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Veröffentlicht am 24­.02.2012

24.2.2012 - Stuttgarter Nachrichten

Wut-Katholiken fürchten den Untergang

Kirchenprotestbewegung mahnt in Stuttgart Reformen an

von Martin Haar

STUTTGART Die Stadt ist offenbar ein gutes Pflaster für Protestbewegungen. Aus der Gruppe des Wut-Bürgers, der durch die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 in aller Munde ist, kristallisieren sich immer neue Bewegungen heraus. Jüngst die streitbaren Wut-Katholiken. „Ecclesia semper reformanda“ nennen sie sich. Und ihr Name ist gleichzeitig Programm: „Die Kirche ist allzeit reformbedürftig“.

Das hat sich Martin Luther auch gedacht, als er auf die Fehlentwicklungen der katholischen Kirche hingewiesen und am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an das Hauptportal der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hat. Dieses Datum jährt sich 2017 zum 500. Mal. Insofern können sich die Wut-Katholiken der Diözese Rottenburg-Stuttgart auf eine reiche Tradition berufen. Gleichwohl haben sie natürlich andere Themen als der große Reformator. Dennoch hatte der Auftritt der Kirchenvolksbewegung durchaus einen Schuss der Luther'schen Symbolik. Sie trugen am Donnerstag Thesen ausgerechnet im Haus der Katholischen Kirche in der Königstraße vor. Und immer wieder fielen dabei Worte wie „Skandal“ oder „Unrecht“, als Protest-Sprecher Heinz Rapp die Römisch-Katholische Kirche und das Oberhaupt Papst Benedikt XVI. – „den Ratzinger“ - so sehr angriff, als gelte es, der Kirche den Teufel auszutreiben.

Protest ausgerechnet im Haus der Kirche

Die Themen der Protestbewegung sind bekannt - in der vorgestellten neuen Broschüre sind es 14 Angriffspunkte. Unter anderem das Unfehlbarkeitsdogma, das Pflichtzölibat, die päpstliche Entscheidung zur Geburtenplanung, das Totschweigen der Priesterkinder, das Beratungsverbot bei Schwangerschaftskonflikten und natürlich die Ungleichhandlung der Frauen innerhalb der Kirche.

Wie gesagt: Das alles ist ebenso wenig neu, wie der Absolutismus-Vorwurf. Neu ist jedoch eine düstere Prognose: Der Kirche drohe der Untergang, so Rapp, wenn sie keinen Aufbruch wage. Indizien dafür seien eben auch in Stuttgart erkennbar. Erst Anfang Februar hatte Stadtdekan Christian Hermes ernüchternde Zahlen präsentiert. Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in der Stadt nimmt bedrohliche Züge an – immer weniger Menschen suchen ihr Heil in den Kirchen. Nach Meinung von Heinz Rapp sei daran auch Rom schuld: „Die Leute denken, dass sich seit 40 Jahren nichts verändert hat, auch deshalb ist die Zahl der Mitglieder so rapide geschrumpft.“

Rom sei auch an Schwund an Mitgliedern in Stuttgart schuld

Ein Heilmittel dagegen haben allerdings auch die Wut-Katholiken nicht. Im Gegenteil. Die Zahl ihrer Forderung (Gewaltenteilung, mehr Transparenz und Dialogbereitschaft) steht im krassen Gegensatz zu ihren konstruktiven Vorschlägen. In ihrer Broschüre räumen sie ein: „Wir können kein Konzept für eine glaubwürdige Kirche in der Nachfolge Jesu auf dem Weg z Reich Gottes liefern.“

Dass Kirche dennoch spannend und attraktiv sein kann, zeigte zuletzt der Benediktiner Anselm Grün mit seinem Vortrag „Jesus als Therapeut“. Die Stiftskirche war voll. 900 Menschen klebten an den Lippen von Grün. Für Rapp ist das ein Hinweis darauf, „dass die Verkündigung beider Kirchen nicht mehr der Zeit entspricht“. Dagegen fühlt sich die Kirchenprotestbewegung am Puls der Zeit. Der Ort des Protestes passt jedenfalls: In Stuttgart hat sich schließlich der Wut-Bürger etabliert.

Zuletzt geändert am 02­.03.2012