| |
Veröffentlicht am 05­.07.2012

5.7.2012 - Christ & Welt Ausgabe 28/2012

Das Wundern ist des Müllers Lust

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller ist neuer Präfekt der Glaubenskongregation. Braucht dieses Amt überhaupt jemand? Eine protestantische und eine katholische Antwort von Wolfgang Thielmann und Christiane Florin

Von Wolfgang Thielmann: Christen brauchen keine Glaubenskongregation. Erzbischof Gerhard Ludwig Müller aus Regensburg, der seit seiner Ernennung am Montag diese zweithöchste Behörde der katholischen Kirche leitet, könnte sich Wolfgang Bötsch zum Patron nehmen, den letzten Postminister der Bundesrepublik. Bötsch besaß die Größe, sich und sein Ministerium abzuschaffen. Er sah, dass es bloß unnötige Opfer kostet, sich gegen die Zeit zu stemmen. Vor 15 Jahren trat er zurück. Bis dahin war Telekommunikation ein hoheitlicher Gnadenakt. Wie Bittsteller suchten wir um den Gunsterweis eines Fernsprechanschlusses nach. Acht Wochen Wartezeit waren normal. Plakate an Telefonzellen blafften uns an: Fasse dich kurz, auch andere wollen reden! Und das Thermopapier in den schleppend eingeführten Fernkopierern, wie Faxgeräte damals amtlich zu nennen waren, stank wie der Limbus puerorum, die Vorhölle, die Papst Benedikt 2007, zehn Jahre nach dem Rücktritt von Wolfgang Bötsch, aus dem Glaubensfundus der katholischen Kirche strich.

Als der Postminister die Tür hinter sich abschloss, brach kein Chaos aus. Wir vermissten kein Gesetz, das bis dahin gegolten hatte. Zwar müssen wir uns jetzt selber durch den Tarifdschungel schlagen, aber jeder Tarif ist günstiger als der eine von damals. Wir können reden, was wir wollen, wo wir wollen und solange wir wollen. Keine Flatrate hat unsere kommunikativen Grundüberzeugungen verflacht. Wir sind froh, wenn Kinder per Handy erreichbar sind. Wir können Briefmarken mit unserem eigenen Porträt kaufen.

Wer benötigt Fernmeldezeugämter? Wer hat je die amtliche Unterscheidung zwischen Postsäcken und Postbeuteln gebraucht? Die Postmoderne hat uns freier gemacht. Freiheit muss man zwar gestalten. Aber sie prickelt auf der Zunge. Betreutes Reden, Denken und Glauben macht nicht halb so viel Spaß.

Längst definieren auch Katholiken selber mit, was katholisch ist, in jedem Land ein bisschen anders. Es gehört zur katholischen Frömmigkeit, Papst und Bischöfen zuzujubeln, aber im Alltag seinen Weg zu suchen und das persönliche Glaubensgebäude mit eigenen Strichen zu zeichnen. An der Hierarchie kann man sich orientieren, mehr aber auch nicht. Ihr unterwürfig zu folgen, dafür finden sich die meisten Europäer zu gebildet. Tatsächlich sind Katholiken in Polen, Deutschland, den USA und auf den Philippinen genauso verschieden wie Lutheraner, Methodisten und Pfingstler. Die Einheit der katholischen Weltkirche wird geglaubt und behauptet, aber beileibe nicht gelebt – wo kämen wir denn da hin! Sie besteht wesentlich in dem einen Mann an der Spitze. Die lehrmäßigen Noten der Glaubenskongregation ändern an der gelebten Pluralität so viel wie die Gurkenkrümmungsverordnung der Europäischen Union an den Wachstumsbedingungen im Spreewald.

Hätte der von den Piusbrüdern so verehrte Papst Pius X. doch Mut bewiesen! Er hatte eingesehen, dass dem Protestantismus und anderen Irrlehren nicht mit inquisitorischem Eifer beizukommen war. Also steckte er die Verfolger des falschen Glaubens 1907 in eine Behörde, statt sie nach Hause zu schicken. Oder Paul VI.: Er stutzte das Heilige Offizium 1965 zum vatikanischen Dikasterium zusammen und nahm ihm den Index verbotener Bücher aus der Hand. Der hatte die katholische Kirche bloß isoliert, und es war überfällig, ihn abzuschaffen. Seine Verwalter ließ der Papst im Amt, statt sie summa cum laude in ein Fünfsternekloster zu empfehlen. Es liegt an der Angst der Kurie vor Reformen, dass es die Glaubenskongregation immer noch gibt. Paul VI. beauftragte sie, „die Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche zu fördern und zu schützen“. Das versuchten die Glaubenshüter etwa damit, dass sie dem Theologen Hans Küng den Mund verboten. So verhalfen sie ihm international zu Ruhm und Ehre – und zu Geldgebern, um in der „Stiftung Weltethos“ eine weitere Konkurrenz zur katholischen Sittenlehre aufzubauen. Die Arbeit der Glaubensschutztruppe hat ihre größte Stärke darin, Mitglieder der eigenen wie die anderer Kirchen vor den Kopf zu stoßen.

Besondere Qualität bewies dabei Müllers Vorvorgänger Joseph Ratzinger – der, der jetzt Papst Benedikt ist und Müller als Glaubenspräfekten wollte. Benedikt vertritt die These vom postministeriellen Verfall: Alles geht den Bach hinunter. Er muss retten, was zu retten ist. Deshalb beendete Ratzinger vor zwölf Jahren die bisherige Ökumene mit den Protestanten und legte Wert darauf, dass sie nicht Kirche im eigentlichen Sinne seien. Vor elf Jahren befahl er seinen Bischöfen, neue Bibelübertragungen zur Kontrolle vorzulegen. Das bedeutete das Ende der Einheitsübersetzung zusammen mit den Protestanten. Die mochten sich von keiner Kongregation einheizen lassen.

Katholische Politiker sahen sich von Ratzinger belehrt, dass sie in Fragen des Lebens eigentlich keine Kompromisse schließen dürften. Inzwischen wird den Katholiken in Deutschland das politische Spitzenpersonal knapp. Seit diesem Mai, seit der ehemalige evangelische Pastor Joachim Gauck als Bundespräsident die Freiheit predigt und damit Menschen begeistern kann, geht ihnen noch krasser als bisher auf, dass die Glaubenshüter in Rom dem nichts entgegenzusetzen haben als Vorschriften.

Die braucht niemand. Was Glaube bedeutet und wie er den Duft der Freiheit verströmt, das haben Christen längst herausgefunden. Die Glaubenskongregation kann sich ein Beispiel am Postministerium nehmen und ihre Arbeit einstellen.

http://www.christundwelt.de/detail/artikel/das-wundern-ist-des-muellers-lust/






Das ewige Kind oder Warum wir dieses Amt brauchen

Von Christiane Florin: Die Glaubenskongregation als Postministerium? Ein so profaner Vergleich kann nur einem Protestanten einfallen. Kein Sinn fürs Zeremoniell, kein Gespür für die Komplexität der katholischen Seele. Sicher, „Rom“ hat im mittleren Segment des deutschen Katholizismus denselben Klang wie „Brüssel“ im politischen Diskurs: weitab vom Alltag und noch weiter entfernt von demokratischer Legitimation. Die EU-Kommission ersinnt Traktorensitzverordnungen, die Glaubenskongregation „Noten über die Banalisierung der Sexualität im Hinblick auf einige Textstellen aus ,Licht der Welt‘.“ Das kann man empörend finden oder skurril, das kann zu Traktaten inspirieren oder zu Karnevalsliedern. Beim Wort nimmt es kaum jemand.

Exakt 126488 Katholiken haben 2011 die deutsche katholische Kirche verlassen, das sind deutlich weniger als im Skandaljahr 2010. Ein kleiner Erfolg. Dennoch: Wenn es so weitergeht, ist in gut 200 Jahren niemand mehr da, für den sich eine deutsche Übersetzung der Lehrschreiben lohnt.

So lange kann der katholische Mensch warten, lieber protestantischer Kollege: Der Katholik schafft nämlich nicht gern etwas ab. Sein Kopf ist so voll gestopft mit Ewigem und Provisorischem wie seine Kirchen. Auch die Vorhölle geistert noch darin herum. Er wirft nichts weg, was noch gebraucht werden könnte. Er harrt lieber aus, bis sich eine Sache von selbst erledigt hat. So war das mit der Inquisition, so wird das mit der Glaubenskongregation sein. Noch aber hat der Katholik dieses Gegenüber bitter nötig. Alle Gedanken, Worte und Werke, die ihm Rom verbietet, denkt, spricht und vollbringt er trotzdem. Oder besser: Er denkt, spricht und vollbringt sie gerade deswegen. Frauenordination, gemeinsames Abendmahl, Sex vor, neben und nach der Ehe – diese Themen wären reizlos, wenn nicht der Hauch des Verbotenen sie umwehte.

Protestanten tun immer so erwachsen. Der Katholik aber, ob links- oder rechtsbetend, ist ein ewiges Kind. Wie jeder Nostalgiker fühlt er sich hin- und hergerissen zwischen Sentiment und Ressentiment. Er wünscht sich den Heiligen Vater als Vor- oder Feindbild; er braucht die römischen Glaubensgouvernanten, um mal folgend, mal abweichend seinen Weg durchs Leben zu finden. Der katholische Mensch ist der geborene Dialektiker; zwei Seelen wohnen stets in seiner Brust, These und Antithese, Norm und Barmherzigkeit. Lebenslust bezieht er aus dem Regelverstoß, Leidenslust auch.

Reinhard Kardinal Marx warnte jüngst vor dem schleichenden Atheismus in der Kirche und meinte damit wohl, dass vielen der Regelverstoß nicht einmal mehr auffällt. Gläubige betätigen sich als Hobby-Herrgottsschnitzer und vergessen dabei den amtlichen Herrgott. Jesus ist da wichtiger als Christus und Maria Magdalena verehrungswürdiger als die Gottesmutter Maria. Mag sein, dass selbst den frömmsten Bayern die Schnitzanleitungsverordnung aus Rom abhandengekommen ist. Doch antiautoritär sind sie deshalb noch lange nicht. „Papa, müssen wir heute wieder glauben, was wir wollen?“– das wäre die Hölle.

Gerhard Ludwig Müller, der neue Präfekt der Glaubenskongregation, ist des antiautoritären Erziehungsstils unverdächtig. Er hat ein Standardwerk zur Dogmatik geschrieben, die reine Lehre verteidigt er in seinem Bistum Regensburg mit harter Hand. Seine Kraft bekamen sowohl Rechtsgläubige als auch linke Laien zu spüren. Die Piusbrüder beschimpfen ihn darob als „Häretiker“, die Basisgruppe „Wir sind Kirche“ fürchtet ihn als Hardliner.

Müller kennt die verschiedenen Seelen in der Brust aus eigener Erfahrung, er ist ein Würdenträger der Widersprüche, für viele ein wunderlicher Zeitgenosse. Er gilt als gottesfürchtiger Mann, doch dass Gott die Liebe ist, hört man ihm nicht immer an. Unlängst bezeichnete er in einem dpa-Interview kirchliche Reformgruppen als „parasitäre Existenzform“. Es gab zwar Streit um die Autorisierung, doch da war das Unmenschen-Vokabular schon in der Medienwelt. Medienmärtyrer bringen es weit in Rom.

Vor gut einem Jahr erregte Müller die Gemüter, als er Hans Maier das Haus verbot. Der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken durfte seine Memoiren nicht in Räumen des Bistums Regensburg lesen. Geärgert hatte den Bischof eine Passage, in der Maier den früheren Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, wegen dessen Nein zur kirchlichen Schwangerenkonfliktberatung kritisierte. Konnte Joseph Ratzinger ein reines Gewissen haben, fragte Maier zwischen den Zeilen, oder hatte er nur seine Hände in Unschuld gewaschen? Es war dieser Pilatus-Vorwurf, der Müller besonders erboste.

Nun sieht es so aus, als habe der theologische Übervater Joseph Ratzinger einen Sohn im Geiste für sein Haus bestellt. Müller bewahrt nicht mehr nur Regensburgs Diözesanbuchhandlungen vor dem Schmutz der Welt, sondern die ganze Weltkirche. Benedikt XVI. hat einen Joseph II. installiert. Es geht weiter mit Dogmatik und Dialektik, vor allem aber mit jener deutsch-katholischen Lebens- und Leidenslust, an der sich auch Protestanten beteiligen können.

Von Glauben und Liebe war kurz die Rede, nun ist noch ein wenig Platz für die Hoffnung. Anders als Joseph Ratzinger sah Gerhard Ludwig Müller in der Befreiungstheologie nicht nur die Gottferne des Marxismus, sondern durchaus eine Nähe zum Evangelium. Möge sich die Glaubenskongregation unter seiner Leitung weniger um den Genitalbereich und mehr um Gerechtigkeit kümmern.

http://www.christundwelt.de/detail/artikel/warum-wir-dieses-amt-brauchen/

Zuletzt geändert am 06­.07.2012