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Veröffentlicht am 09­.01.2013

9.2.2013 - tagesschau.de

Zensurvorwurf bringt Kirche in Erklärungsnot

Gestoppte Aufarbeitung der Missbrauchsfälle

Nachdem die wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche vorerst gescheitert ist, zeigte sich der Missbrauchsbeauftragte der Deutsche Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, enttäuscht. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Wissenschaftlern des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und der Kirche sei zerrüttet, sagte Ackermann in den ARD-Tagesthemen. Gleichzeitig wies er Zensurvorwürfe zurück.

Er kündigte zugleich an, das Aufklärungsprojekt mit anderen Partnern fortsetzen zu wollen. Kritik, dass das Verhalten der Kirche eher Täter als Opfer schütze, wies Ackermann zurück.

Wissenschaftler fühlten sich zensiert

Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, Christian Pfeiffer, hatte der Kirche zuvor Zensur vorgeworfen. Der Streit zwischen Kirche und Wissenschaftlern hatte sich an der Veröffentlichung kircheninterner Dokumente entzündet. Die Kirche habe die Veröffentlichung nach Widerstand aus einzelnen Diözesen nachträglich reglementieren wollen, obwohl alle Bistümer dem Projekt beim Start zugestimmt hätten, sagte Pfeiffer.

Die ersten Monate der Zusammenarbeit seien "vorzüglich" gelaufen, sagte der Kriminologe in der Tagesschau. Die Forscher seien von Bischof Ackermann engagiert unterstützt worden. Doch dann sei plötzlich deutlich geworden, dass Ackermann sich den "Wünschen nach mehr Kontrolle" aus München und Regensburg anschließen musste.

Kritiker in der Kirche hätten auf der Möglichkeit bestanden, Veröffentlichungen aus wichtigen Gründen zu verbieten. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte das Institut des Kriminologen 2011 mit der wissenschaftlichen Untersuchung des Missbrauchsskandals beauftragt.

"Katastrophales Zeichen"

Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" sprach von einem "katastrophalen Zeichen". Die Amtskirche wolle sich "nicht mehr in die Karten gucken lassen", sagte "Wir sind Kirche"-Chef Christian Weisner. Das zeige, dass trotz begrüßenswerter Einzelmaßnahmen der Bischöfe zur Prävention sehr zu zweifeln sei "am grundlegenden Willen zur Aufarbeitung der Ursachen, die zur sexualisierten Gewalt innerhalb der katholischen Kirche führen".

Weisner prognostizierte, dass das Vorgehen der Kirche zu einem "neuen Eklat" und einer "neuen Austrittswelle" führen werde. Eine grundsätzliche wissenschaftliche Aufarbeitung müsse "ohne Zensur seitens der Bischöfe" veröffentlicht werden. Angesichts der vielen Fehlleistungen gerade innerhalb der kirchlichen Hierarchie müssten die Bischöfe jeden Anschein vermeiden, dass sie nur ein Gefälligkeitsgutachten haben wollten.


Leutheusser-Schnarrenberger verlangt Aufklärung

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verlangte Aufklärung vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. "Der Vorwurf, Zensur und Kontrollwünsche behinderten eine unabhängige Aufarbeitung, sollte durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz schnell aus der Welt geschafft werden", sagte Leutheusser-Schnarrenberger der "Süddeutschen Zeitung".

Zugleich forderte die Ministerin die Kirche zur fundierten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auf: "Es ist ein notwendiger und überfälliger Schritt, dass sich die katholische Kirche öffnet und erstmals kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Kirchenarchiven ermöglicht", betonte sie und fügte hinzu: "Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürfen nicht in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern." Was sollte die KFN-Studie untersuchen? Nach dem Missbrauchsskandal, der 2010 bekannt wurde, hatte die katholische Kirche eine umfassende Aufarbeitung der Vorgänge angekündigt. Ein wichtiger Baustein sollte das 2011 vorgestellte Forschungsprojekt mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) sein. Zu den Zielen zählte es, Täterprofile und Rahmenbedingungen aufzuklären, Erkenntnisse über das Verhalten der Kirche zu gewinnen und in letzter Konsequenz die Prävention zu verbessern.

Für die Studie sollten in neun ausgewählten Bistümern alle relevanten Unterlagen von 1945 bis 2010, in den anderen 18 Bistümern die Akten von 2000 bis 2010 ausgewertet werden. Insgesamt läuft das allein auf mehr als 100.000 Personalakten hinaus.

Bei der Erhebung der Daten sollten die Wissenschaftler aus daten- und personenschutzrechtlichen Gründen keinen direkter Einblick in Personalakten bekommen. Die Daten sollten vielmehr von kirchlichen Archivmitarbeitern und geschulten Juristen - etwa ehemaligen Richtern oder Staatsanwälten - erhoben und dann dem KFN zur Auswertung übermittelt werden. Das KFN wollte auch Opfer wie Täter befragen - ähnlich wie bei einer anderen Studie, bei der es um Missbrauchsopfer in Deutschland generell ging.

http://www.tagesschau.de/inland/kirche-missbrauchsskandal106.html

Zuletzt geändert am 09­.01.2013