3. September 2006 - ARD
Wie Kritiker von Papst und Papstamt immer stiller werden.
Für kritische Katholiken in Deutschland war die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst eine herbe Enttäuschung. Ihrer Meinung nach war der langjährige Präfekt der römischen Glaubenskongregation für viele harte Entscheidungen aus dem Vatikan persönlich verantwortlich. Der Tübinger Theologieprofessor Hans Küng machte am Tag nach der Wahl aus seiner Unzufriedenheit kein Hehl.
ZUSPIELUNG KÜNG
Es war für mich wie für viele, viele Deutsche und überhaupt für viele kritische Katholiken ein große Enttäuschung. Ein Kardinal Lehmann hätte in Deutschland einhellige Zustimmung gefunden, nicht nur ein geteiltes Echo.
KLEINJUNG
Heute ist es still geworden um die Kritiker von einst. Und das liegt auch am Papst. Der hat ausgerechnet Hans Küng im September letzten Jahres zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Unter Johannes Paul war so etwas noch undenkbar. Und anders als sein Vorgänger hält sich Benedikt, was Direktiven aus Rom betrifft, zurück; moralische Fragen stehen bei Joseph Ratzinger nicht im Vordergrund. Der Journalist Matthias Drobinski berichtet für die Süddeutsche Zeitung über den Papst und die katholische Kirche:
ZUSPIELUNG DROBINSKI
Johannes Paul II. hat sehr stark auf diese Themen, gerade auf Sexualmoral Wert gelegt. Benedikt XVI. macht das überhaupt nicht. Also, er nimmt da nichts zurück und er sagt nicht: Da hat mein Vorgänger falsch gehandelt. Aber er legt nicht mehr den gleichen Wert drauf.
KLEINJUNG
Der Ton hat sich verändert, die Probleme der katholischen Kirche in Deutschland sind geblieben: fehlender Priesternachwuchs, steigende Kirchenaustrittszahlen und wachsende finanzielle Probleme. Deshalb setzt die kritische Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ große Hoffnungen in diesen Papstbesuch. Sprecher Christian Weisner:
ZUSPIELUNG WEISNER
Der Papstbesuch ist eine große Chance, nicht nur dass die Menschen den Papst sehen und hören, sondern dass auch Papst Benedikt als deutscher Papst wieder einmal schaut, wie es in Deutschland in der deutschen katholischen Kirche ausschaut.
KLEINJUNG
Sorgen macht der Kirchenvolksbewegung vor allem die Situation im Bistum Regensburg. Hier hat Bischof Gerhard Ludwig Müller den alten Diözesanrat aufgelöst, und ein neues Gremium für die Laien in seinem Bistum geschaffen, ein Gremium, das nicht mehr über die Pfarrgemeinderäte gewählt wird. Anlass für den „Förderverein Laienverantwortung“ zum Papstbesuch eine Mahnwache vor dem Regensburger Dom abzuhalten:
ZUSPIELUNG MAHNWACHE
Wir demonstrieren hier jetzt nicht gegen den Papst sondern in erster Linie gegen den Bischof Müller, der die ganzen Laienstrukturen zerschlagen hat.
Also, wir würden uns sehr freuen, wenn der Papst den Mut hätte, mehr Vertrauen zu haben in die Menschen, die sich kritisch innerhalb der Kirche äußern.
Also ich in dafür, dass wir mehr mitreden könnten, weil die Kirche wird ja auch immer leerer bei uns.
KLEINJUNG
Stimmen von einer Mahnwache in Regensburg am vergangenen Samstag. Solche und ähnlich kritische Aktionen wird es bei diesem Papstbesuch allerdings nur sehr vereinzelt geben. Das war früher anders. Zum Beispiel 1980 beim ersten Besuch von Johannes Paul II. in Bayern. Da hat beim Gottesdienst auf der Münchner Theresienwiese die damalige Vorsitzende der katholischen Jugend offene Kritik an den kirchlichen Verhältnissen geübt. Diesmal unvorstellbar:
ZUSPIELUNG DROBINSKI
Wer jetzt was Kritisches sagt, der gilt schon fast als Spielverderber. Ich glaube, da sind wir von den Medien manchmal auch sehr merkwürdig, genauso, wie das von dem Panzerkardinal immer ein Klischee war und auch ein ungerechtes und falsches Klischee war, so ist es jetzt so, dass man kaum noch was Kritisches sagen kann, ohne irgendwie als gestrig zu gelten oder als einer zu gelten, der irgendwie das große Papstspiel nicht mitmacht.
KLEINJUNG
Matthias Drobinski nennt noch einen anderen Grund für das Schweigen der Kritiker: Resignation. 11 Jahre nach dem Kirchenvolksbegehren von Wir sind Kirche mit den Forderungen nach mehr Demokratie in der Kirche und Gleichberechtigung für Frauen, haben sich viele Unterstützer zurückgezogen. Für Veränderungen in der katholischen Kirche braucht man allerdings einen längeren Atem.
Tilman Kleinjung in München
Bayerischer Rundfunk, Redaktion Religion und Kirche
Zuletzt geändert am 02.11.2006