider alle Hoffnung. Andere haben längst enttäuscht resigniert und ihre spirituell-religiöse Heimat an anderen Orten gefunden. In der katholischen Kirche haben inzwischen vor allem die Konservativen das Sagen. Und bei den Jüngeren ist die Kirchenreform kein Thema mehr.

Bei all diesen Auseinandersetzungen geht es im Kern um die Frage, wie die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu deuten und umzusetzen sind. Denn damals, in den 1960er-Jahren, blieben zwei Kirchenbilder – das alte autoritär-hierarchische und das neue, egalitärere vom Volk Gottes auf dem gemeinsamen Weg – unverbunden nebeneinander: Ausdruck eines Richtungsstreits, der bis heute anhält. Das Jubiläum in diesem Jahr – fünfzig Jahre Konzilseröffnung – wird diese Auseinandersetzung forcieren. Wenn nichts geschieht, ist der Weg zur Großsekte vorgezeichnet.

Hartmut Meesmann

Zuletzt geändert am 14­.02.2012