8.6.2012 - Publik-Forum
Die Zeit des Gehorsams läuft ab
Von Thomas Seiterich
Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, der Erfinder des »Dialogprozesses« und Gastgeber des 98. Deutschen Katholikentages in Mannheim, ist normalerweise nicht schlecht im Schönreden von katastrophal blockierten katholischen Kirchenrealitäten. Doch ausgerechnet vor vielen hundert Leuten während des Gala-Abends zum 50. Geburtstag des Zweiten Vatikanischen Konzils entfährt dem Oberhirten ein bitterer, jedoch realitätshaltiger Gedanke: »Der Weg unserer Kirche in die Zukunft scheint verschlossen«, sagt Zollitsch im Bühnennebel und Scheinwerferlicht; denn »dicke und hohe Betonmauern« verstellten den Weg. »Wir müssen deshalb ein Schlupfloch suchen, einen Spalt in der Mauer.« Durch diese versteckte Lücke ziehe die Kirche dann in die Zukunft gemäß dem Mannheimer Motto »Einen neuen Aufbruch wagen«.
Nichtkatholische Zeitgenossen dürften sich schwertun, solch ein Spalt- und Schlupfloch-Denken nachzuvollziehen. Es fragt sich vor allem: Was meint Zollitsch mit dem Bild von der Betonmauer? Vermutlich das päpstliche Lehr- und Rechtssystem. Die evangelischen Kirchen, die Altkatholiken und auch die Orthodoxen gehen von Synodenabstimmung zu Synodenabstimmung oder von Kirchentag zu Kirchentag in die Zukunft - mehr oder weniger geradeaus. Ähnlich verläuft der Weg der Parteien, Gewerkschaften oder Verbände.
Doch die deutschen Katholiken, deren aufgeschlossene Aktive nach Mannheim eilten, um miteinander über den Weg in die Zukunft nachzudenken, erscheinen schizophren: In der »Welt«, als politisch und sozial engagierte Staatsbürger, sind sie Demokraten; das je bessere Argument gibt hier den Ausschlag in der Debatte. Doch in ihrer Kirche ist die Diskussion zum Beispiel über die Gleichberechtigung der Frauen beim Priesteramt vom Papst verboten. Auch müssen sich die Katholiken darein fügen, dass es keine synodale Demokratie gibt, keine Mitbestimmung des Gottesvolkes bei der Wahl in Leitungsämter.
Anders als im Staat, der in Sachen Menschenrechte historisch dazugelernt hat, diskriminiert die katholische Kirche homosexuell lebende Christen. Die Hierarchie schließt Nichtkatholiken in konfessionsverbindenden Ehen sowie geschiedene wiederverheiratete Katholiken vom offiziellen Herzstück katholischer Spiritualität, dem Kommunionempfang, aus, ebenso von anderen Sakramenten. Allerdings hat Erzbischof Zollitsch inzwischen erklärt, dass er sich dafür einsetzen wolle, dass Katholiken auch nach Scheidung und Wiederheirat die Kommunion empfangen können. »Wir sind an dem Thema dran«, wird der Vorsitzende der Bischofskonferenz zitiert, aber es brauche »einen langen Atem«.
Die Betonmauern päpstlicher Lehre und Verbote drohen, die Katholiken zu Sonderlingen in der demokratischen Gesellschaft zu machen. Dies befürchten und spüren viele. Immer mehr Katholiken entwickeln eine Art Scham für das Tun und Verbieten ihrer Hierarchen. Dies sagen einem Pfarrer aus Schwaben Teilnehmerinnen des Frauenforums wie auch im Straßengespräch Pfarrgemeinderäte aus gestressten Bistümern wie Augsburg, Passau oder Regensburg, die unter Hardliner-Bischöfen leiden.
Der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann beklagt im Aufbruchs-Forum »Raus aus der Wagenburg« das »Auseinanderwachsen von bürgerlichen und kirchlichen Standards«. Sein Grazer Kollege Rainer Bucher formuliert in der Großveranstaltung »Wir sind Dialog! Für eine sprachfähige Kirche an der Seite der Menschen« die Grunderkenntnis: Wenn eine Kirche nicht mithält mit den Menschenrechte-Standards der sie umgebenden Gesellschaft, dann begibt sie sich in eine sektenhafte Außenseiterposition. Wer wie die katholische Kirchenspitze systematische Unfairness zum eigenen Markenzeichen macht, zerstört die Fähigkeiten, die eigene religiöse Botschaft heutig, einladend und überzeugend zu vertreten.
Die Wut der Treuen
Abgebrüht und einigermaßen enttäuschungsresistent ist die Mehrheit der Teilnehmer des Katholikentags. Die Jahrgänge ab vierzig überwiegen. Sie sind die Treuen und Aktiven in den Pfarreien und Sozialverbänden. Die meisten haben amtskirchlich schon vielerlei erlebt, Aufbrüche und Verbote - und bleiben dennoch dabei. »Einen neuen Aufbruch« sollen sie nun also »wagen«.
Wie viel Aufbruch darf es denn sein? Darüber ist man sich im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wie auch in der Bischofskonferenz uneins. Deshalb wird die kleine Lösung angestrebt. Es geht um punktuelle Reformen, insgesamt um ein Facelifting, nicht jedoch um die fällige Erneuerung von Grund auf, wie sie der Jesuit Friedhelm Hengsbach im Alternativen Zentrum fordert, das von der Leserinitiative Publik, Wir sind Kirche und der Initiative Kirche von unten organisiert wird. Hengsbach attackiert die pyramidale Verformung und die Oben-unten-Unkultur seiner Kirche. Er votiert für eine geschwisterliche Basiskirche, die auf Jesus und auf die Gemeinden des Neuen Testaments schaut.
Der Aufbruchs-Katholikentag ist Teil des auf fünf Jahre angelegten »Dialogprozesses« der Bischöfe mit dem Kirchenvolk. Damit versuchen sie, aus der Glaubwürdigkeitskrise, in die sie nach der Aufdeckung der sexuellen Gewaltskandale und der amtskirchlichen Vertuschung der Verbrechen geraten sind, herauszusteuern. Politikthemen treten folglich in den Hintergrund. Doch bei diesem »Dialog« sind die Oberhirten die Hausherren. Sie setzen oder untersagen Themen. Die Frage nach Priesterinnen und Diakoninnen unterdrücken die Bischöfe. Wie kann da Aufbruch geschehen?
Ein Dialog, bei dem von vornherein festgelegt ist, worüber nicht gesprochen werden darf, sei kein Dialog, sagen mit Recht die Frauen im Forum »Frauenperspektiven für eine geschlechtergerechte Kirche«. Wut und Enttäuschung über die Oberkirche ist da zu spüren (siehe Seite 34). Annette Schavan, Bundesbildungsministerin und seit Langem eine Vordenkerin der Katholikinnen, hat jüngst hinzugefügt: »Meine Erfahrung als Politikerin lehrt: Wird ein Thema verboten, dann setzt sich dieses Thema in der Debatte unweigerlich durch.«
Der Pastoraltheologe Rainer Bucher kennzeichnet die aktuelle Debattenstruktur unter den engagierten Katholikinnen so: »Über 55 wird weiter darüber diskutiert, ob etwas zu tun kirchlich erlaubt sei. In der Generation unter 55 setzen Frauen längst neue Realitäten, sie bauen Kirche auf ihre Weise. Dies konzentriert die Fragen auf das Wie: Wie Gottesdienst feiern? Und wie den Glauben selbstbestimmt leben?«
Insgesamt zeigt Mannheim, dass und wie die deutschen Katholiken an der Basis in vielerlei Handlungsfeldern auf kreative Weise neue Realitäten schaffen - nötigenfalls ohne auf die Oberen zu warten. Vor allem so, durch den massenhaften, theologisch verantworteten Regelverstoß, ereignet sich Fortschritt in der pyramidal und juridisch zubetonierten Oberkirche.
Diese Erfahrung eines »vorauseilenden (Un)gehorsams« machten schon die Ökumenische Bewegung und die Katholische Jugendbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Sie drehten schon damals - in Belgien, Österreich, Frankreich und Deutschland - bei der Messfeier Priester und Altar zum Volk. Dieser Ungehorsam erfolgte aus Treue zum Glutkern der Kirche. Er schuf den theologischen Druck, der knapp fünfzig Jahre später beim Zweiten Vatikanischen Konzil zur Liturgiereform führte. - Ähnliches ereignet sich in der Gegenwart. Die Bischöfe, fixiert auf den unbremsbaren Schwund an ehelosen Priestern, zerstören die gewachsenen Gemeinden. Doch in vielen bedrohten Gemeinden läuft die Zeit des Gehorchens ab.
Ringen um die Zukunft
Zwei Männer stehen beispielhaft für das Ringen um die Zukunft: der Präsident des ZdK, Alois Glück, sowie der Vorsitzende der österreichischen Pfarrer-Initiative, Helmut Schüller. Ihre Rollen sind sehr verschieden. Schüller wollten die Veranstalter des Katholikentages nicht in Mannheim haben. Also luden ihn die Reformgruppen ein.
Schüller, der den Priesterkragen, die »Kalkleiste«, trägt, leitet die Pfarrei Probstdorf in Niederösterreich. Er war, nicht nur gemessen an der Zahl der TV- und Radio-Interviews, für viele der Star des Treffens. »Das Richtige und Nötige jetzt schon tun, und zwar öffentlich« - so lautet die Devise der 400 Priester der Pfarrer-Initiative. Nie zuvor haben so viele Gemeinden offengelegt, dass sie für Frauen am Altar sind und nichtkatholische Ehepartner oder Wiederverheiratete zur Kommunion zulassen.
Obgleich er den Ungehorsam der Pfarrer-Initiative nicht teilt, verteidigt der ehemalige CSU-Politiker Glück die österreichischen Priester. Wie ein Weberschiffchen bewegt sich der drahtige 72-Jährige zwischen den Bischöfen und den Laien hin und her. Als langjähriger Chef der CSU-Mehrheitsfraktion im Bayerischen Landtag beherrscht der Mann das Zusammenhalten von Unverträglichem. Glück will etwas, was laut Sozialwissenschaften kaum je möglich ist: Er will, dass der spürbare Schrumpfungsprozess die katholische Kirche nicht in den inneren Rückzug führt, sondern ins Gegenteil: zur Öffnung, zum Optimismus, zum Aufbruch, hin zu den Menschen von heute. Diese Zielsetzung hat hinter den Kulissen heftigen Streit ausgelöst. Nie waren die Gegensätze im Zentralkomitee sowie zwischen der Mehrheit der Laienvertreter und der Mehrzahl der Bischöfe so groß wie heute. Die Polarisierung wächst. »Ich sehe unter den Bischöfen einen Richtungskampf«, sagt Glück. Rund die Hälfte der Bischöfe blieb dem Katholikentag fern. »Das sind diejenigen, die kommunikativ oder theologisch mit der Kirchenbasis nicht klarkommen«, sagt ein Insider. Überhaupt machten sich die Katholiken keine Vorstellung, wie viel Zukunftsangst, Kleinmut und Ratlosigkeit unter den deutschen Bischöfen herrschten.
Regensburgs Bischof Gerhard Müller, einer der Lautsprecher der konservativen Riege, präsentiert sich als Gastgeber des nächsten Katholikentages 2014 in Regensburg auf unflätige Weise. Müller erklärt die Reformgruppen zu »parasitären Existenzen«, weil sie nichts Eigenes zustande brächten, sondern sich mit ihrem Zentrum an den Katholikentag anhängen müssten. Er unterschlägt, dass das Alternative Zentrum sich bescheiden selbst finanziert, der Katholikentag jedoch mit rund 5,6 Millionen Euro aus Kirchen- sowie Landes-, Bundes- und kommunalen Mitteln finanziert wird.
Alois Glück lässt sich durch solche Pöbelei nicht beirren. Der gewiefte Stratege sagt: »Es gibt für uns keine Themen- und Denkverbote.« Doch vor dem Mannheimer Treffen war er nach Rom geeilt, um dem Papst die Befürchtung zu nehmen, der Katholikentag starte eine Kirchenrevolution.
Sollen der Dialogprozess und »ein neuer Aufbruch« nicht scheitern, so muss ein echter Dialog zwischen Bischöfen und Kirchenvolk her. In Mannheim wagte den immerhin eine Handvoll Oberhirten: Bischöfe wie der Trierer Stephan Ackermann und der neue Kardinal von Berlin, Rainer Maria Woelki, der Osnabrücker Franz-Josef Bode, der Erfurter Joachim Wanke, der Rottenburger Gebhard Fürst oder der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Der besuchte sogar das Alternative Zentrum - als einfacher Zuhörer.
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Zuletzt geändert am 10.06.2012