11. September 2006 - St.Galler Tagblatt
«Danke Gott für diese Heimat»
Papst Benedikt XVI. hat sich gestern in München mit kritischen Worten über den Zustand des Glaubens in Deutschland an seine Landsleute gewandt. Zur Predigt kamen 250 000 Menschen.
fritz dinkelmann/berlin
«Ich danke Gott für diese schöne Heimat – und die Menschen, die sie dazu gemacht haben»: Schon bei der Begrüssung der Gläubigen auf dem Münchner Messegelände hat Papst Benedikt XVI. Sätze formuliert, die so klar gedacht sind, dass sie auch Menschen in ihren Bann ziehen, die weder katholisch noch anderswie religiös sind. Und er hat über das Fehlen Gottes in dieser Gesellschaft auf eine Weise geredet, dass ihm wohl auch jene zugehört haben, die diese Absenz bislang noch gar nicht bemerkt haben. Und zwar darum, weil dieser Papst nicht über die Abwesenheit Gottes gejammert hat, sondern die einfache Frage stellte, warum die Menschen das «gar nicht spüren». «Scheinbar geht alles normal weiter», sagte er, und liess die Leute wie Kinder immer weiter fragen: Warum scheinbar? Also fragte der Papst weiter: «Aber geht es wirklich einfach so weiter, wenn Gott in unserem Leben, in unserer Welt ausfällt?» Dieser Papst treibe «nach Jahren des Individualismus» wieder «eine Wertedebatte» an, bemerkte «Spiegel Online».
«Toleranz ist Ehrfurcht»
Papst Benedikt XVI. hat in München im Kern zu Menschen gesprochen, die nicht wissen, worunter sie leiden. Und darum lautet seine Frage: Wenn Gott fehlt, warum wird er nicht vermisst? «Be-ne-detto», wie ihn die Menschenmassen feierten, sprach von Taubheit. Es gebe «nicht nur die physische Gehörlosigkeit, an der wir leiden», sondern Gott werde nicht mehr gehört, weil wir «zu viele andere Frequenzen» im Ohr hätten. Zu erkennen sei, «dass unsere Beziehung zur Wirklichkeit drastisch und gefährlich eingeschränkt» würde, wenn es so weiter gehe.
Doch dieser geistige Oberhirte der katholischen Kirche leitete daraus nichts Anmassendes ab, sondern rief zur Toleranz auf, «die wir dringend brauchen». Und er suchte Begründungen: «Toleranz ist die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist.» Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen «setzt aber voraus, dass wir selbst diese Ehrfurcht vor Gott wieder lernen».
Helfen ohne Gottes Hilfe?
Dass ein Papst dazu aufruft, Gott zu entdecken, ist an sich wenig originell. Und Frauen wie Annagret Laakmann werden wohl sagen, dass Benedikt XVI. in München zu den heiklen Fragen geschwiegen hat. Sie ist Sprecherin der katholischen Laienorganisation «Wir sind Kirche» und hat im Vorfeld des Besuchs die «Lebensferne» dieses Mannes kritisiert.
Auch wenn Papst Benedikt XVI. in der Münchner Predigt tatsächlich nichts gesagt hat zu den bekannten Streitpunkten: nichts über Frauen im Priesteramt, nichts über das Verbot von Empfängnisverhütung, nichts über schwule Priester – also nichts Relevantes? Als Benedikt XVI. etwa davon erzählte, dass Bischöfe aus aller Welt immer wieder «von der Grossherzigkeit der deutschen Katholiken» erzählen, damit in aller Regel aber lediglich meinten, dass soziale Projekte unterstützt werden, fügte er hinzu: «Offenbar herrscht da noch bei manchen die Meinung, soziale Projekte müssten mit höchster Dringlichkeit» vorangebracht werden, «die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien doch eher nicht gar so wichtig».
Zuletzt geändert am 12.09.2006