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Veröffentlicht am 28­.03.2014

28.3.2014 - Publik-Forum

Der Marx-Faktor

von Britta Baas, Thomas Seiterich

Reinhard Marx ist kein besonders progressiver Kardinal. Doch der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat gute Kontakte zum Papst. Genau das könnte zu Reformen in der katholischen Kirche führen

Das Ergebnis war alles andere als ein Triumph. Reinhard Marx wurde erst im vierten Wahlgang und mit knapper Mehrheit zum neuen Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) gekürt. Er selbst sprach danach von einer »ehrlichen Wahl« und wollte damit wohl ausdrücken, dass die Bischöfe sich in Münster nichts schenkten.

In der Tat zeigten die ersten Wahlgänge überdeutlich, dass es eine innere Einheit der Bischofskonferenz nicht gibt. Die knapp siebzig Bischöfe und Weihbischöfe gaben ihre Stimmen zu Beginn vor allem Felix Genn, dem Bischof von Münster, und Franz-Josef Bode, dem Bischof von Osnabrück. Hinter Bode versammelten sich vor allem die progressiven, hinter Genn die eher konservativen Kollegen. Schnell abgeschlagen waren Stephan Ackermann aus Trier und Franz-Josef Overbeck aus Essen. Reinhard Marx hatte in den ersten Wahlgängen sowohl weniger Stimmen als Bode wie auch als Genn. Das änderte sich erst zum Schluss. Als die Bischöfe merkten, dass sie dabei waren, ein unauflösliches Patt zwischen Bode und Genn herzustellen, schwenkten offensichtlich »Bodianer« zu Marx um.

Immer für einen Streit gut

Wie ist er so, der neue »Chef« der katholischen Bischöfe in Deutschland? Der Kardinal und Erzbischof von München und Freising steht für Geradlinigkeit, für politische Einmischung in die Welt sowie für persönliche Glaubensfreude mit barocken Zügen. Marx, geboren im ländlichen Westfalen, ist ein Menschenfischer mit Kanten, an denen sich Gegner wie Freunde reiben werden. Für einen geschliffenen öffentlichen Streit ist er immer gut. Bekannt ist er aber auch für sein fröhlich dröhnendes Gelächter. Die Landschaft der Religionen wird mit ihm kontrastreicher. Und München wird Kirchenhauptstadt Deutschlands.

Denn wenn nun auch noch der evangelische Landesbischof von Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, in Bälde Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) werden sollte – wofür einiges spricht –, sind die Spitzen von Katholizismus und Protestantismus in der bayerischen Landeshauptstadt angesiedelt. Tief im Süden der Republik, wo die Arbeitslosigkeit geringer, die Entkirchlichungstendenz schwächer und die sozialpolitische Problemlast niedriger ist als im Norden und Osten Deutschlands. Die beiden auf den ersten Blick äußerst unterschiedlichen Männer verbindet, dass sie beide Soziallehre-Fachleute und damit Experten für Gerechtigkeits- und Wirtschaftsfragen sind.

Der Kandidat des Papstes

Marx ist kein großer dogmatischer Theologe. Und auch kein Experte fürs stille Kämmerlein persönlich-intimer Glaubensfragen. Damit sind seine schwachen Seiten benannt. Sein unterlegener Gegenkandidat, der Osnabrücker Bischof Bode, steht für jenen inklusiven, die Einzelnen mitnehmenden Führungsstil, der dem schneidigen, gelegentlich autoritär entscheidenden Marx abgeht. Wer nimmt die sich isolierenden Konservativen unter den Bischöfen nun mit in die Zukunft? Dem verbindlichen Bode wäre dies zuzutrauen gewesen. Dem schnellen, stets sicht- und hörbaren Kardinal Marx wohl nur schwerlich.

Er hat allerdings einen anderen, großen Vorteil: Ganz offensichtlich genießt Reinhard Marx das ausdrückliche Vertrauen von Papst Franziskus. Als der Europa-Vertreter in der aus acht berufenen Mitgliedern bestehenden Kardinals-Kommission zur Reform der Kirchenspitze »K8« – und neuerdings als Chef des Wirtschafts- und Finanzrates im Vatikan – ist Marx in der Kurie so stark vernetzt, dass es ihm leichtfallen könnte, störrisch konservative oder allzu progressive deutsche Bischofskollegen zu einem »Gespräch« nach Rom zitieren zu lassen. Marx ist dermaßen mächtig in der römischen Kirche, dass er nötigenfalls nach Belieben über Bande spielen kann – wohl als Einziger unter den deutschen Oberhirten.

Ausgerechnet solch einen konturstarken Mächtigen hat die Mehrheit der Bischöfe nun an ihre Spitze gewählt. Die Richtungsentscheidung, die sich damit verbindet, lautet: Klarheit, Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Profil. »Marx hat sich international als Reformer profiliert: im Umgang mit Missbrauchsskandalen, wiederverheirateten Geschiedenen und in der Kardinalskommission zur Kurien- und Kirchenreform«, sagt etwa der Theologe Hans Küng. Marx sei »dialogfähig« und »führungsstark«. Andererseits: Die kirchlichen Reformbewegungen in Deutschland können ein Lied davon singen, dass der Umgang mit dem »führungsstarken Reformer« in der Vergangenheit oft alles andere als leicht war. Uwe-Karsten Plisch von der ökumenischen Initiative Kirchen von unten (IKvu) erinnert daran, dass Marx einst »kalt, formalistisch und ohne Simulation seelsorglicher Verantwortung« den Theologieprofessor und Priester Gotthold Hasenhüttl abservierte, der beim Ökumenischen Kirchentag 2003 eine offene Eucharistiefeier geleitet hatte, zu der nicht nur Katholiken eingeladen waren. Das Ergebnis: Hasenhüttl wurde als Priester suspendiert; später wurde ihm auch die Lehrerlaubnis entzogen. Christian Weisner von der Bewegung Wir sind Kirche sagt: »Wenn Kardinal Marx das Vertrauen des Kirchenvolkes gewinnen will, muss er noch sehr viel dialogbereiter und teamfähiger werden.« Dazu gehöre, »dass er nun endlich auch zum Gespräch mit den Reformgruppen bereit« sei. Mit anderen Worten: Bislang mied Marx diese Gruppen.

Dass der Kardinal seit Neuestem das aufrüttelnde päpstliche Schreiben »Evangelii Gaudium« (»Freude des Evangeliums«) als seine Richtschnur bezeichnet, könnte zumindest dazu führen, dass er Gnade vor Recht ergehen lässt im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche. In Münster zerstritten sich die Bischöfe nur einen Tag nach der Wahl so heftig über diese Frage, dass die Bischöfe von Augsburg und Regensburg wutentbrannt abreisten. Denn die Mehrheit der Bischöfe ist offenbar dafür, das kirchliche Arbeitsrecht zu reformieren: Noch in diesem Jahr könnte – so ist aus gut unterrichteten Kreisen zu hören – die Entscheidung fallen, wiederverheiratete Geschiedene nicht mehr einfachhin aus dem kirchlichen Dienst zu entlassen. Macht der Marx-Faktor die neue Offenheit möglich? Möglich wär’s. Vielleicht aber ist es auch nur der vielgescholtene Zeitgeist, der endlich bei den Bischöfen angekommen ist.

http://www.publik-forum.de/Publik-Forum-06-2014/der-marx-faktor

Zuletzt geändert am 28­.03.2014