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Veröffentlicht am 08­.10.2012

8.20.2012 - DIE WELT

Dauerkonflikt statt Aufbruch

50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zieht sichquer durch die kirchlichen Lager eine Spur der Enttäuschung

Von Gernot Facius

Viele Impulse wurden nur halbherzig verwirklicht – und manchen ist das schon zu viel

Jedes Mal, wenn er im Vatikan vorspricht, thematisiert Erzbischof Robert Zollitsch ein brisantes Problem: Die Rechte der jeweiligen Einzelkirchen in der katholischen Welt seien noch immer nicht vollständig "ausgefaltet". Auch habe das Zweite Vatikanische Konzil die "Kollegialität" der Bischöfe als Gegenpol zum Zentralismus nicht weit genug geführt. Und immer wieder kehrt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz mit dem unguten Gefühl in die Heimat zurück, in der Kurie nur wenig Gehör gefunden zu haben.

Er ist nicht der Einzige, der die Öffentlichkeit just zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanums am 11. Oktober an seinen Zweifeln teilhaben lässt – quer durch die kirchlichen Lager zieht sich eine Spur der Enttäuschung. Viele Konzilsimpulse, etwa die Betonung der Einzelkirchen und die Kollegialität der Bischöfe, seien nur halbherzig verwirklicht worden, sagt Kardinal Walter Kasper, emeritierter Präsident des Päpstlichen Einheitsrates: "Dagegen hat der kuriale Zentralismus zugenommen." In schärferem Ton urteilt die reformorientierte Gruppierung "Wir sind Kirche". Sie erkennt in dem römischen Kurs einen klaren Widerspruch zur "Communio-Ekklesiologie" (Kirche ist Gemeinschaft)

. In der Tat, die Konzilsväter hatten vor 50 Jahren die Bedeutung und die Eigenständigkeit der Teilkirchen hervorgehoben. Wie der Bischof von Rom, der Papst, sichtbares Zeichen und Fundament der Einheit und Vielfalt der Bischöfe und Gläubigen sei, so sollten dies die Bischöfe in ihren Teilkirchen sein. Doch tatsächlich werden die Leiter der Diözesen wieder als eine Art Filialdirektoren der römischen Zentrale wahrgenommen – in ihrer Gesetzgebung eingeschränkt und zensiert von Rom. "Über Jahrzehnte ist die Macht in der Kirche konzentriert und klerikalisiert worden", beschreibt der Essener Theologieprofessor Ralf Miggelbrink die Situation. Es regiere zunehmend Konformismus, Unterwerfung statt Entfaltung, Disziplin statt Kreativität, Tradition statt Innovation.

Dabei gab es ermutigende Zeichen eines Aufbruchs aus der Wagenburg, in die sich Kirche und Päpste seit der Französischen Revolution in einseitigen Verurteilungen der Welt verschanzt hatten. Aber der große Sprung nach vorn ist ausgeblieben. Das von Johannes XXIII. eingeleitete Konzil sollte "die Software der Kirche für das späte 20. und das 21. Jahrhundert liefern" (Pastoraltheologe Rainer Bucher). In Teilen hat das funktioniert. Es gelang, das Verhältnis zu anderen Religionen, vor allem zum Judentum, neu zu bestimmen; die Konzilsväter bekannten sich erstmals eindeutig zur Religionsfreiheit aller Menschen; Fragen der Ökumene waren nicht irgendein Anhängsel, sondern wurden ein zentrales Thema der Kirche. "Je näher man aber den innerkatholischen Realitäten kommt, umso weniger traut man offenbar den konziliaren Weichenstellungen. Das halte ich gegenwärtig für das Hauptproblem", schreibt der Theologe Bucher.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article109681009/Dauerkonflikt-statt-Aufbruch.html

Zuletzt geändert am 09­.10.2012