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Veröffentlicht am 14­.09.2012

14.9.2012 - Hannoversche Allgemeine

Warten aufs Wunder von Wülfel

Die Spitzen der katholischen Kirche kommen heute in Hannover zusammen: Bei dem „Gesprächsprozess“ geht es auch um die Ausgrenzung wiederverheirateter Geschiedener

Von Simon Benne

Hannover. Vielleicht ist das Hotel Wienecke XI. ein Ort, an dem in den kommenden Tagen Kirchengeschichte geschrieben wird. In der eher unscheinbaren Brauereigaststätte in Hannover-Wülfel versammeln sich heute die Spitzen der katholischen Kirche – mehr als 30 Bischöfe, dazu rund 300 Vertreter von Orden, Verbänden und Laienorganisationen aus ganz Deutschland. Bei Referaten und Debatten in Kleingruppen soll es um die Diakonie gehen, um gelebte Nächstenliebe also. Doch im Grunde geht es bei der Tagung um noch mehr: „Wir sind auch gemeinsam auf der Suche, wie die Kirche von morgen aussehen kann“, sagt Elisabeth Eicke.

Die 49-jährige Richterin vertritt als Diözesanratsvorsitzende die Laien des Bistums Hildesheim. Sie war schon vor einem Jahr in Mannheim dabei, bei der ersten Runde des „Dialogprozesses“ zwischen Bischöfen und Basis. Nach den verheerenden Missbrauchsskandalen hatten die Bischöfe die Gespräche mit den Laien initiiert, von denen einige vehement auf Reformen in der Kirche drängen – etwa beim Zölibat, der Sexualmoral oder der Rolle von Frauen. „Mannheim war der Einstieg in den Aufbruch“, sagt Eicke. „Wir konnten frank und frei auch über die strittigen Fragen sprechen.“

Viele Reformer schwärmten anschließend von der offenen Atmosphäre in Mannheim. In Hannover seien jetzt aber auch konkrete Ergebnisse gefragt, fordert Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken: „Wenn der Dialogprozess in Frust endet, dann haben wir in wenigen Jahren eine dramatische Welle des Austritts der Engagierten.“

Im Mittelpunkt vieler Debatten könnte in Hannover die Frage nach dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen stehen. Da die Ehe nach katholischem Verständnis unauflöslich ist, gelten sie als Ehebrecher und sind von den Sakramenten ausgeschlossen. Eine Gruppe von Akademikern um den Mainzer Sozialethiker und langjährigen Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, Gerhard Kruip, fordert jetzt ein Umdenken: Es sei fraglich, ob die kirchlichen Regelungen der Wirklichkeit noch gerecht würden, heißt es darin. Kruip und seine Mitstreiter hoffen, in Hannover eine gemeinsame „Empfehlung“ mit den Bischöfen aussprechen zu können.

Für ihre Position haben sie einen gewichtigen Gewährsmann eingespannt: Kein Geringerer als Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., hatte 1972 noch Reformbereitschaft signalisiert: „Wo eine erste Ehe seit Langem und in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo umgekehrt eine hernach eingegangene zweite Ehe sich über einen längeren Zeitraum hin als eine sittliche Realität bewährt hat“, schrieb er damals, könne unter Umständen „die Zulassung der in einer solchen Ehe Lebenden zur Kommunion gewährt werden“.

Auch Diözesanratsvorsitzende Eicke möchte, dass von Hannover ein Hoffnungszeichen für die wiederverheirateten Geschiedenen ausgeht: „Sie dürfen nicht ausgegrenzt werden – ein grundsätzliches Verbot passt nicht zu unserer Kirche“, sagt sie. Die Bischöfe seien „dran“ an dieser Frage, versichert Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: „Ich spüre die Ungeduld und bin selbst manchmal auch ungeduldig.“

Beobachter schätzen allerdings, dass ein Drittel der deutschen Bischöfe Neuerungen grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, ein weiteres Drittel soll unentschieden sein. Und letztlich werden die entscheidenden Weichen der Weltkirche nicht in Wülfel gestellt, sondern in Rom. „Bisher gibt es vom Gesprächsprozess noch nichts Positives zu vermelden“, moniert Christian Weisner von der Reformgruppe „Wir sind Kirche“.

Er argwöhnt, dass die Bischöfe mit dem auf fünf Jahre angelegten Dialogprozess nur Zeit gewinnen wollten: Im Alleingang hätten sie die Teilnehmer der Gespräche berufen und die Themen gesetzt: „Die Gespräche stehen vor dem Scheitern“, sagt Weisner, dessen Gruppe nicht zu der Dialogveranstaltung eingeladen wurde. Allerdings räumt er auch ein, dass in Hannover „viel Reformgeist“ versammelt sei.
Ob im Hotel Wienecke XI. also Kirchengeschichte geschrieben wird, oder ob es bei warmen Worten bleibt, ist offen. Erzbischof Zollitsch drückte es theologisch aus: „Es kann Überraschungen geben, wenn wir offen sind für das Wirken des Heiligen Geistes.“

Bildunterschrift: Einer darf nicht mitreden: Christian Weisner (Mitte) beklagt den Ausschluss der Reformgruppe „Wir sind Kirche“ vom Dialog mit Bischof Zollitsch und Diözesanrätin Eicke.





Nachgefragt: „Wir müssen flexibler werden“

Interview mit Gerhard Kruip, Professor für Christliche Anthropologie

Professor Kruip, was erhoffen Sie sich von dem großen Kirchentreffen in Hannover?
Offen gestanden: Es ist schwer zu sagen, was realistisch ist. Im vergangenen Jahr war der Beginn des Dialogprozesses mit den Bischöfen in Mannheim ein echter Aufbruch. Wir konnten miteinander auf Augenhöhe diskutieren. Auch viele Bischöfe sehen ja, dass es in der Kirche Reformbedarf gibt. Allerdings darf der Dialog nicht auf Dauer unverbindlich bleiben, es muss auch Entscheidungen geben.

Ein wichtiges Thema in Hannover dürfte da die Rolle der wiederverheirateten Geschiedenen sein, die derzeit von den Sakramenten ausgeschlossen sind.
Es gibt immer mehr Familien, die nicht mehr dem katholischen Familienbild entsprechen. Als Kirche müssen wir eine größere Bereitschaft zeigen, beispielsweise auch auf homosexuelle Paare zuzugehen. Mehr Flexibilität im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen – das wäre wohl derjenige Diskussionspunkt, bei dem Veränderungen am leichtesten möglich wären. Sie wären auch ein Signal, dass Bewegung möglich ist. Ich hoffe, wir sprechen eine gemeinsame Empfehlung aus, diese Menschen nicht länger unterschiedslos auszugrenzen.

Die letzte Entscheidung darüber fällen aber gar nicht die deutschen Bischöfe, sondern sie fällt in Rom.
Die Bischöfe haben allerdings auch Spielräume, die sie bislang nicht immer nutzen. Und wenn alle deutschen Bischöfe in dieser Frage zusammenstehen, hat ihr Wort auch in der Weltkirche Gewicht. Interview: Simon Benne

Zuletzt geändert am 18­.09.2012