9.2.2013 - Rhein-Zeitung
Katholische Reformer sehen Glaubenskrise
Von unserer Reporterin Nina Borowski
Köln. Die Diskussion über Skandale in der katholischen Kirche reißt nicht ab. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner beklagt im „Kölner Stadt-Anzeiger“ sogar eine „Katholikenphobie“. In einem Brief fordert er alle Seelsorger im Erzbistum Köln zu Tapferkeit im Umgang mit öffentlicher Häme und „ungerechtfertigten Vorwürfen“ auf. Hintergrund ist, dass sich zwei katholische Kliniken geweigert hatten, eine vergewaltigte Frau zu behandeln. Zuletzt hatte bereits der Regensburger Erzbischof Gerhard Ludwig Müller eine „Pogromstimmung“ gegen die katholische Kirche ausgemacht.
Inzwischen hagelt es aber reichlich Kritik aus den eigenen Reihen: Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck wirft Meisner und Müller „Schwarz-Weiß-Malerei“ vor. Begriffe wie „Katholikenphobie“ und „Pogromstimmung“ seien in der aktuellen Debatte nicht hilfreich. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, zugleich Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, sieht in der Kirche einen „enormen Reformbedarf“.
Für die innerkirchliche Reformbewegung „Wir sind Kirche“ dokumentiert die massive Kritik von Katholiken nichts anderes als den Ärger der Gläubigen. Das sagte deren Sprecher Christian Weisner im Gespräch mit unserer Zeitung. Ein Aufschrei gehe durch die katholische Welt: „Die Kirche erreicht die Menschen nicht mehr. Die Kirche muss zur Moderne finden, und dazu sind dringend Reformen nötig.“
Michael Ebertz von der Katholischen Hochschule Freiburg erklärt das derzeitige Dilemma der Kirche so: „Man fragt sich als Katholik – warum greifen Verantwortliche in der Kirche immer wieder daneben?“ Der Freiburger Professor spricht von „Hilflosigkeit“ der Kirchenleitung. „Den Ausdruck Phobie muss man deshalb eigentlich anders sehen. Es ist eine Phobie der Katholiken vor ihrer Kirchenleitung. Viele Katholiken wachen morgens auf und fragen sich: In welches Fettnäpfchen wird heute wieder getreten?“, sagt Ebertz. Seit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals müssten die Verantwortlichen in der Kirche erleben, dass sie vor ein gesellschaftliches Tribunal gestellt würden.
Durch den öffentlichen Druck gerät die Kirche allerdings auch immer mehr in Zugzwang, glaubt Reformer Christian Weisner. Es gebe dringenden Handlungsbedarf bei Fragen der Gleichwertigkeit aller Gläubigen, der Anerkennung der Frau und der positiven Einstellung zur Sexualität. Die Münsteraner Theologin Ida Raming beklagt: „Die katholische Kirche ist noch immer eine Männerdiktatur.“ Selbst Kardinal Meisner scheint von der derzeitigen Kritik überwältigt.
In seinem dreiseitigen Brief an die Seelsorger schreibt er, die Kirche in Köln habe „in der öffentlichen Wahrnehmung einen Sturm erlebt, wie ich ihn in meinen Jahren als Bischof selten erlebt habe“. Den Grund dafür sieht er darin, dass „die Entschiedenheit der katholischen Positionen zum Lebensschutz, zu Ehe und Familie“ sowie die „deutliche Repräsentanz“ durch Papst und Bischöfe „immer stärker polarisieren“. Für Reformer Weisner hingegen geht es um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit: „Innerhalb der katholischen Kirche gibt es eine Glaubenskrise.“
Zuletzt geändert am 12.02.2013