11. September 2006 - Süddeutsche Zeitung
Papst vermisst festen Glauben der Kirche
Aufruf an deutsche Katholiken, sozialen Einsatz nicht übers Evangelium zu stellen / „Mit Herz und Verstand“ für Ökumene
München – Zum Auftakt seines Besuchs in Bayern hat Papst Benedikt XVI. die katholische Kirche in Deutschland kritisiert. Diese sei zwar stark in ihrem sozialen Engagement, es fehle ihr jedoch an spiritueller Kraft. Benedikt XVI. sprach am Sonntag vor etwa 250 000 Menschen bei einem Gottesdienst in München. Bundespräsident Horst Köhler, ein Protestant, rief den Papst dazu auf, die Zusammenarbeit der christlichen Kirchen zu vertiefen und bat ihn um „ökumenischen Fortschritt“. Dazu sagte der Papst spontan: „Wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, dass wir zueinander kommen.“
Von Monika Maier-Albang
Der Papst rief die Katholiken dazu auf, sich wieder stärker auf Gott zu besinnen. Die katholische Kirche im Land sei zwar „großartig durch ihre sozialen Aktivitäten“. Das Soziale und das Evangelium dürften jedoch nicht getrennt werden. Der Papst berief sich in seiner Analyse auf die Erfahrung von Bischöfen aus Afrika und Asien. Diese hätten ihm von der Großherzigkeit der deutschen Katholiken berichtet, ihm jedoch auch zu verstehen gegeben, dass in Deutschland Projekte zur Bekehrung von Menschen zum Christentum wenig Unterstützung fänden. Doch nur „wenn die Herzen umkehren“, könne man etwa Aids in Afrika „von den tiefen Ursachen her bekämpfen“, sagte der Papst.
In seiner Predigt auf dem Münchner Messegelände mahnte der Papst mehr Offenheit gegenüber dem Glauben an. „Es gibt momentan eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden“, sagte er. „Wir haben zu viele andere Frequenzen im Ohr.“ Die Menschen müssten die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Die westliche Welt habe mit ihrem wissenschaftsorientierten Nützlichkeitsdenken den Glauben an Gott verloren, kritisierte der Papst. Er sprach von Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansehe und Nutzen künftiger Erfolge der Forschung zum letzten ethischen Maßstab erhebe.
Benedikts Predigt wurde mit Applaus aufgenommen. „Dies ist kein Angriff auf den deutschen Katholizismus“, sagte der frühere Vorsitzende des Zentralkomitees der Katholiken, Hans Maier, zu Benedikts Aussagen. „Wir müssen doch selbstkritisch anerkennen, dass in Deutschland die Spiritualität oft hinter Aktionismus zurücksteht“, fügte er hinzu.
Deutsche Protestanten zeigten sich erfreut über die Äußerungen des Papstes zur Annäherung der Konfessionen. Benedikt hatte am Samstag zum Auftakt seiner Reise gesagt, man könne zwar 500 Jahre unterschiedlicher Entwicklung „nicht einfach bürokratisch oder durch gescheite Gespräche beiseite schieben.“ Er fügte jedoch hinzu: „Wir werden uns mit Herz und Verstand darum bemühen, dass wir zueinander kommen.“
Der Papst reagierte damit auf die Grußworte von Horst Köhler. Der Bundespräsident, selbst Protestant, hatte vom Wunsch vieler Christen auf ökumenische Verständigung und ökumenischen Fortschritt gesprochen. „Uns verbindet doch so viel mehr als uns trennt“, sagte Köhler. Der Papst nickte bei diesen Worten und sagte anschließend, Köhler habe ihm „aus dem Herzen gesprochen“. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, ebenfalls evangelisch, sprach bei einem Treffen mit dem Papst die Ökumene an. Die Konfessionen müssten gemeinsame Wege finden, „ohne das Trennende unter den Tisch zu kehren“. Sie habe den Eindruck gehabt, „dass der Heilige Vater hier auch sehr aufgeschlossen ist“. Merkel sagte weiter, sie habe dem Papst versprochen, sich bei der anstehenden EU-Präsidentschaft Deutschlands für gemeinsame christliche Wertevorstellungen in Europa einzusetzen.
Die Reformorganisation „Wir sind Kirche“ lobte die Äußerungen des Papstes zur Ökumene und dankte Bundespräsident Köhler für dessen Worte. Dem Versprechen müssten nun aber konkrete Taten folgen. Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich sagte, er sei sehr froh, dass das Thema Ökumene gleich zu Beginn des Besuchs eine Rolle spiele. „Das ist ein wichtiges Zeichen von katholischer Seite.“
Der Papst appellierte an Bundespräsident Köhler, Deutschland möge die Muslime besser integrieren. Er mahnte zu stärkeren Anstrengungen, damit die Muslime auch spürten, dass sie willkommen seien. Dies sei ein auch Signal an die muslimische Welt außerhalb Deutschlands. Der Dialog zwischen Christentum und dem Islam müsse angesichts der Konflikte im Nahen Osten intensiviert werden, sagte Benedikt.
Zuletzt geändert am 11.09.2006