15.2.2012 - Süddeutsche Zeitung
Möbelwagen Richtung Vatikan
Bisher war es mit den Gerüchten um den streitlustigen Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller wie mit dem Schnee: Man weiß, dass er kommt, ist überrascht, wenn er kommt, und irgendwann taut er und ist weg. Müller nach Rom? Die Mutmaßung tauchte immer wieder auf, befeuert von Kirchenleuten, die den Abgang des Hirten über die Alpen sehr wünschen – die einen, um ihn loszuwerden, die anderen, weil sie hoffen, dass der einstige Dogmatik-Professor Karriere macht. Müller als Ökumeneminister des Papstes? Das Amt bekam 2010 Klaus Koch, der Bischof von Basel; die Erklärungen aus Regensburg hatten damals einen ironischen Unterton ob der Mutmaßungen der vergangenen Wochen.
Diesmal aber redet der Bischof selbst: Der Papst müsse überlegen, „wer für bestimmte Aufgaben in Frage kommt – da ergibt sich meist ein bestimmter Personenkreis“, sagte Müller der Deutschen Presseagentur. Die Aufgabe, um die es geht, ist: das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation, des obersten Hüters der katholischen Lehre. Joseph Ratzinger hatte es inne, bis er Papst Benedikt XVI. wurde. Natürlich sagt Müller, dass es für dieses Amt keine Bewerbungen gebe, sondern nur Berufungen – in der Kirche gehört zum Fortkommen auch demonstrative Demut. Doch auch in Rom sagt ein Insider, der bislang zuverlässig den Verbleib Müllers in Regensburg prophezeit hat: „Er steht auf der Liste.“
Bis Mitte März, so heißt es, werde über die Nachfolge von Kardinal William Joseph Levada entschieden, dem jetzigen Präfekten der Glaubenskongregation. Und da spricht nun einiges für Müller: In Deutschland mag er der Krawallbischof sein, der sich ständig mit den Reformern von „Wir sind Kirche“ oder mit den katholischen Verbänden streitet, die Medien beschimpft, Konflikte auf die Spitze treibt. In Rom gilt so etwas schlimmstenfalls als lässliche Sünde. Dort sieht man in Müller den belesenen und vielsprachigen Theologen, der schon seit Jahren Mitglied der Glaubenskongregation ist und dessen Werke geradezu musterschülerhaft die katholische Lehre verteidigen.
Den Möbelwagen Richtung Vatikan kann Müller allerdings noch nicht bestellen. Er hat mit Kardinal Jean-Pierre Ricard, dem Erzbischof von Bordeaux, einen gewichtigen Mitbewerber (der vermutlich gerade betont, dass es keine Bewerbungen, sondern nur Berufungen gibt). Vor allem aber hat Müller mächtige Gegner in der Kurie: die Konservativen. Sie kreiden ihm die Freundschaft mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez an, sie misstrauen seiner Universitätstheologie und seinem Eintreten für das deutsche Kirchensteuersystem. Sie ärgert die Härte, mit der Müller gegen die traditionalistische Piusbruderschaft vorgegangen ist, die in Zaitzkofen in seinem Bistum ein Priesterseminar unterhält. Und so tauchen in den italienischen Medien Berichte auf, die Müller als gefährlichen Linken darstellen.
Sollten sich diese Stimmen durchsetzen, bliebe ein weiteres Amt in Rom: Der Posten des Chefbibliothekars wird frei, ein durchaus einflussreiches Amt, verbunden mit der Kardinalswürde. Meist aber bekamen verdiente wie gealterte Bischöfe den Posten – Müller ist da mit 64 Jahren zu jung. Bliebe als dritte Variante: Er bleibt in Regensburg, bis zur nächsten Runde. „Wie es kommt – ich schlafe ruhig“, sagt Clemens Neck, der Sprecher des Bistums.
Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 15.02.2012