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Veröffentlicht am 10­.06.2012

Juni 2012 - Plattform Wir sind Kirche

Unüberhörbarer Ruf nach Reformen beim Mannheimer Katholikentag

Die in Deutschland im Wechsel stattfindenden Katholikentage und evangelischen Kirchentage bieten jedes Jahr ein breites Forum für den kirchlichen und gesellschaftlichen Dialog, das es in dieser Art wohl in keinem anderen Land gibt. Dabei war der Reformwillen der aktiven Kirchenbasis diesmal so deutlich zu spüren wie nie zuvor: Auf dem „offiziellen“ Katholikentag genauso wie beim „Alternativprogramm“ der drei großen Reformgruppen Wir sind Kirche, Ökumenisches Netzwerk Initiative Kirche von unten und Leserinitiative Publik.

Mehr als 80.000 Menschen kamen Ende Mai nach Mannheim zum 98. Deutschen Katholikentag, der unter dem Leitwort stand „Einen neuen Aufbruch wagen“. Denn es war der erste Katholikentag nach der Aufdeckung der auch hierzulande Jahrzehnte lang vertuschten sexuellen Gewalt durch Priester und Ordensleute. Noch immer steht die katholische Kirche in Deutschland unter dem Schock des Krisenjahres 2010, in dem mehr als 180.000 KatholikInnen aus der Kirche austraten. Der von den deutschen Bischöfen daraufhin als Antwort initiierte „Dialogprozess“ ist allerdings schon lange zu einem kontrollierten und unverbindlichen „Gesprächsprozess“ herabgestuft worden. Aber so einfach, wie die österreichischen Bischöfe 1997/98 den „Dialog für Österreich“ ins Leere laufen ließen, wird dies den deutschen Amtsbrüdern nicht gelingen.

Mit dem Leitwort des Mannheimer Katholikentags wollte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als Veranstalter zusammen mit dem gastgebenden Bischof Dr. Robert Zollitsch zum Aufbruch sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft ermutigen. Dies wurde in vielen der 1.200 Podien, Workshops und Gottesdiensten sicher auch erreicht. Doch während Wir sind Kirche beim Osnabrücker Katholikentag 2008 noch drei große Veranstaltungen im offiziellen Katholikentagsprogramm gestalten konnte, wurde diesmal nur einer von vier Vorschlägen in das offizielle Programm aufgenommen, die Veranstaltung „Kein Aufbruch ohne Abschiede. Wege aus der Gemeindekrise“ mit Prof. Dr. Rainer Bucher – und auch das erst in allerletzter Minute.

So war es nur folgerichtig, dass die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche gemeinsam mit dem Ökumenischen Netzwerk Initiative Kirche von unten (IKvu) und der Leserinitiative Publik (LIP) ein alternatives Zentrum organisierte, das überwältigenden Zuspruch fand. Hier waren vor allem jene eingeladen und zu hören, die der offizielle Katholikentag lieber draußen halten wollte: Der Vorsitzende der österreichischen Pfarrer-Initiative, Helmut Schüller, die „contra legem“ geweihte katholische Bischöfin Ida Raming, der wegen seines offenen Bekenntnisses zur Homosexualität entlassene Theologe David Berger und der aus der Kirche ausgetretene Eugen Drewermann.

Mit einer Brandrede „Eure Sorgen möchte ich haben – worum es wirklich geht“ eröffnete der Sozialethiker Professor Friedhelm Hengsbach SJ das Alternativprogramm der drei Reformgruppen im „Ökumenischen Zentrum Johanniskirche“. In Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Filmgesprächen wurden dann an drei Tagen jene brisanten kirchen- und gesellschaftspolitischen Themen diskutiert, von denen zu erwarten war, dass sie auf dem offiziellen Katholikentag an den Rand gedrängt oder ausgespart werden. Das Interesse war so groß, dass immer wieder das Schild „Überfüllung“ aufgehängt werden musste.

Zu den prominenten Gästen zählten auch Prof. Dr. Hermann Häring, Prof. Dr. Paul M. Zulehner, Karin Kortmann und Christa Nickels vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der bündnis-grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold, der alternative Wirtschaftsexperte Christian Felber, die evangelische Flüchtlingspastorin Fanny Dethloff, die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, der Jesuit Klaus Mertes und der Schweizer Theologe Pierre Stutz.

Pfarrer Schüller – wohl der heimliche Star des Mannheimer Katholikentags, auch wenn er nicht im offiziellen Programm auftreten durfte – stellte auf dem Podium „Kirchenreform für Anfänger“ fest: „Wir haben keine Glaubenskrise, und wir haben auch keine Kirchenkrise. Wir habe eine Krise der Kirchenleitung.“ „Grundrechte für Getaufte“ gebe es nicht, sie seien aber Voraussetzung für Gespräche auf Augenhöhe. Seine Ausführungen wurden nicht nur von den Medien, sondern auch vom ZdK und von den sich mittlerweile auch in deutschen Diözesen formierenden Pfarrer-Initiativen wie z.B. der „Aktionsgemeinschaft Rottenburg“ mit großem Interesse verfolgt.

Auf den Prüfstand kamen auch die Ursachen für sexualisierte Gewalt hinter Kirchenmauern, der Umgang der Kirche mit den davon Betroffenen oder etwa die Versöhnung des Vatikans mit rechtskonservativen kirchlichen Kräften gerade jetzt, wo sich das II.Vatikanische Konzil zum fünfzigsten Male jährt. Zu einer historisch-heiteren Erinnerung des Konzils, wie sie die „Konzilsgala“ das Katholikentags beging, sahen die Reformgruppen absolut keinen Anlass und veranstalteten eine spontane Mahnwache dazu. Auch Hans Küng hatte sich diesem Spektakel entzogen.

Morgendliche Bibelarbeiten und Abendgebete rahmten das vielfältige Programm ein. Ein Highlight war das Konzert der bekannten lateinamerikanischen Grupo Sal mit den Impulstexten „Mit Oscar Romeros Augen die Welt neu sehen“ des Publizisten Peter Bürger. Das Abschlusspodium „Du musst dein Ändern leben“ gestalteten Peter Bürger, Prof. Dr. Hermann Häring, ZdK-Mitglied Christa Nickels und die Befreiungstheologin Dr. Cristy Orzechowski.

Ein Markenzeichen der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche waren wieder die „Gespräche am Jakobsbrunnen“, diesmal u.a. mit dem Schweizer Theologen Pierre Stutz, Prof. Dr. Paul M. Zulehner, dem Religionssoziologen Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, dem Ökumeniker Prof. Dr. Otto Hermann Pesch, Prof. Dr. Hermann Häring, pax christi-Vizepräsident Johannes Schnettler sowie Magdalena Bogner als ehemaliger und Karin Kortmann als jetziger ZdK-Vizepräsidentin.

Nicht nur bei der Besetzung der Podien bis in die Spitze des ZdK, sondern auch was das Publikum betrifft, war das Zentrum der Reformgruppen in der evangelischen Johanniskirche eng mit dem „offiziellen“ Katholikentag vernetzt. Denn auch auf dem „offiziellen“ Katholikentag war der Ruf nach Reformen so drängend spürbar wie nie zuvor.

Zeitgleich zur Brandrede des Jesuiten Friedhelm Hengsbach kritisierte Klaus Mertes, ebenfalls Jesuit, Misstrauen, Denunziation und Aggressivität, die in der Kirche wachsen. Die Tendenz nehme zu, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Kirche zu leugnen und als Teil der Identität misszuverstehen. Mertes war es, der Anfang 2010 als Leiter des Berliner Canisius-Kollegs den Skandal um den sexuellen Missbrauch öffentlich machte. „Auftreten statt austreten. Einstehen für eine glaubwürdige Kirche“ war der Titel des Podiums, bei dem dann auch der neue Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki bemerkenswerte Aussagen machte, als er zum Beispiel sagte, dass die Kirche lernen müsse, den Menschen zuzuhören, und auch über Lehrsätze neu nachzudenken, zum Beispiel „dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, wo sie in einer dauerhaften homosexuellen Beziehung leben, dass das in ähnlicher Weise zu einer heterosexuellen Beziehung anzusehen ist.“ Neue Zwischentöne, die bis in die internationale Presse hinein Beachtung fanden. Brausenden Beifall bekamen aber Eva-Maria Kiklas von Wir-sind-Kirche für ihr Bekenntnis „Die Kirche ist meine Familie. Ich kann sie furchtbar finden, aber ich gehöre dazu.“ sowie Daniel Dickopf von den Wise Guys, der sagte, er sei nach wie vor in der Kirche, „nicht wegen, sondern trotz des Papstes und der Bischöfe.“

Der gastgebende Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, der zugleich Vorsitzender der heillos zerstrittenen Deutschen Bischofskonferenz ist, hatte eine besonders schwierige Aufgabe, der er nur schwer gerecht wurde. Im Blick auf den bis 2015 anberaumten „Dialogprozess“ dämpfte er Hoffnungen auf rasche Änderungen. Seine aus Furcht vor weiteren Polarisierungen oft sehr allgemeinen und ausweichenden Aussagen kamen nicht gut an, in der Konzilsgala wurde er gar ausgebuht. Ein dramatisches Zeichen, das zeigt, wie weit die Entfremdung zwischen Bischöfen und Kirchenvolk gediehen ist und wie groß der Reformdruck von der Basis ist.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), ein aktiver Katholik, hielt den Oberhirten mangelnde Dialogbereitschaft vor. „Streit und Kritik sind kein Ausdruck von Illoyalität, sondern von Besorgnis um wichtige Fragen“, sagte Kretschmann. Es könne nicht sein, dass manche Bischöfe es als „wenig förderlich“ bezeichneten, dass die Laien erneut über strittige Themen wie das Diakonat der Frau sprechen wollten. Als das ZdK Ende letzten Jahres die ernsthafte Prüfung der Diakoninnenweihe für Frauen, das niedrigste aller Weiheämter, forderten, hatte die Bischofskonferenz dies sofort schroff zurückgewiesen und noch vor dem Katholikentag zum Tabu erklärt.

Der seit Jahren um Ausgleich mit Rom und den deutschen Bischöfen bemühte Präsident des ZdK, Alois Glück, wurde auch in Mannheim nicht müde, Reformen anzumahnen. Es bleibe wenig Zeit. Die Amtskirche müsse sich bewegen. Sonst stünde sie bald vor einer extrem schwierigen Zeit, sagte er. Der Salzburger Dogmatik-Professor Hans-Joachim Sander wurde noch deutlicher: Die schweigende Mehrheit der Katholiken lasse sich nicht mehr alles bieten. Entweder die Amtskirche wage einen neuen Aufbruch oder das Kirchenvolk breche ohne sie auf. Ansätze dazu gibt es in vielen neuen Initiativgruppen in Deutschland, Österreich und weltweit. Es ist das Aufbegehren der Treuen.

Der Richtungskampf innerhalb der römisch-katholischen Kirche läuft auf Hochtouren. Noch während des Katholikentages hatte der als äußerst konservativ bekannte Kardinal Joachim Meisner aus dem fernen Köln kritisiert, beim Katholikentag fehle die katholische Mitte, bei der man die Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof, Priestern und dem Volk Gottes spüre. Ein unberechtigter Vorwurf, der auch sogleich von Erzbischof Zollitsch und von ZdK-Präsident Glück in aller Deutlichkeit zurückgewiesen wurde. Zum Abschluss des Katholikentags bezeichnete der Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller das Auftreten von Reformgruppen auf dem Katholikentag in Mannheim als „parasitäre Existenzform“. Das ist kein gutes Omen für den nächsten Katholikentag und macht vor allem für das Zentralkomitee die Aufgabe nicht leichter, das zusammen mit diesem Bischof den Katholikentag 2014 in Regensburg vorbereiten muss. Doch die weitere Vernetzung der Reformkräfte in Regensburg, in Deutschland und weltweit wird nicht aufzuhalten sein.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 30­.05.2012