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Veröffentlicht am 21­.01.2015

21.1.2015 - WDR

Was die Gläubigen aus der Kirche treibt

Von Sebastian Auer

Im vergangenen Jahr sind in manchen Städten an Rhein und Ruhr über 40 Prozent mehr Leute aus der Kirche ausgetreten als noch im Jahr zuvor. Kirchensteuer, das luxuriöse Bischofshaus in Limburg, Missbrauch: Die Kirche hat offenbar ein Glaubwürdigkeitsproblem.

"Werft also Eure Zuversicht nicht weg (...). Was Ihr braucht, ist Ausdauer, damit Ihr den Willen Gottes erfüllen könnt und so das verheißene Gut erlangt." So steht es im Brief an die Hebräer im Neuen Testament. Doch die Zuversicht ist ganz offensichtlich bei vielen weg und die benötigte Ausdauer am Ende. Schon seit Jahren haben die katholische und die evangelische Kirche mit Austritten zu kämpfen. Im vergangenen Jahr gab es wieder eine regelrechte Austrittswelle. In Bochum sind die Austrittszahlen um rund 42 Prozent gestiegen, ähnlich in Oberhausen. In Essen waren es sogar rund 60 Prozent. Vor allem zu Beginn des Jahres 2014 lagen die Zahlen hoch, wahrscheinlich noch eine Folge des Skandals um den Limburger Bischof Franz Tebartz van Elst. Im Spätsommer sind vielerorts die Austrittszahlen erneut stark gestiegen. Schuld daran dürfte die Mitteilung vieler Banken sein, die Kirchensteuer auf Kapitalerträge direkt an das Finanzamt abzuführen. Die Besteuerung ist an sich nicht neu, lief bisher aber über die Einkommenssteuererklärung. Die Änderung kam auf Wunsch der Kirchen. Man wollte "Steuergerechtigkeit" schaffen. Der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, räumt aber ein, dass dieser Schuss nach hinten losgegangen ist: "Es sind fatale Nebenwirkungen entstanden. Das hatten wir nicht bedacht", sagt er.

Strenge Hierarchien auflösen

Für Johannes Brinkmann von der katholischen Basisbewegung "Wir sind Kirche" sind die vielen Austritte nach der Gesetzesänderung ein Hinweis darauf, dass die Kirche ein generelles Vertrauensproblem hat: "Das ist quasi der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wer aus Überzeugung in der Kirche ist, tritt nicht wegen Änderungen im Kirchensteuergesetz aus", sagt er. Brinkmann diagnostiziert der Kirche außerdem ein Gerechtigkeitsdefizit. Das fange schon beim Frauenbild in der Liturgie an. Die Bewegung "Wir sind Kirche" will strenge Hierarchien in der katholischen Kirche auflösen. "Die Kirche muss näher bei den Menschen sein, sie abholen", sagt Brinkmann und die Gemeinde vor Ort müsse mehr Mitbestimmungsrecht bekommen. Auch die Sexualmoral sei nicht mehr zeitgemäß. Ein Thema, das durch Papst Franziskus zumindest schon angesprochen wurde.

Beim Austritt funktioniert die Ökumene

Der evangelischen Kirche geht es kaum besser. Zwar dürfen Frauen Priester werden und das Thema Tebartz van Elst betraf sie gar nicht. Trotzdem steigen die Austrittszahlen mit jedem Skandal in der katholischen Kirche mit. Für Johannes Brinkmann von "Wir sind Kirche" liegt das vor allem daran, dass viele nicht mehr zwischen katholisch oder evangelisch unterscheiden. Negative Schlagzeilen bei den einen lassen also auch Austrittszahlen bei den anderen hochschnellen. "Es gibt ein generelles Misstrauen gegenüber Institutionen. Das betrifft nicht nur die Kirchen, sondern auch Parteien und die Medien", sagt Brinkmann. Das sagt auch Präses Manfred Rekowski. "Beim Austritt funktioniert Ökumene leider ganz prima. Gibt es bei uns Probleme merken es die Katholiken und umgekehrt." Die Kirche verspielt nach Meinung von Johannes Brinkmann Chancen. Denn eine Sehnsucht nach Spiritualität sei da. Weihnachten seien die Kirchen voll und Bücher rund um Glauben und Hoffnung verkauften sich blendend. Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, spricht in einem Interview im Magazin des Bistums Essen "BENE" von einer "heilsamen Desillusionierung". Die Kirche sei in der Vergangenheit oft aufgetreten, als habe sie die Wahrheit für sich gepachtet. Das erweise sich jetzt als Bumerang. Diese Einsicht könne heilsam sein. Die im Brief an die Hebräer angesprochene Ausdauer der Gläubigen, wird also noch ein wenig benötigt.

http://www1.wdr.de/studio/essen/themadestages/kirchenaustritte-nehmen-zu100.html

Zuletzt geändert am 21­.01.2015