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Veröffentlicht am 11­.09.2006

11. September 2006 - Süddeutsche Zeitung

Ein freundlicher Bewahrer

Auch Benedikt XVI. gelingt es nicht, seine Kirche mit der Moderne zu versöhnen

Von Joachim Käppner

Der Himmel schien strahlend blau, passend zu einem gelungenen Fest des Glaubens. Der Papst besuchte seine alte bayerische Heimat, und sein Besuch enthielt emotionale, sogar anrührende Momente. Manches, was er in München sagte, wird den Augenblick überdauern: der Aufruf zu besserer Integration der Muslime, zur Rücksicht gegenüber anderen Kulturen, über die Grenzen der Forschung.

Aller Jubel, alle Glaubensseligkeit und Heimatfreude können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die katholische Kirche in einer Identitätskrise steckt. Der Papst zeigte einmal mehr eine menschlich einnehmende, gelassene Art der Amtsführung. Doch ist das der Stil, nicht der Inhalt. Dieser Papst ist ein freundlicher Bewahrer, Bewahrer auch von vielem, was überfälligen Reformen den Weg versperrt.

Die Zahl der Gläubigen geht zurück und mit ihr die Bindekraft der Kirche. Und die Jugend ist immer weniger bereit, Dogmen der Kirche auf das eigene Leben zu übertragen: die verknöcherte Sexualmoral, die Zurücksetzung der Frauen, die fragwürdigen Positionen zur Empfängnisverhütung in Zeiten von Aids. Der Aufruf Benedikts XVI. an die Jugend, der dem Besuch voranging, ist ein Dokument der Entfremdung und seine dort geäußerte Bitte, sich zum Priester- und Ordensdienst bereitzufinden, ein Ausdruck der Ratlosigkeit.

Der katholischen Kirche geht das Personal aus, zumindest in der ersten Welt. In vielen deutschen Gemeinden, selbst dort, wo es durchaus noch eine kirchennahe Basis gibt, fehlen Priester. Es ist vielerorts schon üblich, dass ein Geistlicher mehrere Pfarreien betreuen muss. Auch so lösen sich Bindungen.

Das aber ist nicht einfach eine Folge der auch von Benedikt XVI. so lebhaft beklagten Erscheinungsformen der Moderne; es liegt eben nicht nur am Zynismus der westlichen Welt und der „Überschätzung der Vernunft gegenüber dem Glauben“, wie der Papst bei der Messe in München-Riem sagte. Es liegt auch an der Kirche selbst, die am Zölibat festhält wie an einem Heiligtum, dabei ist es in dieser Strenge nur eine aus dem Geist des 11. Jahrhunderts geborene Verirrung. Die Kirche weist Frauen einen Status zu wie in alter Zeit, als sie in der Kirche hinten auf den schlechten Plätzen zu sitzen hatten. Sie nimmt ihre eigenen Laien nicht recht ernst, jedenfalls dann nicht, wenn sie auf Teilnahme pochen. Sie könnte ihre Werte und Glaubensüberzeugungen, ja ihre faszinierende Liturgie und Mystik und sogar die Sonderrolle des Papstes ja durchaus behalten, wenn sie all dies ändern und sich öffnen würde.

Die katholische Kirche hat die Kraft der Tradition bewahrt. Das ist ihre Stärke. Es ist aber nicht gelungen, Tradition und Moderne miteinander zu versöhnen. Das ist ihre Schwäche. Es sieht nicht so aus, als könne Benedikt XVI., der nicht zu Unrecht manchmal ein Papst des Übergangs genannt wird, diese Schwäche beseitigen.

Zuletzt geändert am 12­.09.2006