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Veröffentlicht am 20­.05.2012

20.5.2012 - Badische Zeitung

Katholikentag: Resignation oder Aufbegehren – Katholiken leiden an ihrer Kirche

Aufbruch im Schatten der Piusbrüder: Während der Vatikan über die Rückkehr der erzkonservativen Gemeinschaft debattiert, kämpft die Basis auf dem Katholikentag um Reformen. Am Ende bleiben Floskeln.

Mit einem Aufbruch hatte beim Katholikentag niemand ernsthaft gerechnet. Von den insgesamt 80.000 Besuchern wollten die einen einfach nur die Gemeinschaft und die gute Stimmung genießen, die anderen diskutieren und ihrem Unmut Luft machen. Dass der Vatikan zeitgleich zur Rückkehr der erzkonservativen Piusbrüder tagte, machte mehr als deutlich, dass zurzeit aus Rom keine Reformen zu erwarten sind. Es blieb daher bei rhetorischen Aufbruch-Floskeln, wie es Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) stellvertretend für viele auf den Punkt brachte.

Die Bischöfe, allen voran ihr Vorsitzender Robert Zollitsch, sprachen viel von einer neuen Dialogkultur und mehr Verantwortung für die sogenannten Laien. Die Realität in den Gemeinden sieht jedoch anders aus. Allzu selbstständige Gemeindereferenten werden zurückgepfiffen, Wortgottesdienste am Sonntag infrage gestellt. Für Lammert arbeitet Rom an einer Zentralisierung. "Das ist eine faktische Entmündigung der Laien."

Das enge dogmatische Korsett passt nicht zur Lebenswirklichkeit der Gemeinden – und wird deshalb fast überall aufgeschnürt. Wiederverheiratete nehmen an der Eucharistie teil, Gemeindereferenten predigen, Homosexuelle erhalten den Segen. Doch die Betroffenen stehen immer in Gefahr, abgemahnt zu werden. Der widerständige österreichische Priester Helmut Schüller hält deshalb nichts von diesen geduldeten Nischen. "Das bleibt dann reiner Zufall: Wenn der Bischof oder der Priester wechselt, kann es mit diesen Rechten schnell vorbei sein."

Stillstand zeigt sich auch in der Ökumene, die am Katholikentag ebenfalls mit vielen schönen Worten besungen wurde. Doch die Partner werden zusehends ungehalten, weil die oft gute Zusammenarbeit in den Gemeinden vom Vatikan untergraben wird. So kann der Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Günther Beckstein, nicht einsehen, "warum die Versöhnung mit den Piusbrüdern eine größere Bedeutung hat als die Ökumene mit den Protestanten". Ähnlich äußert sich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, der eine gute Entwicklung an der Basis sieht, aber eine Verhärtung auf Spitzenebene.

Bundespräsident Joachim Gauck legte die Finger ebenfalls in die Wunde. Die christlichen Konfessionen betonen für den ehemaligen evangelischen Pfarrer zu sehr die Unterschiede und zu wenig ihre Gemeinsamkeiten. "Ich träume davon, an Ihrer Eucharistiefeier einmal so teilzunehmen, dass ich Sie nicht störe, wenn ich hingehe."

Auch der gesellschaftspolitische Einfluss der Kirche leidet. Der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, wollte beim Katholikentag zum gesellschaftlichen Aufbruch aufrufen. "Doch alle fragen immer nur nach innerkirchlichen Problemen", sagte er. Den Sozialethiker und Jesuiten Friedhelm Hengsbach wundert das nicht. Mit ihrem Demokratiedefizit, der fehlenden Gleichstellung von Frauen und einem nur zum Teil aufgearbeiteten Missbrauchsskandal könne sich die katholische Kirche "nur noch sehr zaghaft aus dem Fenster lehnen".

Diese Entwicklung kann die Bischöfe nicht unberührt lassen. Beim Katholikentag wurden sie teils sogar ausgebuht. Die konservativen Kirchenführer bunkern sich ein und werfen den Kritikern Gottlosigkeit vor, die moderaten flüchten sich in Hinhaltetaktik: Eucharistie für Wiederverheiratete, Segnung für homosexuelle Paare, all das werde kommen – aber nicht von heute auf morgen. So etwas brauche seine Zeit. Warum eigentlich? Weil den Bischöfen der Mut fehlt, diagnostiziert Lammert. Immer wieder würden sie ihre eigenen Einsichten an der Klosterpforte des Vatikans abgeben.

Nicht nur für Lammert muss der Aufbruch von unten kommen. Aber was passiert, wenn die Kraft nicht reicht, die Entscheidungsträger zu überzeugen? Dann ziehen sich die Engagierten entweder mit blutiger Nase zurück oder sie erklimmen die nächste Eskalationsstufe wie ein Teil der Priester in Österreich und Irland, die zum Ungehorsam aufrufen. Vor diesem Hintergrund muss sich auch der Katholikentag positionieren. Bislang war das ZdK als Organisator auf Ausgleich bedacht. Glück warnte mehrfach vor einem Konfrontationskurs – was bei einem Teil der Basis schon als zu starke Nähe zu den Bischöfen ausgelegt wurde.

In den kommenden Wochen beginnen bereits die Vorbereitungen für Regensburg 2014, wo mit Bischof Gerhard Ludwig Müller ein ausgewiesener Katholikentags-Kritiker wartet. In Mannheim wertete er die Reformgruppen als parasitäre Existenzformen ab. Bereits zuvor hatte er angekündigt, dass er keine "antikatholischen Umtriebe" dulden werde. Für Christian Weisner von der Initiative "Wir sind Kirche" wird das die Nagelprobe werden: Entweder zeigt der Katholikentag Zähne, oder er wird bedeutungslos.

Zuletzt geändert am 23­.05.2012