11. September 2006 - Der Standard
"Wir sind Kirche" enttäuscht von Marien-Predigt des Papstes
München - Mit Enttäuschung hat die Reformbewegung "Wir sind Kirche" auf den Appell des Papstes zu verstärkter Marienfrömmigkeit reagiert. "Damit kann man modern denkende Menschen nicht mehr für den Glauben gewinnen", sagte der Sprecher von "Wir sind Kirche", Christian Weisner, am Montag der dpa in München. Papst Benedikt XVI. hatte zuvor bei seinem Gottesdienst in Altötting die zentrale Bedeutung der Marienfrömmigkeit für den katholischen Glauben hervorgehoben.
"Joseph Ratzinger kommt selber aus einem Milieu urbayerischer Frömmigkeit", sagte Weisner. Aber diese streng konservative Frömmigkeit finde auch in Bayern heute keinen breiten Rückhalt mehr. "So hindert auch die rigide Sexualmoral des Vatikans viele Menschen daran, in der katholischen Kirche ihren Glauben zu leben." Allerdings wolle er in seiner Kritik nicht so weit gehen wie der Kabarettist Mathias Richling, sagte Weisner. Richling hatte vor kurzem zu den Positionen des Papstes gesagt, es sei immer wieder schön zu hören, wie die Menschen vor 500 Jahren gedacht hätten.
Mehr Macht für Frauen gefordert
Wenn der Papst den Blick der Gläubigen wieder mehr auf Maria gerichtet sehen wolle, dann sollte die katholische Kirche den Frauen endlich mehr Wertschätzung einräumen, erklärte Weisner. "Frauen müssen an der klerikalen Macht beteiligt werden und zum Amt als Diakonin oder Priesterin zugelassen werden." Damit könnte auch dem Priestermangel begegnet werden, betonte Weisner. "Wenn der Papst selbst die Kraft für diese Reformen nicht mehr hat, dann sollte er wenigstens zum Denken in diese Richtung ermutigen." Auch der Zölibat (Gebot der Ehelosigkeit) müsse auf den Prüfstand, weil er viele junge Männer von der empfundenen Berufung zum Priesteramt abhalte.
"Von Maria lernen"
Am dritten Tag hatte Papst Benedikt XVI. seines Bayern-Besuchs die zentrale Bedeutung der Marienfrömmigkeit für den katholischen Glauben hervorgehoben. Bei einem Gottesdienst unter freiem Himmel im oberbayerischen Marienwallfahrtsort Altötting sagte das Kirchenoberhaupt am Montag vor 60.000 Gläubigen: "Von Maria lernen wir die helfende Güte, aber auch die Demut und Großzügigkeit, Gottes Willen anzunehmen". Benedikt ging in seiner Predigt nicht auf den fünften Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA oder andere aktuelle Themen ein.
Der Papst war am Morgen mit dem Hubschrauber von München zu dem wichtigsten Wallfahrtsort im deutschsprachigen Raum - jährlich kommen mehr als eine Million Pilger - geflogen. Bei der Fahrt im Papamobil zum Kapellplatz jubelten die Menschen wie am Vortag in München dem 79 Jahre alten Joseph Ratzinger begeistert zu. Bei strahlendem Sonnenschein schwenkten viele Gläubige Fähnchen in den Vatikan-Farben Gelb und Weiß. Manche sangen "viva il papa", und die Kirchenglocken läuteten.
Stilles Gebet bei Schwarzer Madonna
Der Papst begab sich vor der Messe zunächst zu einem stillen Gebet in die Gnadenkapelle, in der die Schwarze Madonna steht - eine hölzerne Marienfigur mit Jesuskind aus dem 14. Jahrhundert. "Ich habe das Glück, ganz in der Nähe von Altötting geboren zu sein. So gehören die gemeinsamen Wallfahrten mit meinen Eltern und Geschwistern an den Gnadenort zu meinen frühesten und schönsten Erinnerungen", hatte der Papst einmal geschrieben. Ratzingers Geburtsort Marktl am Inn - ein kleiner Abstecher dorthin stand am Montagabend auf dem Programm - ist rund zehn Kilometer von Altötting im Südosten Bayerns entfernt. Beide Orte gehören zum Bistum Passau.
Nach dem Gebet in der Kapelle schüttelte der Papst auf dem Kapellplatz vielen Pilgern die Hände. Viele Gläubige machten aus der Nähe noch ein Erinnerungsfoto vom Heiligen Vater. Mehrfach wurden ihm kleine Kinder gereicht, die er auf die Stirn küsste. Schon seit den frühen Morgenstunden hatten Tausende von Gläubigen - darunter sehr viele Jugendliche - auf die Ankunft des Papstes Vaters gewartet. "Vergelt's Gott", sagte der Papst nach dem herzlichen Empfang. Er empfinde - im persönlichen und im religiösen Sinn - ein tiefes Gefühl des Daheimseins.
Auch Ratzingers Bruder bei Messe
Mit der Marienverehrung griff Benedikt in seiner Predigt eines der bevorzugten Themen seines Vorgängers Johannes Pauls II. auf, der 1980 ebenfalls vor der Schwarzen Madonna von Altötting gebetet hatte und mehrmals im Wallfahrtsort Tschenstochau seiner polnischen Heimat zu Besuch war. Maria sei Sinnbild für liebevolle Fürsorge, für herzliche Güte und Hilfsbereitschaft. Maria sage Jesus nicht, was er tun solle, und sie bitte nicht um etwas Bestimmtes, schon gar nicht darum, dass er ein Wunder tue, sagte Benedikt in seiner Predigt. "Maria überlässt alles dem Herrn... Das ist ihre bleibende Grundhaltung. So lehrt sie uns beten: Nicht unseren Willen und unsere Wünsche Gott gegenüber durchsetzen wollen, sondern ihm überlassen, was er tun wird." Zu den Bischöfen und Priestern, die den Gottesdienst mit Benedikt feierten, gehörte auch dessen Bruder Georg Ratzinger.
Die Devotionaliengeschäfte des knapp 13.000 Einwohner zählenden Wallfahrtsortes hatten ihre Regale für den Tag des Papstbesuches noch einmal kräftig aufgefüllt. Neben Rosenkränzen in allen Variationen waren Kerzen mit dem Papst-Konterfei der Renner. Imbissbuden boten Papst-Bier einer nahe gelegenen Brauerei an.
Neue Anbetungskapelle eingeweiht
Nach der Messfeier weihte der Papst die neue Anbetungskapelle des Wallfahrtsortes. Für den Nachmittag war die Fahrt im Papamobil zur nahe gelegenen Basilika St. Anna geplant, wo er mit Ordensleuten und Priesteramtskandidaten einen Vespergottesdienst feiern wollte. Am Abend wollte der Past nach der Kurzvisite in Marktl mit dem Hubschrauber weiter nach Regensburg fliegen. Dort steht an diesem Dienstag auf dem Islinger Feld vor den Toren der Stadt wieder ein großer Gottesdienst unter freiem Himmel auf dem Programm, zu dem 300.000 Gläubige erwartet werden. Benedikt bleibt noch bis Donnerstag in Bayern. (APA/dpa)
Zuletzt geändert am 11.09.2006