13.1.2014 - Perlentaucher
Ein Platzhirsch bricht zusammen
Ein mögliches Ende mit Schrecken für den Weltbild-Konzern bedeutet für die Branche nicht unbedingt das Ende des Schreckens ohne Ende.
Am Freitag kam die Meldung: Weltbild hat Insolvenz angemeldet. Der Scherbenhaufen ist groß. Wie hoch er in den Buchhimmel wächst, und wie umfassend die Auswirkungen an seiner Basis sind, lässt sich kaum erahnen. Immerhin hieß es immer wieder, dass der Weltbild-Konzern mit einem Umsatz von 1,6 Milliarden Euro für rund 18 Prozent des gesamten deutschen Buchmarktes von etwas über 9 Milliarden Euro Gesamtwert stehe, wenn auch bei fallender Tendenz.
Jetzt wird erst einmal tiefgestapelt. Manche Unternehmensteile seien von der Insolvenz nicht betroffen, etwa die Filialen in Österreich und der Schweiz, sowie die Beteiligung an der Online-Plattform buecher.de. Die Verbindung mit Hugendubel zur größten deutschen Buchhandelskette DBH sollte wohl vorsorglich zum Monatsende aufgelöst werden, woraus nun allerdings laut Handelsblatt nichts wird. Was einmal mehr deutlich macht, wie unprofessionell die Gesellschafterversammlung aus deutschen katholischen Diözesen und Soldatenfürsorge da über Nacht den Stecker gezogen hat, weil sie nicht bereit war, 60 Millionen Euro in den Umbau eines Unternehmens zu stecken, das ihnen über Jahrzehnte so manche kirchliche Investition finanziert hatte.
Nach Auskunft der Geschäftsführung - und des erst im Spätherbst an Bord geholten Sanierers Josef Schultheis -, gab es tatsächlich massive akute Probleme, die zum Insolvenzantrag führten, vom Einbrechen des Umsatzes in den letzten sechs Monaten bis eben zur Finanzierung eines Umbaus, mit dem Weltbild innerhalb der kommenden drei Jahre vom Kettenbilligbuchladen zum digitalen Medienvertriebshaus und damit zu einem deutschen Herausforderer für den Primus Amazon hätte werden sollen. Aus die Maus. Wenn jetzt, sekundenschnell, von den Rändern Katzenmusik ertönt, als wäre der Katzenjammer allein nicht genug, sollte man jedoch kurz innehalten und den Rahmen der Betrachtung etwas weiter einstellen. Was hatten wir im vergangenen Jahr 2013 nicht alles gehört, wie wichtig es sei, Amazon, das Reich des Bösen, in Deutschland und in Europa in die Schranken zu weisen. Weltbild hat mit seinem nun gescheiterten Umbau versucht, dazu eine Gegenposition aufzubauen. Nun über die Angebote von Büstenhaltern mit extra Komfort im Sortiment zu spotten, ist einfach zu billig. Da zielt die Frage von "Wir sind Kirche" warum es nicht gelungen sei "ein Wirtschaftsunternehmen nach ethischen Grundsätzen zu führen", schon besser. Ja, warum eigentlich?
Weltbild hat es immerhin geschafft, hinter Amazon die Nummer zwei im deutschen Online Buchhandel (beim Versand von gedruckten Büchern) zu werden - woran andere wie der Großkonzern Douglas, das Mutterhaus von Thalia, gescheitert sind. Und auch beim Zukunftsthema eBook, das in den ersten Analysen zum Fall Weltbild kaum vorkam, lief Weltbild an vorderster Front in der überaus komplizierten "Tolino"-Allianz, gemeinsam mit Thalia, der Deutschen Telekom sowie den Resten der Bertelsmann Buchclubs. Die Lesegeräte von Tolino, posaunte das Weltbild- Management gerne hinaus, hätten sich ebenfalls rasch mit erheblichem Marktanteil, hinter Amazon positionieren können. Das war auch, aber nicht nur, ein lautes Pfeifen im digitalen Wald. Ich gestehe, mir war die Tolino-Allianz vom Beginn an etwas seltsam erschienen, ein Verteidigungsbündnis all jener, die noch gestern als die bösen Platzhirsche galten und nun, im Überlebenskampf zwischen Digitalisierung und Globalisierung, ihr Terrain zu sichern versuchten. Aber immerhin haben die Tolino-Partner viel Geld in die Hand genommen, über alle internen Differenzen hinweg einen Plan entworfen, und die ersten Schritte umgesetzt. Das hat, auch wenn ich Skeptiker bleibe, meinen Respekt. Mit ehrenhaften Buy-Local-Initiativen allein wird Amazons Siegeszug wohl nicht anzukratzen sein.
Was aber wird nun aus Tolino, ohne Weltbild? Womit wir beim nächsten Kreis meiner Beobachtungen sind: Was alles kommt mit der Weltbild-Insolvenz ins Rutschen - egal wie diese im Detail konstruiert werden wird, bis März, wie man hört? Müssen Käufer des Tolino-Shine-Lesegeräts sich nun sorgen, dass ihre über Weltbild gekauften eBooks abgeschaltet werden? Rational betrachtet vermutlich eher nicht. Aber es wird nicht ganz einfach sein für die gesamte Buchbranche, hier Vertrauen zu festigen, und Ängste zu zerstreuen. Selbst ohne Umfragedaten bei Konsumenten würde ich meinen, dass diese mehr auf den Weiterbestand von Amazon bauen, für gedruckte wie digitale Bücher und für Lesegeräte, und eher kritische Wetten abschließen, was die verbleibenden deutschen Buchhandelsketten anlangt.
Thalia, je nach Zählweise die Nummer eins oder zwei des stationären Buchhandels, steht ja auch schon eine Weile zum Verkauf, begleitet von eher widersprüchlichen Meldungen. Weshalb auch die Frage nach dem weiteren Schicksal von Hugendubel ganz entscheidend ist: Wie weit wird es möglich sein, hier Kollateralschäden einzudämmen?
Die mitten im Schlamassel eilig verbreitete gute Nachricht lautet: Die Chancen stünden gut, Weltbild zu zerschlagen - oder weniger kriegerisch als bloß metzgerisch formuliert: zu filetieren. Damit ist jedoch, auf mehreren Ebenen gleichzeitig, ein Winterschlussverkauf in der deutschen Buchbranche ausgerufen, bei dem mit weiteren Lawinenabgängen zu rechnen sein wird. Zum einen stehen dann Unternehmensteile von Weltbild sowie ganz Thalia zum Verkauf, und damit wird auch recht argwöhnisch nach der Stabilität so mancher kleinerer Regionalkette gefragt werden. Zum zweiten wird ein Insolvenzverwalter ja nicht bloß ganze Unternehmensteile von Weltbild anbieten können, sondern auch einen Gutteil des Lagerbestands - was unweigerlich dazu führt, dass eine Unmenge von Büchern verwertet werden will.
Jene Titel, die preisgebunden sind, gehen wohl zurück an die Verlage, denen mit Weltbild auch noch ein wichtiger Vertriebskanal wegbricht. Manche werden als Mängelexemplare gemeinsam mit allen nicht-preisgebundenen Büchern, in die Ramschkisten wandern, was allen andren Buchhändlern Umsätze wegnehmen wird. Und auf die Wächter der Buchpreisbindung kommen hektische Zeiten zu, weil sich der ohnedies - dank eBook, Selbstverlagen, aber auch dank Weltbild - aufstauende Druck auf die Buchpreisbindung insgesamt noch weiter verstärkt.
Ungemütliche Zeiten zeichnen sich ab. Bei der Suche nach Orientierung lohnt es sich da, nach vergleichbaren Entwicklungen über Deutschland hinaus zu suchen. In Frankreich ist eben mit Chapitre die zweitgrößte Buchhandelskette zur kompletten Abwicklung gekommen, nachdem schon der Medienhändler Virgin zuvor geschlossen hatte. Auch der Branchenerste, Fnac, kämpft mit Problemen, schloss seine Filialen in Italien, und versucht sein Glück an der französischen Basis mit einem schwierig verlaufenden Börsengang neu zu definieren. Ähnliche Gemengelagen lassen sich aus den meisten europäischen Buchmärkten berichten. Die vermutlich wichtigste Fallgeschichte für ein Verständnis, wie breit und komplex die Folgeschäden wohl sein werden, ist der Konkurs der zweitgrößten amerikanischen Kette Borders vor gut zwei Jahren. Die drei wichtigsten Punkte dabei: Durch die Auflösung der Lager waren für gut ein Jahr alle anderen Vertriebskanäle wegen der Verramschung arg unter Druck geraten, während im zweiten Schritt die plötzlich frei gewordenen Marktanteile nahezu direkt an Amazon gingen. Dem Marktführer Barnes & Noble gelang es bis heute nicht, trotz vieler Bestrebungen, seine Zukunft inmitten der Stürme abzusichern.
Der Scherbenhaufen nach der Weltbild-Pleite wird hoch sein, mit einer breiten Basis, welche die gesamte Buchbranche zu einem denkbar dummen Zeitpunkt trifft. Über zwei Jahre, seit dem Spätherbst 2011, ließ sich das Vorspiel in immer neuen Verschlingungen beobachten, wie die Eigentümer eines der wichtigsten Kultur- und Medienunternehmens sich mit allen möglichen Dingen beschäftigten, nur nicht mit einer nüchternen Analyse des Umbruchs, welcher Kultur, Medien und Inhalte - gewissermaßen die europäischen "Identitätsindustrien"- erfasst hat, sowie mit der Planung eines professionellen Vorgehens, um die ihnen anvertrauten Unternehmungen dafür fit zu machen. Dieses Scheitern wird wohl in die Lehrbücher eingehen. Für alle davon Betroffenen - die Mitarbeiter, aber auch Kunden und Publikum - ist dies ein schwacher Trost.
Rüdiger Wischenbart
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Zuletzt geändert am 13.01.2014