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Veröffentlicht am 20­.04.2015

20.4.2015 - Main-Post

Augen zu und durch?

Um den Zölibat ist wieder einmal eine angeregte Diskussion entfacht.

Vor einer Woche hat Dr. Wunibald Müller, Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach, den Papst um eine Lockerung des Zölibats gebeten. „Ich habe inzwischen durchweg positive Reaktionen auf meinen Brief bekommen“, sagt er. „Auch seitens Verantwortlicher in der Kirche.“ Kritische Anmerkungen blieben natürlich auch nicht aus.

Herbert Baumann wirkte mehr als 20 Jahre lang als Priester und Dekan in Kitzingen. Seit 2008 arbeitet er als Regens in Würzburg, ist für die Ausbildung der Priesteranwärter verantwortlich. „Wir haben viel zu wenige“, sagt er. 18 Anwärter sind es aktuell, drei- bis vier Mal so viele wären nötig, um die seelsorgerische Arbeit auch in der Zukunft wie bislang aufrecht zu erhalten. „Das Problem ist in ganz Europa das gleiche“, sagt Baumann. Der Priestermangel dürfe aber nicht auf die Zölibatsthematik beschränkt werden. Der demografische Wandel, der schleichende Verlust religiösen Lebens in den Familien: „Das muss man ebenfalls in Rechnung stellen“, mahnt Baumann. Der Regens äußert Verständnis für den Vorstoß von Dr. Müller. „Aber ich halte ihn kirchenpolitisch für problematisch.“

Bitte um Barmherzigkeit

Dr. Müller leitet seit fast 24 Jahren das Recollectio-Haus der Abtei in Münsterschwarzach, in dem Seelsorger aus ganz Deutschland innehalten können, um neue Kraft für ihr berufliches Leben zu finden. Immer wieder wird Müller dort mit ähnlichen Sorgen konfrontiert: Priester, die ihre Sexualität im Verborgenen ausleben, die mit dem Spagat zwischen den Anforderungen der Kirche und ihrer eigenen Sexualität nicht mehr zurechtkommen. Dr. Müller bittet den Papst in seinem Schreiben um Barmherzigkeit gegenüber diesen Menschen – und denen, die vor der Wahl stehen, den Priesterberuf auszuüben. „Ich habe eine hohe Achtung vor Menschen, die ihr Zölibat glaubwürdig leben“, schreibt er an den Papst. „Ich bin aber zugleich zutiefst davon überzeugt, dass es der katholischen Kirche zum Segen gereichen wird, wenn Sie die Türe öffnen, die zu einer Entkoppelung von Priesteramt und Zölibat führt.“ Müller fordert deshalb auch keine Abschaffung des Zölibats, sondern eine Wahlfreiheit.

Der Zölibat als Geschenk

Eine Forderung, die Regens Baumann sehr skeptisch sieht. „Bei einer Wahlfreiheit würden schnell Vorurteile gegenüber den unverheirateten Priestern aufkommen“, befürchtet er. Die würden per se als homosexuell abgestempelt oder gar als potenzielle Kinderschänder. Auch Bischof Friedhelm Hofmann hat sich bislang nicht als Befürworter einer Lockerung erwiesen. „Das Geschenk des Zölibats wird von vielen nicht verstanden“, hat er zu dem Thema wissen lassen. „Meine Aufgabe sehe ich darin, durchsichtiger zu machen, warum die Kirche am Zölibat festhält und warum diese Lebensentscheidung für die Menschen ein Geschenk ist.“ Die Probleme der katholischen Kirche seien nicht dadurch gelöst, den Zölibat aufzuheben.

Neun Priester der Diözese Würzburg haben in den letzten zehn Jahren ihr Priesteramt aufgegeben. Die Gründe sind vielfältig und reichen vom Zölibat bis hin zur zunehmenden Belastung im Priesterberuf, heißt es aus der Pressestelle. Aufschlussreicher ist da eine aktuelle Studie der Hochschule für Philosophie in München. Sie hat 8600 Männer und Frauen befragt, die in der katholischen Kirche arbeiten. Ergebnis: Etwa zwei Drittel der Priester haben positive Erfahren mit dem Zölibat, ein Drittel sprach von einer Belastung, ein Viertel würde diese Lebensform nicht mehr wählen, ein weiteres Viertel zeigt sich unentschlossen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.

Dr. Edgar Büttner, Sprecher der Laienbewegung „Wir sind Kirche“ im Erzbistum München/Freising, spricht von weltweit mehr als 100 000 Priestern, die wegen des Zölibats aus dem Amt entfernt wurden. „Allein im Bistum Würzburg gibt es mehr als ein Dutzend suspendierte Priester, die sofort als verheiratete Priester wieder einsteigen würden“, behauptet er.

Büttner stammt aus Kitzingen, hat in Würzburg Theologie studiert, fünf Jahre als Kaplan gearbeitet und dann noch einmal Sozialpädagogik studiert. Heute arbeitet er als Seminarleiter, Trainer und Coach und engagiert sich seit sieben Jahren in der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche.“ Der 62-Jährige erinnert an den Gewissenskonflikt und die Last der Betroffenen. „Priester gehen wegen ihrer Frau nur gezwungenermaßen aus dem Priesteramt“, sagt er. „Niemals freiwillig.“ Es sei an der Zeit, diese motivierten Menschen wieder in die Kirche zurückzuholen. „Ich war gerne Kaplan“, versichert Büttner. „Und ich würde sofort wieder als Pfarrer arbeiten.“

Die Chancen für einen Wandel sieht er – ähnlich wie Dr. Müller – durchaus positiv. „Der Papst wäre sicher bereit für eine Reform.“ In Südamerika erarbeitet eine Kommission der brasilianischen Bischofskonferenz bereits Vorschläge, unter welchen Bedingungen indigene, verheiratete „Gemeindeälteste“ in ihrer Gemeinde der Eucharistiefeier vorstehen können. Die mögliche Abschaffung des Zölibatsgesetzes wird nach Büttners Meinung künftig den regionalen Bischofskonferenzen überlassen. „Das nannte bereits Bergoglio Regionalisierung des Zölibatsgesetzes.“

Reaktion aus dem Vatikan?

Papst Franziskus denkt nach Dr. Büttners Auffassung prozesshaft und handelt konsensorientiert. „Leider sind die Verantwortlichen in Deutschland kirchenpolitisch noch nicht in der neuen Ära seit dem Rücktritt von Papst Benedikt angekommen“, bedauert er. „Sie warten ab, anstatt beherzt, wie vom Papst gefordert, die neue Chance zu ergreifen.“


Auch Dr. Müller ist zuversichtlich, dass sich zu seinen Lebzeiten etwas verändern wird. „Ich bin durch meine Tätigkeit so nahe an der Wirklichkeit, an dem, was Verantwortliche denken, dass ich spüre, es muss und es wird sich etwas verändern.“ Seine Botschaft ist in Rom jedenfalls schon angekommen. Radio Vatikan hat die Nachricht über den neuen Brief bereits verbreitet. Dr. Müller rechnet außerdem mit einer offiziellen Reaktion aus dem Vatikan.

Ralf Dieter

http://www.mainpost.de/regional/kitzingen/kitzingen/kitzingerexklusiv/art413670,8682589

Zuletzt geändert am 21­.04.2015