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Veröffentlicht am 16­.05.2012

16.5.2012 - Süddeutsche Zeitung

Profil: Helmut Schüller rebellischer Pfarrer, Schreck der Kirchenoberen in Mannheim

Ungehorsam. Das Wort regt jetzt alle auf. Fünf Jahre lang haben sie geredet, protestiert, geschrieben: Dass es so nicht weitergehen kann mit der katholischen Kirche in Österreich, wo, wie in Deutschland, immer mehr Gemeinden zusammengelegt werden. Wo die Priester sich abrackern und doch oft keine Antworten mehr auf die Fragen der Kirchgänger finden können. Richtig ernst genommen hat das keiner der Bischöfe. Bis die Pfarrer-Initiative, deren Sprecher Helmut Schüller ist, vor einem Jahr zum Ungehorsam aufrief.

Da war er, der Skandal. Denn Priester geloben bei ihrer Weihe dem Bischof Gehorsam. So kamen die Journalisten; mehrere hundert Priester aus Österreich und Europa erklärten, dass sie auch ungehorsam sein wollten. Auf dem Katholikentag, der an diesem Mittwoch in Mannheim beginnt, werden die Pfarrer aus Österreich omnipräsent sein. Papst Benedikt XVI. im fernen Rom hat die Initiatoren gemahnt: Sorge um die Kirche sei gut, Ungehorsam aber der falsche Weg.

An dieser Stelle möchte Helmut Schüller doch etwas klarstellen: „Es ist Ungehorsam aus Treue zur Kirche“, sagt er, „wenn wir Priester Gehorsam geloben, dann geben wir damit weder Verstand noch Gewissen ab.“ 60 Jahre alt wird er dieses Jahr zu Weihnachten, seit 35 Jahren ist er Priester, ein Mann mit starkem Kinn und ergrauendem Strubbelhaar, er ist mehr Macher als Rebell, und zur selbstmitleidigen Klage neigt er schon gar nicht. Priester wurde er, weil er in dieser Kirche „eine Heimat mit vielen guten Erfahrungen“ hatte; bereut habe er diesen Entschluss nie. Als Präsident der österreichischen Caritas wurde er 1993 „Manager des Jahres“ – und Adressat einer Briefbombe des rechtsextremistischen Mörders Franz Fuchs.

Ein Manager mit Bekennermut, das schien Schüller ganz nach oben zu führen. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn machte ihn 1995 zum Generalvikar. Schüller stellte schon 1996 Regeln zum Umgang mit sexueller Gewalt in der Kirche auf; zunehmend allerdings geriet er in Konflikte mit Schönborn. Der legte ihm 1999 nachts ein Kündigungsschreiben vor die Tür. So war er wieder Gemeindepfarrer in Probstdorf auf dem flachen Land östlich von Wien.

„Die Gemeinde ist der Ort, an dem ein Pfarrer am wenigsten vor dem Leben fliehen kann“, sagt Schüller, „hier trifft uns unerbittlich die Realität.“ Da kommen Leute, die geschieden sind und wieder heiraten wollen, Frauen, die nicht verstehen, warum sie nicht Diakonin werden können, da gibt es Gläubige, die ohne Priester Wortgottesdienste feiern wollen – „auf all dies hat die katholische Kirche keine Antworten, wir verlieren die Menschen, denen wir doch Hoffnung geben sollen“, sagt Schüller. Und dass ein Pfarrer den Menschen mehr zu dienen habe als den Vorschriften.

Ungehorsam. Noch immer staunt Schüller, was das Wort ausgelöst hat, „das ist ein Selbstläufer geworden“, sagt er. In Mannheim wird er nicht im offiziellen Programm auftreten, sondern bei der Kirchenvolksbewegung „ Wir sind Kirche “, am Freitag und Samstag. Vorher muss er sich um die Erstkommunionkinder kümmern. Und am Sonntag in Probstdorf die Messe lesen.

Matthias Drobinski

Zuletzt geändert am 20­.05.2012