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Veröffentlicht am 09­.09.2006

9. September 2006 - Süddeutsche Zeitung

Freundlich, aber streng in Glaubensdingen

Außenansicht

Benedikt XVI. hat nicht den Mut gefunden, den Reformstau seines Vorgängers aufzuarbeiten Von Norbert Scholl


Ein freundlich lächelnder, Segen spendender älterer Herr wird durch die Straßen von Regensburg, Altötting, Marktl und München gefahren; am Straßenrand drängen sich Fähnchen schwenkende Menschen, die ihm zujubeln. Wer dagegen Reformen in der Kirche fordert, gar die Abschaffung des Zölibats oder die volle Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche, hat in diesen Tagen Sendepause.

Sicher ist der begeisterte Empfang ein Zeichen für die gegenwärtige Beliebtheit von Papst Benedikt. Allerdings: Das kann sich schnell ändern. Doch der Jubel ist kein Gradmesser für die Güte und für die Richtigkeit dessen, was der Bejubelte sagt und tut. Gewiss, Papst Benedikt hat durch seine zurückhaltende Art und sein bescheidenes Auftreten viele Freunde und Sympathisanten nicht nur unter Katholiken gewonnen. Allerdings steht in der Bibel: ,,An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen‘‘ – nicht: an ihren Sympathiewerten. Und da fällt die Bilanz bis jetzt nicht so einhellig positiv aus.

So wurde auf der Weltbischofssynode im Oktober 2005 von Bischöfen aus Europa und aus der Dritten Welt der dringende Wunsch geäußert, dass auch ,,viri probati‘‘, also verheiratete, bewährte Männer, ordiniert werden dürfen, um dem Priestermangel entgegenzuwirken. Bis heute hat Benedikt XVI. darauf nicht reagiert. Das gilt auch für andere in der Synode angesprochene Probleme, die Zölibatspflicht für Priester oder das Verbot wiederverheirateter Geschiedener und nicht-katholischer Christen zur vollen Teilnahme an der Eucharistie.

In der viel gelobten Enzyklika ,,Gott ist die Liebe‘‘ verlangt Benedikt, dass jede ,,gerechte Staatsordnung den Dienst der Liebe‘‘ praktizieren müsse. Doch wie lässt sich diese Forderung mit der auch vom jetzigen Papst noch immer nicht geächteten Todesstrafe vereinbaren? In dem vom Papst herausgegebenen ,,Kompendium des Katechismus‘‘ heißt es, dass es noch immer „Fälle“ gibt, ,,in denen die Todesstrafe absolut notwendig ist‘‘, allerdings seien die ,,praktisch überhaupt nicht mehr gegeben.“ Warum dann nicht gleich ein Nein? Die Erhebung des Erzbischofs von Bologna, Carlo Caffarra, zum Kardinal weckte ungute Erinnerungen. Als Leiter des Päpstlichen Familieninstituts hatte dieser 1988 gesagt: ,,Wer Verhütungsmittel benutzt, will nicht, dass neues Leben entsteht, weil er ein solches Leben als Übel betrachtet. Das ist dieselbe Einstellung, wie die eines Mörders, der es als Übel ansieht, dass sein Opfer existiert.“ Caffarra hat seine umstrittenen Aussagen nie dementiert oder widerrufen. Warum musste dieser Mann in das Gremium berufen werden, das den nächsten Papst zu wählen hat?

Die deutschen Bischöfe haben im Juni auf Drängen des Papstes erklärt, dass eine Tätigkeit bei ,,Donum Vitae“, dem Verein, der Schwangere in Konflikten berät, mit einer haupt- oder nebenamtlichen Funktion in der Kirche unvereinbar sei – schließlich den Bischöfen diese Beratung im staatlichen System auch verboten. Wie ist das mit den Worten Benedikts zu vereinbaren: ,,Der Katholizismus ist nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option?‘‘

Die Berufung des Erzbischofs von Genua, Kardinal Tarcisio Bertone, zum neuen Kardinal-Staatssekretär lässt nicht auf einen baldigen Abbau des Reformstaus in der Kirche hoffen. Bertone war mehrere Jahre hindurch als Sekretär für die Glaubenskongregation tätig, deren Präfekt Joseph Ratzinger bis zur Papstwahl war. Bertone gilt als freundlich im Umgang, aber streng in Glaubensfragen.

Die Stellungnahme des angesehenen Mailänder Kardinals Carlo Maria Martini, der sich Anfang des Jahres für die Anwendung von Kondomen bei AIDS-Kranken aussprach, wurde von vielen schon als eine Kehrtwende in der Vatikanpolitik betrachtet. Wenig später kündigte sogar der ,,Gesundheitsminister‘‘ des Vatikans, der mexikanische Kurienkardinal Javier Lozano Baragan, die baldige Veröffentlichung eines vatikanischen Dokuments an, das HIV-Infizierten den Gebrauch von Kondomen erlaube werde. War das mit Papst Benedikt abgesprochen? Wenn ja, warum dann seine ausweichende Antwort auf die entsprechende Frage eines Journalisten beim Fernsehinterview vor dem Besuch in Bayern?

Bei diesem Fernsehinterview sagte der Papst auch, dass ,,die evangelische Kirche‘‘ sehr vielgestaltig sei. Das ließ aufhorchen. Denn in dem von Joseph Ratzinger unterzeichneten Dokument der Glaubenskongregation ,,Dominus Jesus‘‘ gibt es nur eine einzige Kirche, die römisch-katholische. Beim Protestantismus handele es sich nur um ,,kirchliche Gemeinschaften‘‘, die keine ,,Schwesterkirchen‘‘ zur katholischen Kirche seien. Deutet sich nun ein Wandel im Verhältnis zu den Kirchen der Reformation an?

Es gibt also durchaus hoffnungsvolle Zeichen, Ansätze, Bewegungen. Doch insgesamt hat Benedikt XVI. noch nicht den Mut gefunden, den drückenden Reformstau, den ihm sein Vorgänger Johannes Paul II. hinterlassen hat, aufzuarbeiten – behutsam und vorsichtig, wie das seine Art ist. Die Kirche unter der Führung Benedikt XVI. tritt noch auf der Stelle. Noch ist nicht abzusehen, welche Taten den an sich begrüßenswerten, wenn auch meist sehr im Unverbindlichen bleibenden Worten des Papstes folgen werden. Der Abstand zum Pontifikat seines Vorgängers ist inzwischen groß genug. Die Pietäts- und Schamfrist ist vorüber.

Da der Papst in seinem Interview sagte, die Bischöfe würden ihm bei ihren Besuchen in Rom „freimütig“ ihre Ansichten vortragen, darf wohl auch der Laie das tun und den Papst ebenso freimütig an jene Worte erinnern, die er vor 40 Jahren geschrieben hat: ,,Sekundärer, selbstgemachter und somit schuldhafter Skandal ist es, wenn unter dem Vorwand, die Rechte Gottes zu verteidigen, nur eine bestimmte gesellschaftliche Situation und die in ihr gewonnenen Machtpositionen verteidigt werden, wenn unter dem Vorwand, die Unabänderlichkeit des Glaubens zu schützen, nur die eigene Gestrigkeit verteidigt wird, wenn unter dem Vorwand, die Ganzheit der Wahrheit zu sichern, Schulmeinungen verewigt werden, die sich einer Zeit als selbstverständlich aufgedrängt haben, aber längst der Revision und der neuen Rückfrage auf die eigentliche Forderung des Ursprünglichen bedürfen. Wer die Geschichte der Kirche durchgeht, wird viele solcher sekundären Skandale finden – nicht jedes tapfer festgehaltene ‚Non possumus' (‚Wir können nicht', Pius IX., N.S.) war ein Leiden für die unabänderlichen Grenzen der Wahrheit, so manches davon war nur Verranntheit in den Eigenwillen.‘‘

Norbert Scholl, emeritierter Professor für Religionspädagogik in Heidelberg, steht der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ nahe.

Zuletzt geändert am 11­.09.2006