22.5.2012 - Süddeutsche Zeitung
Geplatzter Karrieretraum
Von Matthias Drobinski und Wolfgang Wittl
Regensburg – Alle waren sie fröhlich am Sonntagmorgen vorm Mannheimer Schloss beim Abschlussgottesdienst des Katholikentages, bei Sonne, Musik und Gebet. Nur einer wirkte, als stünde er neben sich: Lustlos, geradezu mechanisch redend, lud der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller die Gläubigen zum nächsten Katholikentag 2014 nach Regensburg ein. Die schlechte Laune war derart unüberhörbar, dass mancher auf dem Schlossplatz den Nachbarn fragte: Was hat er? Weil er Katholikentage nicht so recht mag – mit all ihrer Diskutiererei? Und wie kam es, dass Müller am Mittwoch statt nach Mannheim hektisch nach Rom reiste?
Die Antwort könnte lauten: An jenem Mittwoch ist ein Lebenstraum Müllers geplatzt. Er wird nicht Präfekt der Glaubenskongregation, wie er offenbar gehofft hatte. Er bekommt entweder einen Trostposten als päpstlicher Ober-Bibliothekar – oder er bleibt den Regensburgern als Bischof erhalten.
„Gerhard Ludwig Müller bekommt keinen Ruf nach Rom“, legte sich jedenfalls der Bayerische Rundfunk am Montag fest. Zwar hatte der BR auch schon berichtet, dass Müller nach Rom berufen werde, jetzt aber deutet einiges darauf hin, dass an der Meldung was dran ist. „Es sieht nicht so gut aus für Müller“, sagt ein Vatikan-Insider der Süddeutschen Zeitung . Und dass einiges dafür spreche, dass Papst Benedikt XVI. ihm bei der Audienz am Mittwoch eröffnet habe, dass er ihn, bei aller Wertschätzung, nicht zum obersten Glaubenshüter der katholischen Kirche machen könne. Als Favorit für das formal dritthöchste Amt der katholischen Kirche gilt nun der 67-jährige kanadische Kurienkardinal Marc Ouellet. Müller, heißt es, könne nun oberster Archivar des Papstes werden.
Die bischöfliche Pressestelle in Regensburg hielt sich am Montag bedeckt: Zu den Spekulationen könne man sich – wenn überhaupt – frühestens am Mittwoch äußern. Offizielle Begründung: Ruhetag und Betriebsausflug. In den vergangenen Wochen hatte man immer wieder einen gut gelaunten Regensburger Bischof erleben können, der sich wenig Mühe machte zu verbergen, dass er sich auf dem Sprung nach Rom sah. Fragen zu seiner möglichen Zukunft lächelte er mehr weg, als dass er sie dementierte: „Noch bin ich hier“, pflegte er zu sagen. Im Februar erzählte er der Deutschen Presseagentur ungewöhnlich offen, dass es mit dem Papst bereits Gespräche gegeben habe. Beobachter sahen darin eine unverhohlene Bewerbung.
Bei den Konservativen im Vatikan gilt Müller als Liberaler, gar Linker.
Es war nicht das erste Mal, dass Müller für höhere Ämter gehandelt wurde, etwa für das des Münchner und Berliner Erzbischofs oder als Leiter des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen. Zum Zug kamen jeweils andere. Müller, 64, gilt nicht nur als scharfsinniger Theologe, sondern auch als der umstrittenste und streitbarste Vertreter der deutschen Bischöfe. Bereits 2005 ordnete er – wie jetzt Bischof Konrad Zdarsa in Augsburg – die Pfarrgemeinde- und Dekanatsräte neu, gegen den Widerstand der Laien. Unbotmäßige Pfarrer haben die Abstrafung zu fürchten.
So charmant der gebürtige Mainzer plaudern kann, so unerbittlich kann er auch sein, kränkend in der Wortwahl. Nach dem Katholikentag hat er die kritischen Gruppen von „ Wir sind Kirche “ und der „Initiative Kirche von unten“ als „parasitär“ bezeichnet, weil sie das Christentreffen benutzt hätten, um auf sich aufmerksam zu machen. Als handle es sich um Ungeziefer und nicht um Mitchristen mit anderer Meinung.
Dass Müller sich für höhere Aufgaben geeignet hält, daran bestehen keine Zweifel. Sein Lehrbuch zur Dogmatik wurde weltweit übersetzt. „Er sei gerne Hirte“, sagt er, aber natürlich erfülle es ihn mit Freude, „in der Welt der Wissenschaft zu kreisen“. Im Oktober feiert er seine zehnjährige Ernennung zum Bischof von Regensburg, die Zeit für eine neue Herausforderung schien gekommen, zumal er mit der Gründung des Papstinstituts seine Treue einmal mehr demonstriert hatte. Weshalb er nun wohl doch in Regensburg bleibt, ist Kritikern wie Johannes Grabmeier einerlei. Ihm sei es lieber, Müller bleibe hier, sagt er – dann könne er weniger schaden. Das Miteinander im Bistum sei ohnehin zerstört.
Die Ironie an der Geschichte ist, dass wohl nicht der Ruf als Konflikthansel Müllers Berufung verhindert haben dürfte – sondern dass er in den Augen der Konservativen im Vatikan ein unberechenbarer Liberaler, gar Linker ist. Immerhin zählt er den „Vater der Befreiungstheologie“, Gustavo Gutierrez, zu seinen Freunden. Konsequent ist er gegen die traditionalistischen Piusbrüder im Bistum vorgegangen, die seine Gegner im Vatikan gerne wieder im Schoß der Kirche sähen. Und dass er sich von der Starfotografin Herlinde Koelbl im Trainingsanzug fotografieren ließ, sollen die Herren in der Kurie nicht als Zeichen erfreulicher Volksnähe gewertet haben – sondern als peinlichen Fauxpas.
Zuletzt geändert am 27.05.2012