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Veröffentlicht am 17­.05.2012

17.5.2012 -- www.zdf

Echter Aufbruch oder Lippenbekenntnis?

von Ulrich Pontes

Widerstreitende Strömungen: "Einen neuen Aufbruch wagen" lautet das Leitwort des 98. Katholikentags in Mannheim. Reformfreudige Gläubige vermissen aber gerade die Offenheit, Herausforderungen der Zeit angemessen zu begegnen.

Der verfemte Theologe Eugen Drewermann wird in Mannheim sprechen. Helmut Schüller, Gründer einer aufmüpfigen Pfarrer-Initiative aus Österreich, wird beim Forum "Kirchenreform für Anfänger: Strategien zwischen Dialog und Widerstand" zu Ungehorsam und eigenmächtigen Reformen vor Ort aufrufen: etwa ausgebildeten Laien die Predigt anzuvertrauen und Geschieden-Wiederverheiratete zur Eucharistie zuzulassen.

Reformer aus offiziellem Programm verbannt

Soviel Offenheit in der katholischen Kirche – nanu? Wer verwundert die Stirn runzelt, liegt richtig: Die erwähnten Redner sind nicht im offiziellen Programm des Katholikentags zu finden, sondern in einem von Reformbewegungen organisierten "Alternativprogramm". Trotz Ablehnung durch die Katholikentags-Leitung dürften die progressiven Ideen freilich auf Resonanz stoßen.

Das "Gegen-Treffen"
Parallel zum Katholikentag veranstalten die Reformbewegungen "Wir sind Kirche", "Kirche von unten" sowie die Leserinitiative der Zeitschrift "Publik Forum" ab Donnerstag ein dreitägiges Gegenprogramm in der evangelischen Johanniskirche. Mit Rednern wie dem Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, Kirchenkritikern wie Hermann Häring oder der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor wollen die Initiatoren "'Alternativen zur herrschenden Leere' in Kirche und Staat" präsentieren.

Viele Katholiken verstehen bestimmte Punkte der offiziellen Linie aus Rom längst nicht mehr. Heiße Eisen sind der Pflichtzölibat, Frauen im Priesteramt, innerkirchliche Demokratie oder der Umgang mit Wiederverheirateten. Bewegungen wie "Wir sind Kirche" beackern alle diese Punkte, manches prangerten 300 Theologieprofessoren 2011 in einem Memorandum an; bezüglich der Wiederverheirateten sprach gar der Bischofskonferenz-Vorsitzende Robert Zollitsch von Änderungsbedarf.

Kirche als elitärer Traditionalisten-Zirkel?

Der Vatikan indes mauert bei den Reformanliegen. Derweil treibt er die Wiedereingliederung der erzkonservativen Piusbrüder voran. Kritiker sind entsetzt: Die Kirchenleitung erstarre in Tradition und Dogma, statt sich den wahren Nöten von Gemeinden und Menschen zu stellen, lautet der Vorwurf. Dazu kommt die Befürchtung, die einstige Volkskirche könnte zum elitären Zirkel derer verkommen, die sich kritiklos der Tradition unterwerfen.

Zu der "Konzilsgala", mit der in Mannheim der Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren gefeiert werden soll, sehen die Reformgruppen denn auch keinen Anlass. Das Konzil hatte zu einer überfälligen Erneuerung der Kirche geführt: Seither werden etwa Messen in der Landessprache statt auf Latein zelebriert, zudem bekannte sich die Kirche zu Religionsfreiheit und Trennung vom Staat.

Küng: Bußandacht statt Gala

Die positiven Ergebnisse des Konzils interpretiere der Papst nun zunehmend rückwärts, kritisierte der Tübinger Theologe Hans Küng vergangene Woche in der "Süddeutschen Zeitung". Küng war ebenso wie Joseph Ratzinger selbst am Konzil beteiligt. Als Papst stehe Ratzinger allerdings Strukturreformen und der Ökumene im Weg, schreibt Küng. Die Einladung zur Konzilsgala habe er abgesagt: Anlass bestehe eher zu einer "Bußandacht oder zu einem Trauergottesdienst".

Denn nicht nur der seit Jahren andauernde, durch den Missbrauchsskandal noch beschleunigte Rückgang der Mitgliederzahlen bedroht die Kirche. Viel drängender ist längst die Nachwuchskrise. Kaum einer will mehr Priester werden, immer weniger Geistliche müssen die knapp 25 Millionen Katholiken in Deutschland versorgen. Gemeinden werden deshalb zu immer größeren "Seelsorgeeinheiten" zusammenlegt.

ZITAT
„Wer die Probleme zu meistern versucht, indem er ängstlich an den alten Strukturen festhält. beschleunigt den Niedergang”
Paul Zulehner, Pastoraltheologe

Priester als rastlose Sakramentenspender

In Österreich ist die Situation vergleichbar. Dort hat die erwähnte Pfarrer-Initiative vernehmlich Alarm geschlagen. "Wir sagen NEIN zu immer mehr Eucharistiefeiern am Wochenende", heißt es in einer Protestnote – die Priester wollen nicht zu "reisenden Sakramentenspendern" ohne Zeit für Gespräch und Begegnung werden. Statt den Mangel zum Gesetzgeber zu erheben, solle man ihm "durch die Änderung unbiblischer Kirchengesetze" abhelfen: etwa indem man Frauen und Verheiratete zum Priesteramt zulässt. Derartige strukturelle Aufbrüche erachtet auch der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Zulehner für notwendig. Zulehner, der in Mannheim immerhin im offiziellen Programm sprechen darf, sieht die Kirche in einer Umbaukrise. Statt Schicksal sei Religion heute eine Frage der Wahl, Kirche müsse durch attraktive Angebote überzeugen. "Wer die Probleme zu meistern versucht, indem er ängstlich an den alten Strukturen festhält, beschleunigt nur den Niedergang" – mit Fantasie und innovativen Ideen könne man aus der neuen Situation dagegen viel machen.

Links
98. Mannheimer Katholikentag
Die Pfarrer-Initiative
Alternativprogramm des Katholikentages

http://www.heute.de/ZDF/zdfportal/web/heute-Nachrichten/4672/22600654/9710fb/Echter-Aufbruch-oder-Lippenbekenntnis.html?tabNo=1

Zuletzt geändert am 12­.06.2012