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Veröffentlicht am 10­.05.2012

10.5.2012 - Süddeutsche Zeitung

Es gibt nichts zu feiern

Der Katholikentag in Mannheim will ein Konzil hochleben lassen, dessen Errungenschaften gerade rückgängig gemacht werden

Von Hans Küng

Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken hat mich zu einer „Konzilsgala“ am Katholikentag in Mannheim eingeladen. Unter anderem mit Kurienkardinal Walter Kasper sollte ich an einem festlichen Abend zum fünfzigsten Jahrestag der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils mitwirken. Ich wäre in dieser Runde der einzige Konzilsteilnehmer gewesen, bin ich doch mit Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., der letzte noch aktive Konzilstheologe.

Die Einladung ehrt mich, und ich schätze Kardinal Kasper persönlich sehr – aber ist einem in der gegenwärtigen Not der Kirche wirklich zum Feiern zumute, und noch dazu mit einem Vertreter der römischen Kurie? Meine Absage begründete ich so: „Zu einer festlichen Konzilsgala besteht meines Erachtens kein Anlass, eher zu einer ehrlichen Bußandacht oder zu einem Trauergottesdienst. Überall auf der Welt empfinden viele Katholiken eine tiefe Trauer über die Entwicklungen unserer Kirche in den letzten drei Jahrzehnten, und nicht wenige haben deshalb in den letzten Jahren unserer Kirche den Rücken gekehrt.“

Gewiss, auch ich freue mich über die hart erkämpften positiven Ergebnisse des Konzils, die zentrale Anliegen der Reformation und der Aufklärung realisieren: die Hochschätzung der Bibel und den Gottesdienst in der Volkssprache; die Aufwertung der Laien, die Religions- und Gewissensfreiheit, Toleranz und Menschenrechte; die Offenheit zum Judentum und den anderen Weltreligionen, zur säkularen Welt und ihren Werten.

Dies aber passte dem in Liturgie, Theologie und Kirchenverfassung mittelalterlich gepolten Kardinal und Papst Joseph Ratzinger nicht. Mit zunehmender Unverfrorenheit interpretiert er die Konzilsdokumente theoretisch und praktisch nach rückwärts. Er verhindert die schon während des Konzils vom römischen Apparat blockierten Reformen (Sexualmoral, Priesterzölibat, Frauenordination, wiederverheiratete Geschiedene) und riskiert sehenden Auges den Zusammenbruch von Seelsorge und Gemeinden. Die Papstreise nach Deutschland 2011 zeigte: Ratzinger will keine strukturellen Reformen in der Kirche und steht einer weiteren ökumenischen Verständigung im Weg. So erwies sich diese Reise aufs Ganze gesehen als kontraproduktiv.

Dieser Papst wagt es sogar, sich vielfach gegen das Ökumenische Konzil – nach dem Kirchenrecht die höchste Autorität in der katholischen Kirche – zu stellen. Er gefährdet die Einheit der Kirche, indem er illegal ordinierte Bischöfe der traditionalistischen Pius-Bruderschaft ohne Vorbedingungen in die Kirche aufnimmt, obwohl sie das Konzil in zentralen Punkten ablehnen. So betreibt er die „Rückkehr“ der Konzilsfeinde, um einige hundert Pius-Priester zu gewinnen.

Und die Bischöfe, die nach dem Verständnis des Konzils die Kollegen des Papstes sein sollen? Sie sind vielfach frustriert, aber machen faktisch alles mit. Jedenfalls wagt kaum einer der rund 5000 Würdenträger dem Nachfolger Petri wie seinerzeit Paulus dem Petrus „ins Angesicht zu widerstehen, weil er nicht handelte gemäß der Wahrheit des Evangeliums“, wie es der Galaterbrief berichtet.

Woher erklärt sich diese Konformität? Der Hauptgrund: Durch ein perfektioniertes römisches Auswahlverfahren, durch die Vereidigung jedes Bischofs auf den geistlichen Führer in Rom und die ständige Beaufsichtigung der Bischöfe durch Nuntien und Denunzianten entwickelte sich aus den in der Konzilszeit so lebendig diskutierenden Gremien ein fügsamer Apparat. Er erinnert in seiner Machtstruktur an Leitungskader in totalitären und diktatorischen Systemen, wo auch niemand eine abweichende Meinung zu äußern wagt.

Die deutsche Bischofskonferenz, in Bedrängnis geraten durch die klerikalen Sexualdelikte und die etwa 180 000 Kirchenaustritte allein im Jahr 2010, hat sich halbherzig und unverbindlich auf einen breiten Dialogprozess eingelassen. Doch der entpuppt sich zunehmend als Pseudodialog. 40 Jahre nach der Würzburger Synode der deutschen Bistümer (1971-75) soll nun bis zum Jahr 2015 über vier vage formulierte Jahresthemen diskutiert werden. Reden dürfen die Teilnehmer über (fast) alles, entscheiden aber nichts. Das Kirchenvolk soll beruhigt statt ernstgenommen, die Reformverweigerung in Mannheim mit Aufbruchsgerede überspielt werden. Das ist der Grund, weshalb ich nicht an einer „festlichen Konzilsgala“ teilnehmen will.

Was aber können Christen an der Basis und ihre Seelsorger tun? Die mutige österreichische Pfarrerinitiative spricht mit ihren „Aufruf zum Ungehorsam“ nur aus, was viele Pfarrer ohnehin täglich tun. Sie macht klar: Bischöfen ist dann kein Gehorsam geschuldet, wenn diese selbst wesentlichen Forderungen des Evangeliums ungehorsam geworden sind, wenn sie die Kirchengesetze über das Wohl der Gemeinden und Seelsorger stellen. Nach Petrus ist Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Der gegenwärtige Petrus-Nachfolger aber identifiziert den Gehorsam gegenüber Gott gerne mit dem Gehorsam gegenüber ihm selber.

Statt Konzilsgalas von oben braucht es Kirchenreformen von unten! Möglichst viele Pfarrer und Diakone mögen sich der österreichischen Pfarrerinitiative anschließen. In den Gemeinden mögen sich Gruppen zusammenschließen, um Reformen voranzutreiben und die Reformbewegungen zu unterstützen. Priesterlose Gemeinden sollen nicht nur Wortgottesdienst halten, sondern auch priesterlose Eucharistiefeiern mit dem vom Vorbeter oder gemeinsam gesprochenen biblischen Abendmahlsbericht.

Die Kirchenspaltungen zwischen katholischen und evangelischen Gemeinden sollen aufgehoben und immer mehr gemeinsame Veranstaltungen und Gottesdienste gehalten werden. In den diözesanen und nationalen Gremien sollen die Reformforderungen auch deutlich an die Adresse der Bischöfe gerichtet und deren nichtssagende Ausreden nicht mehr hingenommen werden. Die Bischöfe aber sollen Reformvorschläge aus Klerus und Volk mit deutlicher Empfehlung an den Papst weiterreichen.

Das Internet wird schon jetzt zur Vernetzung der Kommunikation der Reformkräfte genutzt; wie bei politischen Umwälzungen kann es der Verbreitung von Ideen und Aktionen dienen. Nur wenn wir die Probleme ehrlich benennen und an ihrer Wurzel angehen, können wir einen „neuen Aufbruch wagen“, wie das Motto des Katholikentages heißt.


Hans Küng, 84, ist emeritierter Professor für ökumenische Theologie an der Universität Tübingen. Er ist Präsident der Stiftung Weltethos.

Zuletzt geändert am 10­.05.2012