27.9.2015 - Welt am Sonntag
Geschiedene Leute
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Wenn einer fromme Wünsche haben darf, dann ja wohl der Papst.
Dabei war es Franziskus selbst, der den Geist erst aus der Flasche gelassen hat. Unter seinen Vorgängern konnte es einem Bischof passieren, für ein allzu forsches Statement Post aus Rom zu bekommen. Einheit ging über Diskussionskultur. Franziskus dagegen will wissen, was sein Klerus denkt. Manche glauben, die derzeitigen Spannungen seien kein Kollateralschaden der päpstlichen Öffnungsstrategie, sondern Ausdruck ihres Erfolgs. Wenn die Gläubigen schon keine friedliche Kirche haben können, sollen die Würdenträger ihren Streit wenigstens in der Öffentlichkeit austragen statt im Hinterzimmer. 2013 hat Franziskus sogar die Laien nach ihrer Meinung gefragt und einen Fragebogen zur Sexualethik verschickt. Die Kluft zwischen dem Leben der Gläubigen und den Regeln der Kirche, die dabei vor allem in Europa und den USA zum Vorschein kam, war so groß, dass sich einige nationale Bischofskonferenzen bis heute nicht trauen, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Viele Theologen, darunter die meisten deutschen Bischöfe, sahen in dem Votum ein Signal dafür, dass es so nicht weitergehen kann, und befürworteten eine größere Offenheit gegenüber Wiederverheirateten und Homosexuellen, unterstützt von entsprechenden Argumenten des emeritierten deutschen Kurienkardinals Walter Kasper. Doch auf der ersten Familiensynode im Herbst 2014 ließen sich die liberalen Kräfte ausbremsen von einer starken konservativen Gruppe um den deutschen Chef der Römischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Ein nicht deutscher Bischof berichtet, dass die Konservativen, darunter viele Mitglieder der Kurie, einfach besser vorbereitet waren. "Die haben in den Gesprächen teilweise schon fertige Texte aus der Tasche gezogen. Da sind Sie natürlich schachmatt, wenn Sie mit leeren Händen angereist sind und eigentlich erst mal gucken wollten, wie alles so läuft."
Die Kampagnenfähigkeit der Traditionalisten zeigt sich heute besonders auf Unterstützerseiten im Internet. Bischöfe und Erzbischöfe aus aller Welt lassen sich dort in Listen eintragen, um gegen Reformen zu protestieren. Am Donnerstag, einen Tag nachdem Franziskus in Washington einen einmütigeren Umgang in der Kirche angemahnt hatte, brachten elf Kardinäle, darunter der aus Guinea stammende Kurienkardinal Robert Sarah, eine Streitschrift mit Aufsätzen "zu Ehe und Familie" heraus – und nahmen sich darin reformorientierte Bischöfe teilweise namentlich zur Brust.
Doch die Traditionalisten sind nicht mehr die Einzigen, die vorsorgen wollen. Auch das liberale Lager ist äußerst umtriebig, und die Deutschen spielen dabei eine große Rolle. Der deutsche Kardinal Marx wird international als wichtiger Strippenzieher der Reformer angesehen. Als Mitglied des achtköpfigen Kardinalsgremiums, das Vorschläge für einen Umbau der Kurie erarbeiten soll, verfügt er im Vatikan über großen Einfluss und hat regelmäßigen Zugang zum Papst. Marx lotete zuletzt diskret Gemeinsamkeiten mit ausländischen Bischöfen aus. Ende Mai luden er und die Vorsitzenden der Schweizer und der Französischen Bischofskonferenz einige Theologen zu einer Tagung nach Rom ein. Enge Verbindungen unterhalten die deutschen Bischöfe unter anderem auch zu den polnischen Bischöfen um Posens Erzbischof Stanisław Gądecki, die eventuellen Lockerungen bei der Familienethik besonders skeptisch gegenüberstehen.
Welches Netzwerk am Ende besser hält, wird sich ab dem 4. Oktober zeigen, wenn sich die 400 Teilnehmer in Rom treffen: Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Ordensleute und auch einige Laien. Diskutiert wird in der Audienzhalle Paulo VI. am Rande des Petersplatzes. Zum Auftakt muss jeder stimmberechtigte Teilnehmer ein Drei-Minuten-Statement in der für ihre kräftige Klimaanlage gefürchteten Aula abgeben. Danach ziehen sich die Delegierten in nach Sprachen getrennte Kleingruppen zurück und erarbeiten Stellungnahmen zu Einzelaspekten, die am Ende wiederum im Plenum diskutiert werden. Wenn im vergangenen Jahr die Diskussion zu hitzig zu werden drohte, ließ der Papst zur Beruhigung argentinische Kekse verteilen.
Viele Laien bezweifeln, dass bei dem umständlichen Prozedere Substanzielles herauskommen kann. Die internationale Laienreformbewegung "Wir sind Kirche" will deshalb einen Appell an die Synodalen richten, dem sich unter anderem die "Wir sind Kirche"-Gruppen aus Deutschland, Italien, Großbritannien, USA und Südafrika angeschlossen haben. In dem Papier, das Montag veröffentlicht werden soll, heißt es, die Zeit sei reif "für eine stärkere Rückbindung der kirchlichen Lehre an das Evangelium". Darunter versteht die Laienbewegung unter anderem "ein Überdenken des traditionellen Verständnisses der Unauflösbarkeit der Ehe": "Paare, die zivilrechtlich geschieden und wiederverheiratet sind, sollten nach einer Zeit pastoraler Begleitung an allen Sakramenten teilnehmen und von der christlichen Gemeinschaft mit Freude aufgenommen werden."
Ehemalige Priester, die geheiratet haben, sollten wieder Seelsorgeraufgaben in den Gemeinden übernehmen dürfen. Homosexuelle müssten die Möglichkeit haben, vollwertige Mitglieder der Kirche zu werden. Schließlich glauben die Verfasser zu wissen, dass der Heilige Geist "in Richtung eines Wandels des kirchenamtlichen und pastoralen Umgangs mit all diesen Fragen geht".
Über die Absichten des Heiligen Geistes gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Passaus Bischof Stefan Oster etwa hat immer wieder gesagt, er sehe keinen Spielraum bei den Wiederverheirateten. Er weiß, dass seine Position in Deutschland unpopulär ist. "In der Deutschen Bischofskonferenz gibt es sicher eine Mehrheit von Mitbrüdern, die für eine maßvolle Reform eintritt", sagt er. Bei der Synode in Rom 2014 waren die Reformer bei vielen strittigen Punkten in der Überzahl, erreichten aber nicht die für das Abschlussdokument notwendige Zweidrittelmehrheit. Doch eine Synode ist kein Konzil, sie kann nur Vorschläge erarbeiten. Die Entscheidungen trifft in der katholischen Kirche immer noch jemand anders. "Wahrheit ist nach unserem Verständnis nicht einfach durch Mehrheitsentscheidungen oder durch ein politisch verstandenes Sich-Durchsetzen zu gewinnen", sagt Bischof Oster. "In jedem Fall bin ich am meisten darauf gespannt, was der Papst am Ende der Synode sagen wird."
http://www.welt.de/print/wams/politik/article146898253/Geschiedene-Leute.html
Zuletzt geändert am 27.09.2015