18.3.2012 - Nassauische Neue Presse
Veränderung braucht Widerstand
Das Wort des Papstes und der Bischöfe ist in der katholischen Kirche Gesetz. Muss aber nicht sein. Für den Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach gehört zur Zukunft der Kirche: Aufatmen, aufstehen, verändern: Zivilcourage.
Professor Dr. Friedhelm Hengsbach (2.v.l.) mit dem Sprecherteam von "Wir sind Kirche" mit (v.l.) Georg Kohl, Henny Toepfer, Peter Auras und Hubertus Janssen. Foto: Laubach
Von Johannes Laubach
Limburg-Eschhofen. Professor Dr. Friedhelm Hengsbach (2.v.l.) mit dem Sprecherteam von Professor Dr. Friedhelm Hengsbach (2.v.l.) mit dem Sprecherteam von Professor Dr. Friedhelm Hengsbach (2.v.l.) mit dem Sprecherteam von "Wir sind Kirche" mit (v.l.) Georg Kohl, Henny Toepfer, Peter Auras und Hubertus Janssen. Foto: Laubach. Einen neuen Aufbruch wagen, das haben sich die Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zum Ziel gesetzt. Doch es gibt nach Einschätzung von Professor Dr. Friedhelm Hengsbach keine wirkliche Analyse darüber, was zu den Fällen des sexuellen Missbrauchs geführt hat, warum die Übergriffe über viele Jahre vertuscht wurden.
"Es gibt Antworten auf Fragen, die nicht gestellt werden, und es gibt Fragen, auf die es keine Antworten gibt", umschreibt Hengsbach den Umgang der Kirchenleitung mit Teilen der Basis. Statt offensiv über den Schwund von Mitgliedern, die Verwendung von Geld und die Auswahl der Kandidaten für ein männliches, sexuell abstinentes und weihebasiertes Amt zu diskutieren, würden die Fragen aus den Gemeinden "zugemüllt".
Die Analyse vom Zustand der katholischen Kirche auf dem Frühjahrstreffen der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" in Eschhofen ist schonungslos. Hengsbach kann sich die deutlichen Worte erlauben; er ist nicht in die kirchliche Hierarchie eingebunden, ist unabhängig. Ganz im Gegensatz zu denen, die im aktiven Dienst der Kirche stehen. "Offen reden können nur Leute, die nicht in Abhängigkeit zum Bischof oder zur Bistumsleitung stehen", beschreibt Hengsbach die Situation. Bei ihm sei das etwas anderes, er genieße eine Art Narrenfreiheit.
Ziviler Ungehorsam
"Wenn Reformen nicht von oben kommen, dann bleibt nichts anderes als der Widerstand, als die Reform von unten", gibt Hengsbach den rund 100 Besuchern des Frühjahrstreffens mit auf dem Weg in ihre Gemeinden. Ziviler Ungehorsam und passiver Widerstand sind nach seiner Einschätzung auch Zeichen der Autonomie des Gottesvolks und notwendig, um die "Strukturen der Sünde" zu überwinden.
Hengsbach war Professor für Christliche Sozialwissenschaft beziehungsweise Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt und leitete 14 Jahre das Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Moderator Karl-Josef Schäfer stellte ihn als "Deutschlands anerkanntesten Sozialethiker" vor.
"Warum sollen wir auf den Priester, den Bischof oder den Papst warten, wenn wir Eucharistie feiern?", fragt Hengsbach. "In der Bibel heißt es: Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Die Kirche habe sich mit ihrer Struktur über die Jahrhunderte vieles angeeignet, was im Ursprung der Jesus-Bewegung keineswegs angelegt gewesen sei. Und selbst das Werden der Kirche habe nicht zwangsläufig zur heute herrschenden hierarchisch-patriarchalischen Struktur führen müssen. "Es war nicht immer so, dass die Kirchenleitung bestimmt hat, was Kirche ist", sagt Hengsbach.
Vier Forderungen des Kirchenvolks hält der Jesuit für vollkommen berechtigt: - Das Recht der Amtsträger, also der Priester, einen eigenen Lebensentwurf und eine eigene Lebensform gemäß ihren Interessen zu wählen – also kein Zwangszölibat.
- Das Recht katholischer Frauen zu allen entscheidungsrelevanten kirchlichen Ämtern.
- Das Recht auf Beteiligung des Kirchenvolks an allen Strukturentscheidungen kirchlicher Amtsträger.
- Das Recht auf Kontrolle der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung durch eine Vertretung des Kirchenvolks, die Auflösung autokratischer Machtverhältnisse, die Wahl sämtlicher kirchlichen Ämter auf allen Ebenen durch das Kirchenvolk und dessen Vertreter sowie die zeitliche Beschränkung kirchlicher Ämter.
Keine Bewegung
In der anschließenden Diskussion ging es vor allem auch um die praktische Umsetzbarkeit der Zivilcourage. Herbert Schuld aus Mengerskirchen wies darauf hin, dass die aktuelle Zentralisierung der Pfarrgemeinden lediglich eine Mangelverwaltung sei (Anpassen an die Zahl der Priester), die Ursachen der Krise jedoch nicht hinterfragt würden. Es stelle sich die Frage, was konkret in den Gemeinden unternommen werden könne, um Kirche zu verändern.
"Die Bischöfe rufen auf zur Bewegung, bewegen sich jedoch selbst nicht", skizzierte Hengsbach die von oben verordnete Zentralisierung, die in den Bistümern keineswegs einheitlich verlaufe. In den zentralisierten Pfarreien werde der Pfarrer zum "Sakramentenmaschinisten", so Hengsbach, wobei die neue Organisationsform für ihn auch der Ausdruck eines klaren Kontrollwillens ist.
Wer Kirche anders verändern wolle, der könne als Einzelner nicht viel bewegen, wichtig sei ein Zusammenschluss, die Bildung von Gruppen, die Schaffung von Mehrheiten in den Pfarrgemeinderäten, die Diskussionen in Familien und Familienkreisen. "Es darf nicht im Herzen und in der Stille bleiben", verdeutlicht Hengsbach, Öffentlichkeit sei wichtig, denn nur darauf reagiere die Bistumsleitung.
"Müssen wir nicht aufpassen, dass wir in die Gehorsamkeitsfalle zurückfallen?", fragte Hubertus Janssen, Pfarrer im Ruhestand. Nach Einschätzung von Hengsbach ist Gehorsam an Autorität gebunden, die Autorität wiederum an das Gemeinwohl. Werde das Gemeinwohl nicht bedacht oder sei es gefährdet, dann seien Ungehorsam und Widerstand durch das Volk Gottes angebracht. "Ein Bischof kann doch keine Unfehlbarkeit für sich beanspruchen", sagte Hengsbach und forderte dazu auf, sich die Kirche wieder anzueignen, die dem Volk Gottes entzogen worden sei.
"Die Kirche hat sich noch nie von oben erneuert, sondern immer von unten", resümierte Henny Toepfer als Sprecherin von "Wir sind Kirche" Hengsbachs Analyse und Aufforderung sowie die anschließend Diskussion. Und sie nehme den klaren Auftrag wahr: Glauben bedeutet handeln. (jl)
http://www.fnp.de/nnp/region/lokales/limburg-lahn/ver-nderung-braucht-widerstand_rmn01.c.9691697.de.html
Zuletzt geändert am 19.03.2012