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Veröffentlicht am 15­.05.2012

15.5.2012 - www.schwaebische.de

Reformbewegung zum Kirchentag: „Wir haben genügend Luthers“

Deutsche Bischöfe müssen sich in Rom Gehör verschaffen

Regina Weinrich

Freiburg Mit dem Katholikentag in Mannheim will die katholische Kirche einen „Einen neuen Aufbruch wagen“. Das Treffen findet in einer für die Kirche besonders schwierigen Zeit statt: Es ist der erste Katholikentag seit der Aufdeckung der Missbrauchskandale. Die Institution ringt um die Wiedergewinnung ihrer Glaubwürdigkeit und im Innern um den Umbau der Strukturen. dapd-Korrespondentin Regina Weinrich sprach mit dem Vertreter der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, die zusammen mit anderen Basisgruppen ein Alternativzentrum zum Kirchentag organisiert.

Wohin soll der Aufbruch Ihrer Ansicht nach gehen?

Weisner: Nicht erst seit der Aufdeckung der Missbrauchskandale vor zwei Jahren befindet sich die katholische Kirche in Deutschland in einer äußerst schwierigen Situation, die auch diesen Katholikentag eintrüben wird. Aus dieser inneren Kirchenkrise kommen wir nur hinaus, wenn wir in Mannheim wieder zu einem wirklich offenen Gespräch finden.

Bezweifeln Sie, dass das möglich ist?

Weisner: Es war sehr gut, dass Erzbischof Robert Zollitsch als Antwort auf den Missbrauchskandal einen Gesprächsprozess angestoßen hat, aber nicht alle Bischöfe sind ihm auf diesem Weg gefolgt. Und der Papst hat ihn bei seinem Besuch im letzten Herbst nicht befördert. Angesichts der Haltung von Rom besteht die Gefahr, dass nur vertröstende Gespräche geführt werden — weil wir zum eigentlichen Kern nicht vorstoßen können, nicht vorstoßen dürfen, aufgrund der Rahmenbedingungen in der katholischen Kirche.

Das hört sich an, als ließe sich der Konflikt mit Rom nicht vermeiden.

Weisner: Es geht nicht darum, eine deutsche Kirche gegen Rom zu machen, aber Rom macht im Augenblick eine Kirchenpolitik gegen das Zweite Vatikanische Konzil, dessen fünfzigster Jahrestag bald ansteht. Die katholische Kirche in Deutschland steht auf der Linie des Konzils, aber Rom wendet sich mehr und mehr vom Konzil ab.

Wer könnte die verfahrene Situation aufbrechen?

Weisner: Angesichts dieses großen Widerspruchs aus Rom, der alles einengt, wären die Bischöfe besonders gefragt. Aber Erzbischof Zollitsch darf nicht und andere wollen nicht.

Was sollten die Bischöfe tun?

Weisner: Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Bischöfen, der Ortskirche, sehr viel Verantwortung zugestanden. Es wäre gut, wenn sie diese Verantwortung auch wahrnehmen würden und wenn sie zumindest in Rom sagen würden, wie es um die Kirche in Deutschland steht, was die konkreten Probleme sind bei Priesterzahlen und dass die Jugend oder bestimmte Milieus kaum noch zu erreichen sind.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das passiert?

Weisner: Viele meinen, dass der Papst bei seinem Besuch in Deutschland zu wenig zugehört hat und nicht wahrgenommen hat, was hier los ist. Die gleiche Befürchtung habe ich aber auch bei manchen Bischöfen, dass sie den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt haben. Dabei muss etwas passieren. Stattdessen werden von Rom alte Heiligenkalender neu aufgelegt.

Was wäre aber, wenn die Bischöfe wollten, aber in Rom nicht durchdringen?

Weisner: Dann müssten sie sich mit anderen Bischofskonferenzen auf der Welt mehr vernetzen gegen die Zentralgewalt von Rom. Wenn die Bischöfe jedoch aus falsch verstandener Loyalität gegenüber Rom keine neuen pastoralen Lösungen finden für ihre jeweilige Kirche vor Ort, dann macht jeder Seelsorger, was er will. Das ist wie in jedem Betrieb: Wenn der Chef seiner Leitungsfunktion nicht gerecht wird, kann man nicht gut arbeiten und es läuft alles kreuz und quer.

Wie sehen sie die Perspektive für die Kirche in Deutschland, sollte der Dialog scheitern?

Weisner: Wir haben das Beispiel der Niederlande, wo es in der Zeit des Konzils eine sehr aktive katholische Kirche gab. Diese Kirche ist von Rom durch konservative Bischofsernennungen an den Rand gedrängt worden, sie spielt in der holländischen Gesellschaft keine Rolle mehr. Und das ist für Deutschland die schlimmste Option, die ich sehe, dass wir in die Bedeutungslosigkeit zurück schrumpfen, dass wir eine mittelgroße Sekte werden. Die katholische Kirche in Deutschland ist immer noch in der Krise, immer noch im freien Fall. Dabei ist sie nicht unbedeutend. Sie ist wichtig auch für die Weltkirche — wir finanzieren wesentlich den Vatikan mit, wir finanzieren fast die gesamte Priesterausbildung in Afrika und Lateinamerika mit, zusätzlich mit etwa 320 Millionen Euro jährlich die ganzen großen katholischen Hilfswerke — wir sind keine Hinterbänkler.

Wird ein neuer Luther gebraucht?

Weisner: Wir haben genügend Luthers. Das Problem war ja, dass auch damals Rom nicht gehört hat. Das heißt, die Botschaft war da, aber sie wurde nicht wahrgenommen.

Aber die katholische Kirche hat Luther doch auch überlebt…

Weisner: Ja, aber doch nur weil sie sich danach, auch mit den Jesuiten, erneuert hat. Ohne Luther hätte sie nicht überlebt, sie wäre im Morast versunken. Auf die lutherische Herausforderung musste sie reagieren. Vielleicht stehen wir wieder vor einer ähnlichen Wende.

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Zuletzt geändert am 15­.05.2012