12. September 2006 - Münchner Wochenanzeiger
Messestadt Riem · Ein Tag der Superlative
Messestadt Riem · Gläubig war, wer am Sonntag bereits um drei Uhr morgens zur Neuen Messe nach Riem pilgerte. Glück hatte, wer erst zu Beginn des Gottesdienstes um zehn Uhr eintrudelte. Denn entgegen aller Ankündigungen wurden zu Beginn von Papst Benedikts Predigt die Tore zum Open-Air-Gelände wieder aufgesperrt, was so manchen treuen Katholiken verärgerte, der stundenlang in der spätsommerlichen Frische ausgeharrt hatte.
Sei’s drum, kurz später war der Ärger vergessen, und eine Viertelmillion Menschen – viele in Dirndl und Lederhose – feierten in Riem, direkt neben den Messehallen, »ihren« bayerischen Papst mit »Benedetto«-Rufen. An der heiligen Messe nahmen neben vielen Münchnern auch Bundespräsident Horst Köhler, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sowie mehr als 60 Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt teil. Zu hören bekamen sie nachdenkliche, lobende und auch mahnende Worte. »Die katholische Kirche in Deutschland ist großartig durch ihre sozialen Aktivitäten, durch ihre Bereitschaft zu helfen, wo immer es Not tut«, sagte Papst Benedikt.
Überall auf der Welt bekomme er Dankesworte für die Unterstützung der deutschen Katholiken in Notsituationen. Gleichzeitig aber seien viele Bischöfe aus Ländern der Dritten Welt irritiert, wenn sie den Zustand der katholischen Kirche in Deutschland sähen. Es scheine, als hätten die Menschen hierzulande eine »Schwerhörigkeit Gott gegenüber« entwickelt. »Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr.« Der Papst forderte die Deutschen auf, sich wieder auf das Evangelium zu besinnen. Ausdrücklich nannte er die Immunschwächekrankheit Aids, die von »ihren tiefen Ursachen her« nur über eine Besinnung auf die moralischen Maßgaben von Jesus Christus bekämpft werden könne. »Das Soziale und das Evangelium sind nicht zu trennen.« Die Menschen müssten die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen: »Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott.«
Beim Angelus-Gebet, mit dem der Papst die Münchner verabschiedete, nannte er den Gläubigen Maria als Vorbild. Sie möchte die Menschen zu Gott hinführen und ihnen einen Lebensstil lehren, »in dem Gott als Zentrum der Wirklichkeit und als Zentrum unseres eigenen Lebens erkannt wird«, so Benedikt.
Worte, die – wie die gesamte Predigt – in Riem mit bayerischen Fahnen und kleinen Vatikanflaggen gefeiert wurden, die aber nicht ganz ohne Kritik blieben. Wenn der Papst den Blick der Gläubigen wieder mehr auf Maria gerichtet sehen wolle, dann sollte die katholische Kirche den Frauen endlich mehr Wertschätzung einräumen, erklärte die katholische Laienorganisation »Wir sind Kirche«: »Frauen müssen an der klerikalen Macht beteiligt werden und zum Amt als Diakonin oder Priesterin zugelassen werden.« Genauso gelte es, das Zölibat zu überdenken.
Max Hägler
Zuletzt geändert am 12.09.2006