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Veröffentlicht am 10­.09.2006

10. September 2006 - Handelsblatt

Rückbesinnung auf christliche Werte gefordert

Bayern bejubelt den deutschen Papst

Eine Viertelmillion Menschen haben am Sonntag mit Papst Benedikt XVI. in München eine Messe unter freiem Himmel gefeiert. Das Kirchenoberhaupt fand aber auch scharfe Worte und prangerte in seiner immer wieder von Applaus unterbrochenen Predigt eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber Gott an. Eine Rückbesinnung auf die christlichen Werte forderte Benedikt.


HB MÜNCHEN. "Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden", sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag in München vor 250 000 Menschen bei einem Gottesdienst unter freiem Himmel. Die Messe war ein erster Höhepunkt des sechstägigen Besuches in seiner Heimat.

Am Samstag hatte der Papst nach seiner Ankunft die Deutschen zur besseren Integration muslimischer Mitbürger ermahnt und überraschend ein Zeichen für die Ökumene gesetzt. Rund 150 000 Menschen, so die Schätzung der Polizei, empfingen den einstigen Münchner Erzbischof mit "Benedetto"-Rufen und Fähnchen in den Vatikan-Farben Weiß und Gelb. Die Organisatoren sprachen von etwa 250 000 Pilgern.

Köhler wünscht Annäherung der evangelischen und katholischen Kirche

Bundespräsident Horst Köhler äußerte sowohl in seiner Begrüßungsansprache als auch bei einem Treffen mit dem Papst den Wunsch nach einer Annäherung der evangelischen und katholischen Kirche. Gerade in Deutschland als dem Land der Reformation wünschten viele Christen einen ökumenischen Fortschritt. "Uns verbindet doch so viel mehr als uns trennt", sagte der evangelische Köhler.

In seiner Erwiderung sagte der Papst, vom Manuskript abweichend: "Sie sprechen mir aus dem Herzen. Auch wenn man 500 Jahre nicht einfach bürokratisch oder durch gescheite Gespräche beiseite schieben kann - wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, dass wir zueinander kommen." Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" appellierte an den Papst, den Ankündigungen Taten folgen zu lassen.


Indirekte Kritik an katholischer Kirche in Deutschland

Indirekt kritisierte Benedikt XVI. in seiner Predigt am Sonntag die katholische Kirche in Deutschland, die sich in Afrika und Asien mehr für soziale als für missionarische Projekte einsetze. "Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen", mahnte er. Die Menschen müssten die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen: "Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott."

Mehr als 100 Kardinäle und Bischöfe feierten mit dem Papst bei strahlendem Sonnenschein den festlichen Gottesdienst. Schon bei seinem Eintreffen auf dem Münchner Messegelände und der anschließenden Fahrt im Papamobil durch die Reihen der Gläubigen gab es Beifall, Jubel und "Benedetto"-Rufe. Die ersten Besucher hatten sich dort bereits um Mitternacht eingefunden.

Merkel will sich für christliche Wertvorstellungen einzusetzen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach einem Treffen mit dem Papst am Vorabend, sie habe dem Kirchenoberhaupt versprochen, sich bei der anstehenden deutschen EU-Präsidentschaft für gemeinsame christliche Wertvorstellungen in Europa einzusetzen.

Zu seinem Heimat-Besuch war Benedikt auf dem Münchner Flughafen als Oberhaupt des Vatikanstaates von Köhler mit militärischen Ehren empfangen worden. Auch Bundeskanzlerin Merkel und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sowie der Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, waren gekommen. Die Tegernseer Gebirgsschützen, bei denen der Papst Ehrenmitglied ist, schossen Salut.

Sichtlich gerührt bei Bayernhymne

Nach seiner Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt hielt Benedikt XVI. vor der Mariensäule am Marienplatz eine Andacht. Sichtlich gerührt sang er das "Ave Maria" und die Bayernhymne mit. Der Papst nannte es bewegend, an der Säule zu stehen. Dort hatte er vor 30 Jahren gebetet, als er Münchner Erzbischof wurde, und später noch einmal, als ihn Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom berief.

Bei einer Vesper am Sonntagabend im Münchner Liebfrauendom appellierte der Papst laut Redemanuskript an Eltern, Religionslehrer und Seelsorger, in Familie, Schule und Pfarrgemeinde der Jugend den christlichen Glauben als "Quellgrund des Lebens" zu erschließen.

Das befürchtete Verkehrschaos blieb zum Auftakt des Bayern-Besuchs aus. "Wenn alle Besucher von Großveranstaltungen sich so diszipliniert verhalten würden, wäre das für die Polizei ein Traum", sagte Polizeisprecher Andreas Ruch.

Montag besucht Benedikt XVI. Altötting

Am Montag setzt Benedikt XVI. seine Visite mit einem Besuch des größten deutschen Marien-Wallfahrtsorts Altötting und seines Geburtsorts Marktl fort. Unbekannte hatten in der Nacht zum Sonntag zwei Farbbeutel auf die Fassade von Ratzingers Geburtshaus geworfen. Ein Maler entfernte die Flecken jedoch rasch wieder.

Am Dienstag werden zu einer Messe bei Regensburg 350 000 Menschen erwartet; in der Universitätsstadt hatte Ratzinger früher Theologie gelehrt. Der Mittwoch ist dem privaten Teil des Besuches vorbehalten. Nach einem Besuch des Freisinger Doms, wo Benedikt XVI. vor 55 Jahren zum Priester geweiht wurde, fliegt der Papst am Donnerstag wieder nach Rom zurück.

Zuletzt geändert am 11­.09.2006