19.2.2013 - Trierischer Volksfreund
Podiumsdiskussion in Trier: Warum Priester zu Tätern werden
Die Kirche muss sich den Missbrauchstaten stellen: Das fordert Jesuitenpater Christian Herwartz. TV-Foto: Friedemann Vetter Trier. Als "Betroffene" habe sie sich stets bezeichnet, wenn es darum ging, über die sexuellen Übergriffe eines Geistlichen zu sprechen. "Aber ich nenne mich nicht mehr Betroffene. Wir sind Opfer", sagt die junge Frau. "Die Person, die ich mal war und die es nicht mehr gibt, ist geopfert worden. Von Führungskräften der Kirche, die wissen, dass sie ihr Personal nicht unter Kontrolle haben. Sorgen diese Führungskräfte nicht für andere Strukturen in ihrer Organisation, um weitere Opfer zu verhindern, handeln sie fahrlässig und sind Vorsitzende eines Opferkults."
Die Worte der Zuhörerin klagen an, worum es bei der sachlich geführten Podiumsdiskussion im Angela-Merici-Gymnasium am Montagabend ging: "Struktureller Verrat?" war die vom kirchenkritischen Aktionsbündnis "Aufklärung!" organisierte Veranstaltung überschrieben. Nicht der Umgang der Kirche mit den einzelnen Tätern und Opfern sollte im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, ob und wie die Struktur der Organisation Katholische Kirche sexuellen Missbrauch begünstigt.
Rund 70 Zuhörer waren zu der gut zweistündigen Veranstaltung ins bischöfliche Angela-Merici-Gymnasium gekommen. Auf dem Podium: Norbert Lüdecke, Professor für Kirchenrecht in Bonn. Professor Rainer Banse, Leiter der Abteilung Sozial- und Rechtspsychologie an der Uni Bonn, und Christian Herwartz, Jesuitenpater aus Berlin. "Was macht Priester zu Tätern?", fragte Christian Otterbach vom Saarländischen Rundfunk, der kundig und souverän die Diskussion moderierte. "Die bisherige Perspektive auf Täter und Opfer kann eine fatale Entlastungsfunktion haben für das System, das dahinter steht", sagte Kirchenrechtler Lüdecke. Die Kirchenoberen müssten sich die Frage stellen, ob die Sexualabstinenz, die sie von ihren Priestern fordern, und die Vereinsamung von Pastoren, die in immer größeren Pfarrgemeinschaften immer weniger private soziale Kontakte knüpfen könnten, sich auf die Sexualität der Geistlichen auswirke. Psychologe Banse sekundierte: "Teilweise haben Priester keinen einzigen Freund zum Reden. Aus den USA wissen wir, dass 60 Prozent der Missbrauchstäter aus Kirchenkreisen zudem ein Alkoholproblem haben. Die Täter im kirchlichen Umfeld sind keine Psychopathen, sondern Männer mit vielen Problemen, die dann in Krisensituationen übergriffig werden - als Ersatzhandlung für fehlende Intimität und Freundschaft."
Dass kircheninterne Akten, die Aufschluss geben könnten über das Wie und Warum eines Missbrauchs, in Geheimarchiven verschlossen sind, zu denen ausschließlich der jeweilige Diözesanbischof Zugang hat, verhindere, dass empirisch und wissenschaftlich aufgeklärt werden könne, welche Umstände zu sexuellen Übergriffen führen, kritisierte Lüdecke. Noch nicht mal die Staatsanwaltschaft verschaffe sich Zugang zu diesen Akten. "Offenbar gibt es eine Zurückhaltung unserer Justizbehörden in dieser Sache", monierte Psychologe Banse. Auch Jesuitenpater Christian Herwartz kritisierte den Umgang der Amtskirche mit sexuellen Übergriffen. Der Mitautor des Buchs "Unheilige Macht" über Missbrauchsfälle in Einrichtungen des Ordens der Jesuiten fordert jedoch weniger eine Änderung des Systems, als ein anderes Verhalten aller Geistlichen: "Die Kirche - und damit auch die Bischofskonferenz - muss sich den Taten stellen. Und zwar tiefer gehend als durch Gutachten und Diskussionen. Die Kirche muss mit offenem Herzen den Opfern zuhören, Schuld und Scham zeigen - davon merke ich bislang bei den Mitwissern nichts."
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Zuletzt geändert am 20.02.2013