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Veröffentlicht am 10­.03.2014

10.3.2014 - spiegel.de

Deutsche Katholiken: Oberhirte gesucht

Von Annette Langer

Mit Spannung wird die Wahl des neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz erwartet. Wird es ein Übergangskandidat oder eine Führungspersönlichkeit, mit der die katholische Kirche endlich aus der Krise kommt? Favoriten gibt es mehrere - mit Überraschungen darf gerechnet werden.

In Münster tagt die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Am Mittwoch soll dort ein neuer Vorsitzender gewählt werden - und selten wurden die katholischen Bischöfe dabei so genau beobachtet wie jetzt.

Der noch amtierende Robert Zollitsch gibt sein Amt aus Altersgründen auf, wer sein Nachfolger wird, ist derzeit völlig offen. Eines jedoch steht fest: Die Entscheidung wird richtungsweisend sein, in einer Zeit, in der die skandalerschütterte katholische Kirche sich neu orientieren muss, wenn sie ihre Schäfchen bei der Stange halten will.

Seit einem Jahr verwirrt und bezaubert Papst Franziskus mit seinem unkonventionellen Stil viele Katholiken. Vom deutschen Klerus wird der frische Wind seiner Reformen nicht selten als unangenehm steife Brise empfunden.

  • Der Papst predigt von Rom aus eine Kirche für die Armen - in Deutschland lässt sich der Limburger Bischof Tebartz-van Elst einen Amtssitz für mehr als 30 Millionen Euro bauen. Franziskus betreibt Kapitalismuskritik, während deutsche Bischöfe immense Reichtümer verwalten und es sich gut gehen lassen.
  • Der Papst setzt auf Basisdemokratie und startet eine Umfrage zur Sexualmoral unter den Gläubigen. Die Deutsche Bischofskonferenz erklärt, eine Handvoll Fragen - darunter die zu homosexuellen Paaren und Abtreibung - würden "zentral vom Sekretariat beantwortet". Um Zeit zu sparen, heißt es. Das Ergebnis der Umfrage ist trotzdem desolat: Es offenbart die enorme Diskrepanz zwischen offizieller Lehrmeinung und der Lebenswirklichkeit der Katholiken in Deutschland.
  • Franziskus gründet eine Kommission zur Reform der Kurie, er tauscht das Personal in wichtigen Positionen aus, will die Finanzen des Heiligen Stuhls nach den Skandalen um die Vatikanbank IOR besser kontrollieren. Alles, was er tut, zeigt den Kirchenobersten in Deutschland: Rom strukturiert neu, kontrolliert mehr und ist schwerer zu berechnen.
  • Auf der anderen Seite will Franziskus den Ortskirchen mehr Verantwortung geben. Das bedeutet für den deutschen Klerus eine größere Entscheidungsfreiheit, aber auch die Notwendigkeit, sich stärker zu positionieren. "Wir beklagen manchmal eine übergroße Macht Roms", sagte der langjährige ehemalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, dem "Kölner Stadtanzeiger". "Aber Rom ist in vielem so stark, weil wir so schwach sind. Papst Franziskus ermutigt uns zu mehr - freilich besonnenem - Mut."
Jetzt sind 66 Bischöfe aufgefordert, einen neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu wählen. Unter ihnen sind 39 Weihbischöfe, auch "Hilfsbischöfe" genannt, die ihre Stimme abgeben, selbst aber nicht gewählt werden dürfen. Der Vorsitzende ist nicht weisungsbefugt gegenüber den 27 deutschen Diözesen. Aber er ist ihr Sprecher, der Erste unter Gleichen, die Stimme und das Gesicht der katholischen Kirche in Deutschland. Einen Tag vor der Wahl, am Dienstag, soll eine Art "Vorkonklave" abgehalten werden, in Anlehnung an die Papstwahl im vergangenen Jahr. Weihbischöfe und Bischöfe sollen die Chance haben, sich darüber auszutauschen, welche Aufgaben in den kommenden Jahren besonders drängend sind. Vier Bischofsstühle sind derzeit vakant, darunter der in Köln, wo Joachim Meisner gerade in den Ruhestand gegangen ist. Die Rheinmetropole gilt als attraktiver Standort, den so mancher einer Berufung an die Spitze der Bischofskonferenz vorziehen würde. Seit Wochen kursieren Namen von Bischöfen, die Chancen auf den Posten als Vorsitzender haben: Favoriten für den Vorsitz der Bischofskonferenz Die Ansprüche an den Nachfolger von Robert Zollitsch sind so unterschiedlich wie die theologischen und ideologischen Positionen im Klerus. Der emeritierte Erzbischof von Köln, Kardinal Meisner, wünscht sich jemanden mit der "Autorität eines älteren Bruders" - eine Art protektiven Beistand, der sich nicht allzu sehr in die Belange der bischöflichen Familie einmischt. Man brauche "keinen genialen Typen". Es reiche, wenn der neue Vorsitzende "seinen Laden einigermaßen in Ordnung hält".

In dasselbe Horn stoßen jene, die sich einen diskreten "Moderator" wünschen, jemanden, der die Vielstimmigkeit der Bischöfe in den ewigen Streitfragen - Frauen in der Kirche, wiederverheirate Geschiedene, Homosexuelle, der Zölibat - zu einem sanften Singsang vermengt.

"Diese Forderung nach einem repräsentativen Vorsitzenden ohne Führungsrolle hört man immer wieder", sagt Alois Glück vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). "Wir brauchen aber jemanden, der in den gesellschaftlichen und politischen Themen unserer Zeit kompetent und verständlich die Positionen der Katholiken kommuniziert." Angesichts des Wandels der Gesellschaft müsse die Kirche sich entscheiden, ob sie agieren wolle oder "ehrenvoll kapitulieren".

Glück warnt vor dem massiven Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche, der schon seit Jahren anhalte. Die Missbrauchsskandale und das Schweigen darüber hätten den Vertrauensverlust befördert, die Gesprächskultur habe sich mit den Initiativen zum Dialogprozess zwar verbessert, ließe aber weiter sehr zu wünschen übrig. "Wir müssen endlich angstfrei kommunizieren", sagt Glück. Mangelnde Transparenz und Gremienkultur beförderten "Mauscheleien und Denunziationen".

Versagen im mittleren Management der Kirche

Christian Weisner von der Laienbewegung "Wir sind Kirche" sieht weniger die neuen Liberalen im Aufwind als alte Seilschaften am Ruder. Er bemüht einen Vergleich aus der Wirtschaft: "Die Lehm- oder besser Lähmschicht der Bischöfe als Vertreter des mittleren Managements verhindert Durchbrüche." Josef Ratzinger habe als Chef der Glaubenskongregation und späterer Papst das Duckmäusertum gefördert, das funktioniere auch heute noch. Zwar habe sich einiges getan, Franziskus einiges erreicht: "Aber die Kirche ist noch lange nicht über den Berg."

An der Basis regt sich längst Unmut: In einem offenen Brief anlässlich der Wahl forderten Münsteraner Theologiestudenten der Initiative "Gemeinsam Kirche werden" mehr Bescheidenheit und Demut von den Bischöfen. Die Studenten sehen die "reale Gefahr einer Kirchenspaltung" zwischen Kirchenleitung und Basis, aber auch innerhalb der Kirche selbst: "Das Vertrauen des Gottesvolkes kann der Bischof nicht einfach einfordern", schreiben sie. "Er muss das Gottesvolk um dieses Vertrauen bitten, er muss um dieses Vertrauen werben." Und er muss es sich verdienen.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/katholische-kirche-deutsche-bischofskonferenz-waehlt-neuen-vorsitzenden-a-957806.html

Zuletzt geändert am 11­.03.2014