14.3.2013 - Süddeutsche Zeitung
Erwartungen an den Papst "Franziskus muss im Vatikan aufräumen"
Von Johanna Bruckner
Missbrauchsskandale, Vatileaks-Affäre, sinkende Mitgliederzahlen: Jorge Mario Bergoglio ist zum Oberhaupt einer Kirche gewählt worden, die in der Krise steckt. Die Katholiken setzen große Hoffnungen in ihn - richten aber auch klare Erwartungen an ihr neues Oberhaupt. Sigrid Grabmeier von der Reformbewegung "Wir sind Kirche" erzählt im SZ.de-Gespräch, was sie jetzt vom Papst fordert - und warum sie ihm eine lange Amtszeit wünscht.
SZ.de: Frau Grabmeier, wo hat Sie der weiße Rauch überrascht?
Sigrid Grabmeier: Im Wohnzimmer, der Fernseher lief schon. Und dann bin ich natürlich drangeblieben - es war ja doch sehr spannend.
Hatten Sie einen persönlichen Favoriten unter den Kardinälen?
Nein. Uns bei "Wir sind Kirche" geht es weniger um Personen, als vielmehr um Standpunkte. Und leider steht keiner der Kardinäle für unsere Positionen.
Von Bergoglio ist folgendes Zitat überliefert: "Wenn wir rausgehen auf die Straße, dann können Unfälle passieren. Aber wenn sich die Kirche nicht öffnet, nicht rausgeht, und sich nur um sich selbst schert, wird sie alt." Stimmen Sie solche Worte des neuen Papstes doch hoffnungsvoll?
So wie er gestern auf den Balkon getreten ist, wie er die Leute angesprochen und sich dabei selbst nicht so ernst genommen hat - das war ein Hoffnungszeichen. Denn es hat nicht nur gezeigt, dass Franziskus warmherzig sein kann. Er hat sich auch als Bischof von Rom bezeichnet und damit signalisiert: Ich bin nicht das große Kirchenoberhaupt, sondern einer unter Gleichen.
Was ist Ihr dringlichster Wunsch an den neuen Pontifex?
In der Geschichte der katholischen Kirche, aber auch in der jüngeren Vergangenheit sind eine ganze Menge Fehler passiert. Das Thema sexueller Missbrauch und der Umgang damit sind das plakativste Beispiel. Ich würde mir wünschen, dass Franziskus zu diesen Fehlern steht und um Verzeihung bittet. Und dass er der Frage nachgeht, wie es überhaupt dazu kommen konnte.
Der neue Papst selbst steht wegen seiner Rolle in der argentinischen Militärjunta in der Kritik. Muss er sich dazu äußern - auch als Zeichen, dass die katholische Kirche aus den vergangenen Skandalen gelernt hat?
Auch wenn dieser Schritt für Franziskus schmerzhaft sein mag: Ich glaube, er wäre wichtig für die Glaubwürdigkeit des Petrus-Amtes. Ein Papst, der mit den dunklen Seiten seines Lebens offen umgehen kann, ist authentischer und näher an den Menschen. Petrus selbst war ja auch ein Sünder. Dennoch hat ihm Jesus zugetraut, Fels zu sein - nicht nur Stolperstein.
"Wir sind Kirche" hat einen Forderungskatalog mit fünf Punkten an die katholische Kirche formuliert. Was glauben Sie, wie viele davon zum Ende von Franziskus' Pontifikat erfüllt sein werden?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass der neue Papst keine Ära der Reformen begründen wird. Aber es ist an der Zeit, dass die Kirche ordentlich mit Menschen umgeht, die sich für Veränderungen starkmachen. Reformer werden im besten Fall ignoriert und im schlimmsten massiv unter Druck gesetzt. So wurden schon Priester, die sich für ähnliche Dinge eingesetzt haben wie "Wir sind Kirche", mit einem Lehrverbot mundtot gemacht. So darf es nicht weitergehen! Die Kirche muss ihre Kritiker akzeptieren - damit wäre fürs Erste schon viel erreicht.
Das klingt eher pessimistisch - also wird es auch weiter keine Frauen im Priesteramt geben?
Das kommt darauf an, wie lange Franziskus lebt. Ich denke, bis wir so weit sind, werden nicht Jahre, sondern Jahrzehnte vergehen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Zumal es nicht nur darum geht, Frauen zu ordinieren. Das Priesteramt an sich muss neu gedacht werden - weg vom Kultpriester, der sich hauptsächlich als Repräsentant Christi sieht, hin zum Seelsorger.
Franziskus muss im Vatikan aufräumen, und zwar kräftig. Es gilt jetzt, bestehende Institutionen und Strukturen kritisch zu hinterfragen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass er die Vatikanbank abschafft. Ein weiteres, wichtiges Stichwort ist Dezentralisierung. Weltkirche ist toll, aber sie hat ihre Grenzen. Franziskus muss deshalb die Ortskirchen stärken. Und damit meine ich nicht nur die Bischöfe, sondern auch die Gläubigen vor Ort.
Er muss also Verantwortung abgeben?
Es geht nicht, dass der Papst von Rom aus versucht, alle Zügel in der Hand zu halten. Er kann gar nicht allen gerecht werden. Die Kirche in Afrika hat mit ganz anderen Lebenswirklichkeiten zu tun und zu kämpfen als Kirchen im nördlichen Europa. Franziskus muss darauf vertrauen, dass die Menschen vor Ort für ihre jeweilige Situation die richtigen Wege und Lösungen finden. Und die katholische Kirche sollte sich zutrauen, unterschiedliche Meinungen unter ihrem Dach zuzulassen. Denn die Botschaft von Jesus Christus ist so stark und die Begeisterung der Katholiken für ihren Glauben so groß, dass sie das aushält.
Stichwort: Kontroversen. Franziskus vertritt eine ganz klare Position bei den Themen Sexualität, Verhütung und Homo-Ehe.
Ich glaube, diese Themen neu zu denken, ist nicht Aufgabe eines einzelnen Papstes, sondern der ganzen Kirche. Sexualethik in der katholischen Kirche bedeutet bislang vor allem: Du darfst nicht. Es wird überhaupt nicht vermittelt, dass sie auch dazu befähigen sollte, gut miteinander umzugehen. Dabei gilt speziell hier der Grundsatz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Zudem wird mit wissenschaftlichen Voraussetzungen gearbeitet, die schon seit mehr als hundert Jahren widerlegt sind.
Zum Beispiel?
Es geistert noch immer in den Köpfen herum, dass der männliche Same bereits den kleinen Menschen in sich trage und die Frau nur Gefäß sei. Hier braucht es eine Neubewertung von Partnerschaft - zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen Partnern gleichen Geschlechts. Denn Liebe kann fruchtbar sein, selbst wenn sie keine Kinder zeugt. Kleriker werden ja auch nicht fruchtbar, indem sie Kinder in die Welt setzen. Und wenn doch, dürfen sie es nicht sagen. Sie tragen ihre Liebe in die Welt - und das sollte man keinem absprechen.
"Wir sind Kirche" hat ihre Forderungen in einer Online-Petition zusammengefasst - in Form eines offenen Briefes an Papst Franziskus.
http://www.sueddeutsche.de/panorama/erwartungen-an-den-papst-franziskus-muss-im-vatikan-aufraeumen-1.1624703
Zuletzt geändert am 18.06.2014