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Veröffentlicht am 17­.08.2012

17.8.2012 - Main-Post

Doppelmoral der Kirche

Magnus Lux, Sprecher von „Wir sind Kirche“: Pfarrer sollen zu allem stehen können, was sie tun

Wer in der Debatte über die Kommunion für Katholiken, die nach ihrer Scheidung wieder geheiratet haben, wirklich mitreden will, sollte sich mit Magnus Lux unterhalten. Der Diplom-Theologe und pensionierte Gymnasiallehrer kann sehr klar und pointiert die geschichtlichen, theologischen und moralischen Aspekte erläutern. Lux, 1943 geboren, wohnhaft in Schonungen, ist einer von sechs Sprechern im Bundesteam der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ und gilt als profilierter Kritiker des Papstes und der deutschen Bischöfe, die sich seiner Meinung nach als reine Befehlsempfänger Roms verstehen.

„Im Leben von Menschen gibt es Brüche. Die Kirche muss sich dieser Lebenswirklichkeit stellen“, sagt Lux. Er weiß von vielen Pfarrern, die den nach Scheidung Wiederverheirateten die Kommunion reichen, aber nicht darüber reden. Lux und seine Mitstreiter von „Wir sind Kirche“ kämpfen dafür, dass Priester zu allem stehen können, was sie tun, und es auch öffentlich machen.

Er führt folgende geschichtliche Hintergründe an: Es stimme nicht, dass nach Scheidung Wiederverheiratete immer von den Sakramenten ausgeschlossen waren. In der orthodoxen Kirche, so Lux, sind sie es bis heute nicht. Dort ist das Heil der Seelen oberster Grundsatz. Auch in der römisch-katholischen Kirche gab es bis ins 11. Jahrhundert eine „milde“ Richtung. Eine Zweitehe wurde im Falle des Scheiterns der ersten Ehe oder anderer schwerwiegender Gründe toleriert. Daneben gab es die „rigorose“ Linie, wie Lux sie nennt, die sich im Konzil von Trient (1554-1563) völlig durchgesetzt hat. Danach kann das Eheband auch nicht wegen Ehebruchs gelöst werden. Keiner kann zu Lebzeiten des Gatten eine neue Ehe eingehen. Wer es dennoch tut, begeht Ehebruch.

Magnus Lux sagt ganz deutlich, dass sich die rigorose Auffassung nicht auf ein Jesus-Wort beziehen könne, denn das sei nicht Gesetz, sondern ethische Weisung. Damit ist er bei den theologischen Gründen, die er wie folgt formuliert: Die Kirche beruft sich auf die Aussage von Jesus „Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen“. Aber Jesus habe sich mit diesem Satz nur gegen die gängige Gesetzespraxis gewandt, nach der Männer ihre Frauen einfach verstoßen konnten. Daraus ein neues Gesetz Jesu zu machen, sei fragwürdig, so Lux. Andere Aussagen von Jesus legt die Kirche schließlich auch nicht so eng aus. Niemand folgt beispielsweise seinem Satz, denjenigen, die Kinder verführen, solle ein Mühlstein um den Hals gehängt und sie sollen in den Tiefen des Meeres versenkt werden.

Für Magnus Lux sind die Worte Jesu verbindliche Richtlinien. Es gehe darum, sie in unsere heutige Sprache und Denken zu übertragen, damit sie gelebt werden können. Der Theologe kritisiert, dass alte Formeln wiederholt werden, mit denen heute niemand mehr etwas anfangen kann. Als dritten Aspekt nennt der 68-Jährige die Unterscheidung zwischen kirchlichem Gesetz und Gewissen. Das Gewissen ist oberste subjektive Norm, das Gesetz oberste objektive Norm. Das Gewissen müsse sich zwar am Gesetz orientieren, aber was sei denn, wenn das Gewissen zu einem anderen Schluss kommt, fragt Lux. Josef Ratzinger habe als Kardinal 1993 formuliert, dass es den Betroffenen nicht zustehe, nach ihrem Gewissen zu entscheiden. „Das ist falsch“, sagt Magnus Lux. Die Gewissensentscheidung stehe über dem Gesetz. Deswegen sei die Zulassung der nach Scheidung Wiederverheirateten zur Kommunion nicht nur ein Akt der Barmherzigkeit, sondern eine Frage der Gerechtigkeit.

Lux spricht eine deutliche Sprache, verurteilt die Doppelmoral der Kirche. „Alles, was nach außen sichtbar ist, wird von der Kirche verurteilt und sanktioniert. Dinge, die im Geheimen bleiben, werden stillschweigend toleriert.“ Das Kirchenrecht werde allen übergestülpt, Gläubigen und Priestern, das sei zwar legal, aber nicht legitim, weil es dem eigentlichen Sinn der Kirche und dem Geist des Evangeliums nicht entspricht. „Wenn die Amtsträger ihres Amtes nicht richtig walten, haben sie uns nichts mehr zu sagen.“

Von unserem Redaktionsmitglied Katharina Winterhalter

http://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Doppelmoral-der-Kirche;art742,6977336





Standpunkt: „Wir sind nicht mehr die Volkskirche“ Die katholische Kirche macht es ihren Mitgliedern und ihren Priestern schwer

Wer könnte es den Katholiken verdenken, die irgendwann doch aus der Kirche austreten, weil sie die Doppelmoral nicht mehr ertragen? Auch ich zweifle seit langem, hadere mit dem Papst, der sich den Piusbrüdern annähert und mit dem neuen Präfekten der Glaubenskongregation, Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller, der Reformgruppen als „parasitäre Existenzformen“ bezeichnet.

Die katholische Kirche macht es vielen ihrer Mitglieder schwer: denen, die nach ihrer Scheidung wieder heiraten, den Homosexuellen, die ihre Sexualität leben wollen, den Frauen, die sich zu einer Abtreibung durchgerungen haben, und all den kritischen Geistern, die eben nicht aufgeben, sondern für eine andere Kirche kämpfen.

Ihren Priestern und Diakonen macht es die Kirche noch schwerer. Diakone seien zwar geweiht, verkündet der Papst, aber sie könnten Jesus Christus nicht so repräsentieren wie Priester und Bischöfe. Befürchtet er, eines Tages könnte eine Frau zur Diakonin geweiht werden? Noch dramatischere Auswirkungen hat der Zölibat, der viele Priester zu einem Leben in Lüge zwingt. Wenn er eine Frau liebt und Kinder mit ihr hat, wird das toleriert, solange er schweigt. Wenn er zu seiner Liebe stehen, wenn er ehrlich leben will, wird er bestraft. Viele wissen es nicht, aber in der Geschichte der Kirche gab es viel länger verheiratete Priester, Bischöfe und Päpste als unverheiratete. Das Beharren auf dem Zölibat ist schon vor diesem Hintergrund fragwürdig, von der menschlichen Seite nicht zu reden.

Die katholische Kirche nimmt in Kauf, auf Priester zu verzichten, die nicht ehelos leben wollen, und auf Gläubige, die nicht länger akzeptieren, dass sich die Amtsträger der Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert nicht stellen. Sie tut es im vollen Bewusstsein der Konsequenzen. „Die katholische Kirche ist in der vielleicht schwierigsten Situation seit der Säkularisierung“, sagt Bischof Friedhelm Hofmann. 10 000 Mitglieder verliert sie im Bistum Würzburg jedes Jahr. Der Bischof hat recht, wenn er sagt „Wir sind nicht mehr die Volkskirche.“

http://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Standpunkt-Wir-sind-nicht-mehr-die-Volkskirche;art742,6977344

Zuletzt geändert am 19­.08.2012