23.3.2012 - Publik-Forum
Können Katholiken Revolution?
Diese Kirche ist ein Fall für die Krankenstation. Körperlich ist sie geschwächt, seelisch angeschlagen. Und als würde das nicht schon reichen, mangelt es ihr auch noch an Einsicht in die Ursache ihres Problems. Was soll man mit so einer Patientin nur machen?
Wer sich die römisch-katholische Kirche als Bettlägrige vorstellt, kann sich gut in ihre Not einfühlen. In Westeuropa laufen ihr die Gläubigen davon. Allein in Deutschland erklärten seit der Aufdeckung der Missbrauchsskandale Hunderttausende ihren Austritt. »Die Kirche will, sie muss sich neu erfinden. Aber wie?«, fragte vor Kurzem Daniel Deckers in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auf die Frage aller Fragen geben in Österreich mittlerweile Hunderte von Priestern eine klare Antwort: »Es gibt keine Hoffnung mehr auf Reformen; es gibt nur den Aufstand. Denn die Kaste sitzt auf ihren Privilegien, die sie nicht aufgeben will.«
So unmissverständlich formuliert es der Anführer der österreichischen Pfarrer-Initiative, Helmut Schüller. Mit der »Kaste« meint er die Bischöfe und Kardinäle, die Generalvikare und Dompröpste, kurz all jene, die »oben« sitzen und sich für »unten« immer weniger zu interessieren scheinen. »Wir haben die Vermutung, wenn nicht sogar die Gewissheit, dass die Bischöfe die Pfarren aufgegeben haben«, sagt Schüller unumwunden. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn habe es ja eindeutig formuliert: Die schwindenden Priesterzahlen seien eigentlich kein großes Problem, denn er brauche »nur mehr die Hälfte der Priester, weil auch nur mehr die Hälfte der Leute zu den Gottesdiensten kommt«. Damit, findet Schüller, verdränge der Kardinal, dass das Leben der Kirche nicht nur aus Eucharistiefeiern bestehe. Zum anderen frage er sich offenbar nicht, warum die Leute wegblieben und wie man das ändern könne.
Wie wird ein katholischer Österreicher, ein katholischer Deutscher künftig leben? Radikale Veränderungen müssen bewältigt werden. Die Kirchenleitung hat sich nämlich überall ziemlich ähnlich entschieden, wie sie mit der schwindenden Zahl ihrer Schäfchen umgehen will: Die »Gemeinde XXL« ist zur Lösung deklariert worden. Immer mehr Pfarreien werden zusammengelegt. Weite Strecken sind zurückzulegen, wenn am Wochenende das Bedürfnis nach einem Kirchengang aufkommen sollte, nach einem Priester am Altar. Erlaubte Alternativen zur Messe wird es nicht geben. Wo kein Priester ist, ist auch keine Kirche: So verstehen fast alle Bischöfe in Deutschland und Österreich offenbar die Welt des Christentums im 21. Jahrhundert. Manche formulieren es elegant, manche hart, dass sie keine eigenmächtigen »Christentumsversuche« bei »denen da unten« wünschen.
Ein Beispiel für mangelnde Eleganz in der Wortwahl ist der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa. Bis zum Jahr 2025 will er die rund 1000 Pfarrgemeinden seiner Diözese zu 200 zusammengelegt haben. Über die Hälfte der aktiven Priester seines Bistums ist heute schon über siebzig. Trotzdem will er »seinen« Katholiken keinen Ausweg lassen: Sie sind gehalten, am Wochenende an einer priesterlichen Eucharistiefeier teilzunehmen. Punktum. In derselben Verlautbarung der Diözese, in der die XXL-Gemeinden gepriesen werden, verbietet der Bischof Wortgottesdienste - für die es keinen Priester braucht - an Sonn- und Feiertagen. So werde man »das kirchliche Leben in den Dörfern und Städten sicherstellen«, heißt es. Mit anderen Worten: So will der Bischof dafür sorgen, dass »Kirche« nach seinen Regeln abläuft. Am zweiten Fastensonntag protestierten gegen diese Lösung mehr als 150 Gemeinden. Ihre Aktion: eine Kirchen-Umarmung. Um manches Gotteshaus wurden gleich mehrere Menschenketten gebildet, weil so viele Katholikinnen und Katholiken zeigen wollten: »Wir möchten unsere Kirche behalten!«
Dass Protest die Form eines Happenings annehmen kann, ist ziemlich überraschend in der Welt des bürgerlichen Katholizismus. Es muss viel passiert sein in den Köpfen der Leute. Im Bistum Augsburg hielten sich ältere Damen, junge Frauen, Herren in schwarzen Anzügen und Jugendliche an den Händen, um »ihre« Kirche symbolisch zu schützen. Ob das das Herz des Bischofs berührte? Er reagierte wenig empathisch. Reinhold Lappat, Dekan des Ostallgäus, hatte laut gesagt, dass es doch künftig weiter Wortgottesdienste geben, die Gemeinde vor Ort lebendig bleiben müsse. Zdarsa forderte ihn daraufhin auf, sein Amt abzugeben. Auf die Flut von Solidaritätsbekundungen für Lappat hatte er keine Antwort.
Was im Bistum Augsburg geschieht, ist keine Ausnahme. In anderen Bistümern - zum Beispiel in Köln und Limburg - läuft es ähnlich. Der Klerus schottet sich ab gegen die Laien, die als Gegner wahrgenommen werden. Wilhelm Schraml, Bischof von Passau, hat seine geweihten Kollegen jüngst zum Zusammenhalt aufgerufen. Tendenzen zum »Ungehorsam der Leute« müsse entgegengewirkt werden. In einer Zeit der Krise müsse sich jeder fest in Gott verwurzeln, dann sei Rettung möglich.
Kann es ein augenfälligeres Bild für den »Patienten Kirche« geben, dem es an Einsicht mangelt? Ein derart desolates Bild hat der Klerus in der Kirchengeschichte Westeuropas letztmalig zur Zeit der Reformation abgegeben. Die Kirchenleitung reagierte auf die Reformer mit Verweigerung. Eine Kirchenspaltung war die Folge. »Qualitätsmangement«, sagt Christian Weisner, Sprecher der Basisbewegung Wir-sind-Kirche, hieß damals »hierarchische Aufsicht, straffe Organisation, Absicherung der Macht«.
Sollte es heute wieder so sein? Der Theologe, Philosoph und Priester Eugen Biser hat einst den Begriff des »vertikalen Schismas« zur Beschreibung der katholischen Kirchenstruktur verwandt. Der Klerus hier, die Laien dort, einander misstrauisch beäugend. Die österreichische Pfarrer-Initiative möchte diesen Zustand endlich beenden. Doch wie kann das Ziel, »die lebendige Gemeinde der Zukunft zu entwerfen« (Schüller), erreicht werden? »Die Untätigkeit der Bischöfe ist der Skandal, nicht der Ungehorsam der Leute«, sagt Weisner.
Er ist mit dieser Analyse nicht allein. Von einer renommierten Stiftung wurde er bereits angefragt, um dem Führungsnachwuchs in den USA ein realistisches Bild von der katholischen Kirche und den Problemen ihrer Führungsstruktur zu vermitteln. Weisner schreibt zusammen mit Kollegen auch einen Beitrag für die Fachzeitschrift OrganisationsEntwicklung, der im Juli erscheinen soll. Dort zeichnen sie ein kritisches Bild von der Wandlungsfähigkeit der Kirche - und entwickeln ein Change Management von der Kirchenbasis her.
Ja, ein Konzept tut not. Denn ohne bleibt es bei dem, was Katholiken zur Genüge kennen: Reformen werden abgewürgt, ihre Träger kaltgestellt. Gerade ist Schüller, der in einer Gemeinde des Bistums Hildesheim zum Vortrag geladen war, wieder ausgeladen worden. Der Bischof habe es so gewünscht, erklärte der Pfarrgemeinderat.
Der Unmut unter Katholiken ist groß. Doch reicht der punktuelle Ungehorsam von immer mehr Menschen aus, um von einer katholischen Revolution zu sprechen? Im US-amerikanischen Cleveland haben sich gerade 13 Pfarrgemeinden erfolgreich beim Vatikan (!) gegen ihre Schließung gewehrt. 1500 australische Priester haben sich mit der Pfarrer-Initiative solidarisiert; in Belgien 350, in Irland etwa 700. Eine dem österreichischen Vorbild vergleichbare deutsche Priestergruppe ist bislang nicht öffentlich in Erscheinung getreten.
Historisch betrachtet haben es die Katholiken in Westeuropa nie geschafft, zu einer revolutionären Großgruppe zu werden. Sie neigten immer dazu, es im Konflikt mit Institutionen oder politischen Mächten bei persönlicher Nonkonformität zu belassen, wie die Geschichtswissenschaft dies nennt. Auch in Sachen Kirchenrevolution ist das ein Problem. »Katholiken sind über Generationen auf Gehorsam und Katechismus geeicht«, gibt Weisner zu bedenken, der sie gern sähe, die innerkirchliche Revolution. 400 Pfarrer aus Österreich werden sie allerdings allein kaum stemmen können.
Zuletzt geändert am 23.03.2012