1.3.2013 - Nürnberger nachrichten
Erwartungen an neuen Papst sind denkbar gering
VON MICHAEL KASPEROWITSCH
Seit bald 20 Jahren bemüht sich die „Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche“ — so nennt sie sich selbst — um Reformen in der römischen Kurie. Von Anfang an mit dabei ist Walter Hürter aus Ingolstadt. Mit der Wahl eines neuen Papstes verbindet er die denkbar geringste Hoffnung. „Schlechter kann es kaum werden“ — höhere Erwartungen hat der 72-Jährige nicht. INGOLSTADT — Walter Hürter stammt aus einer urkatholischen Großfamilie. Was anderes als eine Karriere als Ministrant, Jugendleiter und Pfarrgemeinderat lag für ihn ziemlich fern. Damit ist längst Schluss. Kirchliche Laien-Ämter hat der ehemalige Personalleiter „aus Protest“ schon vor Jahren niedergelegt.
Andererseits sitzen die alten kirchlichen Wurzeln so tief, dass er sie nicht ganz kappen will. „Ich habe großen Respekt und großes Verständnis für die, die austreten“, sagt der 72-Jährige, „ich selbst will bleiben, solange ich kann.“ Er streitet für innerkirchliche Reformen. Die familiäre Herkunft hat in jüngeren Jahren nicht nur Hürters Glaubensweg in den Schoß seiner Amtskirche vorgezeichnet, sondern ihn auch eng mit ihren drängenden Problemen in Berührung gebracht. Zwei Männer in seiner nahen Umgebung sind Priester geworden. Einer hat sich enttäuscht in den Laienstand versetzen lassen, der andere lebt mit seiner Freundin zusammen. „Das weiß der Bischof auch“, erzählt Hürter, „der unternimmt aber erst was, wenn das öffentlich wird. Dann ist der Man sofort weg, egal, wie gut er bisher seine Arbeit als Priester gemacht hat.“
Solche Erfahrungen führten den Ingolstädter vor 17 Jahren zu „Wir sind Kirche“ (siehe unten). „Am Anfang dachten wir, so in ein, zwei Jahren haben wir wenigstens Teilerfolge erreicht.“ Sie sind bis heute in weiter Ferne. Die Enttäuschungen sitzen bei vielen Mitstreitern tief. Bei den großen Fragen erkennt Walter Hürter nicht die Spur einer amtskirchlichen Reformbewegung. Die Härte beim Pflicht-Zölibat sei ebenso unverändert wie bei der päpstlichen Position zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum Priesteramt für Frauen oder zum gemeinsamen Abendmahl mit Protestanten. „Dabei passiert gerade bei der Eucharistie in den Gemeinden öffentlich tausendfach das Gegenteil von dem, was die Amtskirche verlangt“, erzählt Hürter, „aber es gibt einfach keine Lockerung der starren Lehre.“
Für die acht Jahre des Bayern Joseph Ratzinger als Papst, dessen Amtszeit gestern Abend endete, findet Hürter deshalb bittere Worte. Benedikt XVI. habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Er habe den römischen Zentralismus gestärkt und ein weites Denken vermissen lassen. „Da war er überhaupt nicht katholisch im ursprünglichen Wortsinn.“ Das griechische Wort katholikós bedeutet „das Ganze betreffend“.
Menschen auf Distanz
Mit seinem Rücktritt habe Ratzinger erkannt, so Hürter, dass er mit der Führung seiner Kirche überfordert sei. Der Ingolstädter nennt ihn mit Blick auf seine veröffentlichten Bücher einen trockenen „Buchhalter“, weit entfernt vom kirchlichen Leben der Menschen. Dies habe unter anderem seine Personalpolitik bei der Besetzung von Bischofsstühlen auch in Bayern gezeigt. Das Pontifikat Ratzingers habe in vielen katholischen Kirchengemeinden, die Hürter kennt, wie ein Filter gewirkt. Immer mehr Menschen seien auf Distanz gegangen, hängen geblieben sei häufig eine konservative Minderheit.
Der Frust von Katholiken wie Walter Hürter geht so weit, dass sie nicht einmal einen Wunsch-Kandidaten unter den hohen geistlichen Würdenträgern für das Papstamt ausmachen können, von dem sie langersehnte Änderungen erwarten würden. „So jemanden gibt es nicht.“ Allenfalls eine ganz leise Zuversicht spricht aus dem engagierten Gläubigen, wenn er an das künftige Oberhaupt der weltweit rund 1,2 Milliarden Katholiken denkt: „Ein Mensch kann sich ändern. wenn er ein Amt mit so hoher Verantwortung übernimmt.“
Einen echten Dialog gibt es bis heute nicht
Der 72-jährige Walter Hürter ist Sprecher von „Wir sind Kirche“ (www.wir-sind-kirche.de) im Bistum Eichstätt. Das Dekanat Nürnberg-Süd gehört dazu, auch Roth-Schwabach oder Neumarkt. Im Erzbistum Bamberg mit den Dekanaten Nürnberg, Fürth oder Bayreuth gibt es keinen offiziellen Vertreter dieser Kirchenvolksbewegung. Sie ist in den Regionen häufig ohne feste Strukturen organisiert. Hervorgegangen ist sie 1995 aus einem in Österreich gestarteten Kirchenvolksbegehren. „Wir sind Kirche“ setzt sich für eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) ein.
Fast zwei Millionen Menschen haben 1995 allein in Deutschland die Reformforderungen unterschrieben. Darunter waren auch zahlreiche prominente Politiker und Theologen. Ein wirklicher Dialog zwischen Vertretern der Bewegung und dem Papst oder Bischöfen ist bis heute nicht zustande gekommen.
„Wir sind Kirche“ will eine geschwisterliche Kirche, volle Gleichberechtigung der Frauen in allen kirchlichen Ämtern, keine Bindung des Priesteramtes an den Zölibat, eine positive Bewertung der Sexualität mit einer Aner- kennung der verantworteten Gewissensentscheidung und eine „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“.mik
Zuletzt geändert am 01.03.2013