| |
Veröffentlicht am 19­.05.2012

19.5.2012 - Südwest-Presse

Aufbruch - wohin?

von Elisabeth Zoll

Die katholische Kirche lebt. Dieses Signal setzt der 98. Katholikentag in Mannheim mit seinem Motto "Den Aufbruch wagen". Doch innerhalb der Kirche fehlt es nicht an konservativen Gegenkräften.

"Sind Sie auch schon im Aufbruch?" Die Kabarettistin Ulrike Böhmer zupft ihr rotes Wollkostüm zurecht. Als "katholisch Infizierte" ist sie ganz konfus. Wer soll sich da noch auskennen bei der sonntäglichen "Frühmesse-Suchwallfahrt" in den neuen XXL-Seelsorgeeinheiten? Vieles ist im Umbruch - in den Gemeinden, aber auch in den Diözesen. Die 2010 öffentlich gewordenen Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche einerseits, aber auch die schwindende Zahl von Priestern und Gläubigen macht offensichtlich, dass ein Weiterwursteln nicht geht. "Aufbruch" lautet die Losung für den 98. Katholikentag in Mannheim, zu dem bis Sonntag zwischen 60 000 und 70 000 Menschen erwartet werden. Nur: Aufbruch wohin? Mit wem? Und was von den alten Gewohnheiten nimmt man mit im Reisegepäck?

"Der rote Rucksack liegt bereit", sagt Erzbischof Robert Zollitsch, von der gastgebenden Erzdiözese Freiburg. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat im Herbst 2010 in Mannheim einen Dialogprozess zwischen Bischöfen, Hauptamtlichen und Laien begonnen. Der Katholikentag ist für ihn eine weitere Etappe auf dem Weg. Hören will er auf die Anliegen, die Laien in rund 1200 Veranstaltungen einbringen. Es ist ein breites Spektrum: Nöte in den Pfarrgemeinden werden thematisiert, Solidarität mit Menschen angemahnt, die durch Arbeitsbedingungen in Deutschland oder die Rohstoffgier von kapitalistischen Konzernen weltweit an den Rand gedrängt werden. Schwule und Lesben finden Gehör - ja es gibt sogar kirchliche Angebote für wiederverheiratete Geschiedene. "Wir haben die Verpflichtung, Dinge, die auf den Nägeln brennen, auch zu benennen", sagt Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken.

Es brennt an vielen Stellen. Das wird in Veranstaltungen wie "Auftreten statt Austreten" klar. Der Jesuitenpater Klaus Mertes, der den Missbrauch in der katholischen Kirche öffentlich gemacht hat, kritisiert im Gespräch mit dem neu ins Amt gekommenen Kardinal Rainer Maria Woelki aus Berlin, dass auch innerhalb der Kirche das Misstrauen wächst. Da werde denunziert, auch unter Klerikern in üblem Ton über- einander hergezogen, da würden engagierte Katholiken wie der ehemalige ZdK-Präsident Hans Maier in den Diözesen Augsburg und Regensburg mit Auftrittsverboten belegt, nur weil er sich im Verein Donum Vitae für die Schwangerenkonfliktberatung einsetzt. Mertes: "Vor zehn Jahren hätten wir so etwas noch für unmöglich gehalten."

Auch wenn viele Bischöfe nach den jüngsten Skandalen wieder mehr zuhören wollen, Konsens ist dieser Kurs innerhalb der Bischofskonferenz nicht. "Nicht die Kirche müsse aufbrechen, sondern die Laien." Diesen Satz gab der Kölner Kardinal Meisner aus der Ferne den Kirchentagsbesuchern mit.

Also: Aufbrechen wohin? In Mannheim fordern tausende Zuhörer die Reformanliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils ernst zu nehmen. "Wir wollen Taten sehen", sagt die Dominikanerschwester Benedikta Hintersberger aus Augsburg. Dass der kirchliche Aufbruch, dessen Beginn sich dieses Jahr zum 50. Mal jährt, zunehmend von konservativen Kreisen umgedeutet wird, behagt vielen Katholiken nicht. Auch nicht Norbert Lammert, dem Bundestagspräsidenten. Das Konzil habe er als Jugendlicher als eine "große, auf Dauer angesetzte Denkfabrik verstanden". Heute sehe er jedoch Stagnation statt Aufbruch, erlebe er den Vorrang der Dogmatik vor der Pastorale, eine Zentralisierung auf Rom statt der Wertschätzung der Ortskirchen, und eine faktische Entmündigung der Laien. So hatte er sich den Aufbruch nicht vorgestellt. Angst hause in der Kirche. "Ich vermisse bei deutschen Bischöfen den Mut, den sie von Laien täglich einfordern", sagt Lammert.

"Ein Rucksack macht noch keinen Aufbruch", stößt der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach beim alternativen Zentrum der kirchenkritischen Reformgruppen ins gleiche Horn. Hengsbach beklagt, dass in vielen politischen Fragen ein Rückzug aus der Welt begonnen habe. "Unsere Aufgabe ist es aber, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu sehen." So fordert er von der Amtskirche klare Aussagen zur Verteilung von Reichtum und Verarmung in der Gesellschaft, zur Macht der Banken und Spekulanten und zur Arbeitswelt, die immer mehr Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse treibt.

Mit einer "Entweltlichung", dem Stichwort das Papst Benedikt bei seinem Deutschlandbesuch geprägt hat, passt das nicht zusammen. Hengsbach nennt als weitere wichtige Themen: Gleichberechtigung - auch innerkirchlich - , die freie Wahl von Lebensverhältnissen und demokratische Strukturen in der Kirche.

In diesen Punkten hinkt die Amtskirche gesellschaftlichen Standards meilenweit hinterher. Doch kann eine moralische Instanz, die gesellschaftliche Standards auf breiter Ebene unterbietet, noch zukunftsfähig sein? Der Pastoraltheologe Matthias Sellmann hat erhebliche Zweifel. "Wo Partizipation erst eingeklagt werden muss, sind wir nicht auf der Höhe der Zeit."

Warten, bis die Kirchenspitze Mut zum Aufbruch hat, wollen immer weniger Laien. "Derzeit schießen immer mehr Reformbewegungen aus dem Boden", konstatiert Andreas Krause. Der katholische Pfarrer ist mit 153 anderen Priestern in der Aktionsgemeinschaft Rottenburg aktiv. "Wir dürfen nicht zulassen, dass aus dem angestoßenen Dialogprozess eine Show wird." Krause tritt für eine "barmherzige Kirche" ein, der die Anliegen der Menschen wichtiger ist als Dogmen.

Der österreichischen Pfarrerinitiative, in der sich rund 400 Geistliche zusammengeschlossen haben, steht Krause positiv gegenüber. "Dort wird nicht nur lamentiert, dort wird etwas getan." Schwester Benedikta Hintersberger hat dafür andere Worte: "Wir dürfen nicht fragen: Wie weit dürfen wir gehen, sondern: Wie weit müssen wir gehen." Im Nachbarland Österreich ist der Aufbruch im Gang. Vieles deutet darauf hin, dass die Besucher des Katholikentags in Mannheim nicht nur geistlich auftanken, sondern wirklich aufbrechen wollen.

http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Aufbruch-wohin;art4306,1468746

Zuletzt geändert am 19­.05.2012