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Veröffentlicht am 15­.05.2012

15.5.2012 - Main-Post

„Ratzinger war nicht von Anfang an stockkonservativ“

Magnus Lux von „Wir sind Kirche“ über Reformbestrebungen und die Rolle des Papstes

Magnus Lux sieht man seine Streitbarkeit ebenso an wie seinen Humor. Lux, Jahrgang 1943, lebt in Schonungen im Landkreis Schweinfurt, ist Diplom-Theologe und pensionierter Gymnasiallehrer. Und er ist einer von sechs Sprechern des Bundesteams der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ und als solcher ein profilierter Kritiker des Papstes und vor allem der deutschen Bischöfe, die sich seiner Meinung nach als reine Befehlsempfänger Roms verstehen. Zusammen mit der Initiative „Kirche von unten“ und der „Leserinitiative Publik“ veranstaltet „Wir sind Kirche“ vom 16. bis 20. Mai ein Alternativ- oder Ergänzungsprogramm zum Katholikentag in Mannheim, bei dem all die Themen angesprochen werden sollen, die von der Kirche nicht diskutiert werden. Referenten sind etwa der Sozialethiker Friedhelm Hengstbach oder Eugen Drewermann. Der Forderungskatalog von „Wir sind Kirche“ umfasst unter anderem die Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien, die volle Gleichberechtigung der Frau bis hin zur Priesterweihe, die Abschaffung des Pflicht-Zölibats, eine positive Bewertung der Sexualität, in der Empfängnisverhütung und Abtreibung nicht mehr gleichgesetzt werden.

Frage: Sie haben in Münster Theologie studiert und sind Ratzinger-Schüler – können Sie verstehen, was er heute als Papst vertritt?

Magnus Lux: Nein. Es gibt Experten, die sagen, seine heutige Haltung habe sich schon damals angedeutet, es gebe keinen Bruch in seinem Leben. Ich aber würde sagen, man kann schon einen Bruch erkennen.

Wie würden Sie diesen Bruch beschreiben?

Lux: Sicherlich war der Papst dem traditionellen Katholizismus schon immer verbunden. Er war aber auch einer der entscheidenden Männer beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Das heißt, er hat wesentliche Dinge mit angeschoben. Gerade die deutschen Kardinäle von Köln und von München haben wesentlich zur Richtung des Konzils beigetragen. Und Ratzinger war einer der Theologen, die die Kardinäle beraten haben. Man kann also nicht sagen, dass er von Anfang an stockkonservativ gewesen sei.

Papst Benedikt hat aber auch die Deutungshoheit für das Zweite Vatikanische Konzil klar für sich beansprucht.

Lux: Richtig, und er spricht von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Dem möchte ich entschieden widersprechen. Um einen Text zu interpretieren, darf man nicht nur lesen, was drinsteht, sondern man muss ihn so lesen, dass man herausarbeitet, was in die Zukunft führt. Natürlich stehen – um das Ganze vor 50 Jahren konsensfähig zu machen – Dinge drin, die ich heute nicht mehr vertreten könnte. Aber man muss die Dinge sehen, wie sie sich entwickelt haben. Ein Beispiel: Natürlich ist das gängige Bild Priester – Bischof – Papst im Konzil festgeschrieben worden. Insofern hat der Papst natürlich recht. Aber: Diesem Kapitel ist das Kapitel über das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen vorangestellt worden. Das heißt also: Alles, was nach diesem Kapitel kommt, ist danach zu interpretieren und nicht umgekehrt.

Der Forderungskatalog von „Wir sind Kirche“ liest sich wie eine Liste all dessen, was Rom auf keinen Fall will. Wie will man da noch einmal eine gemeinsame Basis finden?

Lux: Das ist im Augenblick problematisch. Weil nicht nur die Kirchenleitung in Rom, sondern auch der Großteil der Bischöfe in Deutschland reformresistent ist. Hinter vorgehaltener Hand sagen manche, Ihr habt schon recht, aber im Prinzip geschieht nichts. Die Bischöfe fühlen sich mehr als Abteilungsleiter des Papstes denn als Hirten ihrer Diözese.

Sie haben aber den Eindruck, dass man mit dem einen oder anderen Bischof durchaus reden könnte?

Lux: Der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, hat vor einigen Monaten gesagt, er könnte sich durchaus vorstellen, dass es für die Priester – nicht für die Bischöfe – eine Lockerung des Zölibatsgesetzes geben könnte. Seitdem hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Oder: Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg, hat gesagt, er wird es noch erleben, dass Geschiedenen und Wiederverheirateten die Kommunion gereicht wird. Er ist sofort zurückgepfiffen worden von Meisner in Köln und vom Apostolischen Nuntius in Berlin, mit der Begründung, die Ehe ist unauflöslich. Das ist auch für Zollitsch selbstverständlich und das hatte er gar nicht gemeint. Er hat von Barmherzigkeit gesprochen. Aber dieser Begriff kommt in der römischen Kirche nicht vor.

Die Kluft zwischen Laien und Klerus wird ja von vielen Gläubigen wahrgenommen. Wie könnte sie überwunden werden?

Lux: Dieses Zweiklassensystem ist unbiblisch und damit unchristlich. Es hat sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet. In dieser scharfen Form erst an der Wende zum zweiten Jahrtausend. Es wird verschärft durch den jetzigen Papst, der eine neue Klerikalisierung betreibt. Das geht sogar so weit, dass er gesagt hat, die Diakone sind zwar geweiht, aber sie können Jesus Christus nicht repräsentieren wie der Priester und der Bischof. Das heißt also, selbst die Diakone werden ein Stück weit degradiert. Warum macht er das? Ich denke, aus zwei Gründen: Es gibt verheiratete Diakone, aber der Zölibat steht ja über allem. Zum anderen: Er hat für den Fall vorgebaut, falls doch mal eine Frau zur Diakonin geweiht werden sollte.

Sie könnte sonst ja durch die Hintertür ins Priesteramt rutschen.

Lux: Genau. Was da geschieht, ist doch der heutigen Zeit völlig zuwider. Das heißt aber nicht, dass wir dem Zeitgeist frönen wollen, wie es uns die Rechtskatholiken unterstellen. Johannes XXIII. hat ausdrücklich gesagt: Wir brauchen das Aggiornamento, das Heutig-Werden. Das heißt: Ich frage, was wollen die Menschen heute? Wie kann ihnen die Botschaft des Evangeliums in ihrem Leben helfen? Dann muss ich diese Botschaft und alles, was im Laufe der Zeit an Tradition entstanden ist, so formulieren, dass es die Menschen verstehen und auch leben können. Es genügt nicht, dass man alte Formeln wiederholt, die niemand versteht.

Wie werden denn diese Themen auf Gemeindeebene wahrgenommen?

Lux: Ich habe lange in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Da war immer die Meinung verbreitet, Zölibat geht doch die Leute nichts an. Da habe ich gesagt: Moment, wenn Euer Pfarrer heiratet, habt Ihr keinen mehr. Es gab in der Kirchengeschichte länger verheiratete Priester, Bischöfe und Päpste als unverheiratete. Das heißt also: Das Beharren auf dem Zölibat ist allein schon aus geschichtlichem Denken heraus fragwürdig. Papst Johannes XXIII. hat gesagt, mit einem Federstrich, seiner Unterschrift, könnte er das Zölibatsgesetz sofort ändern. Es heißt immer, Jesus hat unverheiratet gelebt, und der Priester lebe in der Nachfolge Jesu. Aber er hat auch besitzlos gelebt. Was ist also mit den Bischofspalästen und den dicken Mercedes? Die Crux ist doch, dass einfach festgelegt wird, das ist katholisch, und alles andere wird geflissentlich hinten runtergekehrt.

Gibt es hier also eine selektive Moral, oder gar eine Doppelmoral?

Lux: Ja, beides. Bei selektiver Moral denke ich an Homosexualität. Sicherlich finden wir im Alten und im Neuen Testament Verurteilungen der Homosexualität. Aber in welchem Kontext? Der Jude Paulus verurteilt das vor dem Hintergrund der griechischen Päderastie, das ist nachvollziehbar. Aber dass der Homosexuelle grundsätzlich als Sünder gilt, das geht doch nicht. Mittlerweile sagt die Amtskirche, den Homosexuellen muss ich akzeptieren, er darf nur seine Homosexualität nicht leben – und da bin ich dann bei der Doppelmoral.

Der Zölibat ist ja mitverantwortlich für den Priestermangel.

Lux: Unbedingt. Und was würde passieren, wenn all die Priester gehen würden, die sich – sagen wir mal: arrangiert haben? Um eines Prinzips willen wird den Gemeinden die Eucharistiefeier, die Mitte der Gemeinde, vorenthalten. Oder man legt Gemeinden einfach zusammen und macht so den Mangel zum Gesetz. In Gelsenkirchen hat die größte Gemeinde 40 000 Mitglieder, und der Pfarrer kennt alle persönlich.

Wie steht „Wir sind Kirche“ also zum Katholikentag in Mannheim?

Lux: Das Thema heißt „Einen neuen Aufbruch wagen“. Was heißt hier neu? Der Aufbruch war vor 50 Jahren beim Konzil. Der war einige Jahre später bei der Würzburger Synode. Aber das ist alles wieder verschwunden. Während wir einen neuen Aufbruch wagen, holt Ratzinger die Piusbrüder zurück. Das Rad wird von Rom aus rückwärts gedreht, und die Bischöfe ziehen mit. Als das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das ja auch den Katholikentag veranstaltet, beschlossen hat, wir wollen den Diakonat der Frau, kam 20 Minuten nach der Veröffentlichung schon die Reaktion der Bischöfe: Das sei wohl unmöglich. Dabei haben sie ganz vergessen, dass sie in Würzburg 1972 selbst dafür waren. Das ist damals nach Rom gegangen, und wir haben bis heute keine Antwort – aber 40 Jahre, was ist das schon? Alois Glück, der Präsident des ZdK, hat gesagt, von Mannheim sollen neue Impulse ausgehen. Wer aber soll diese Impulse setzen? Ein unverbindliches Reden wird auf Dauer nicht mehr genügen.

Was erwarten Sie also von Mannheim?

Lux: Ich erwarte mir, dass die Menschen Tacheles reden. Aber nicht nur reden, sondern auch sagen: Wir machen das jetzt einfach anders. Beispiel Augsburg: Der Bischof hat gesagt, die Gemeinden werden zusammengelegt, da haben die Gläubigen die Initiative „Wir umarmen unsere Kirche“ ins Leben gerufen. Die lassen sich das einfach nicht mehr gefallen. Aber grundsätzlich gilt leider: Rom erlässt zehn Gesetze, dass in Italien wenigstens eins eingehalten wird. Und die Deutschen halten alle elf ein.

Das Gespräch führte Mathias Wiedemann

http://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/-Ratzinger-war-nicht-von-Anfang-an-stockkonservativ;art9517,6790514

Zuletzt geändert am 06­.06.2012