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Veröffentlicht am 02­.10.2015

2.10.2015 - Neue Westfälische

"Bei der Synode muss es um Ehen gehen, die nicht den Idealtypus verkörpern"

Über Erwartungen an die zweite Familiensynode äußert sich Manfred Dümmer, Sprecher der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“. Die dreiwöchigen Beratungen der katholischen Bischöfe beginnen am Sonntag in Rom

Herr Dümmer, was sollte die Kirche heute für Ehen und Familien leisten?
DÜMMER: Die Kirche muss sich fragen, wie sie Familien ansprechen kann – und zwar nicht diejenigen, die als Gläubige gefestigt sind. Es muss um Ehen gehen, die gescheitert sind und die nicht den Idealtypus verkörpern. Es muss Lösungen geben, wie Geschiedene und Wiederverheiratete eingegliedert statt aussortiert werden. Sie müssen in den Gemeinden Halt bekommen. Es kann nicht sein, dass sie ausgeschlossen werden, sogar unabhängig davon, ob sie schuld an der Trennung sind.

Kann die Synode solche Veränderungen anstoßen?
DÜMMER: Eine gewisse Skepsis, dass sich etwas verändert, ist angebracht. Denn die katholische Kirche ist eine Weltkirche und entscheidet im Gegensatz zu kleineren Kirche nicht im Sinne einzelner Nationen. Sie muss viele Kulturen mit ganz unterschiedlichen Anschauungen vereinen. Im letzten Jahr, beim ersten Teil der Familiensynode, scheiterten solcheVersucheam großen Einfluss konservativer Strömungen. Wir von „Wir sind Kirche“ hoffen trotzdem auf eine Änderung – auch in der Lehrauffassung. Denn die Gesellschaft hat sich geändert.

Könnte die Empfehlung des Papstes für eine vereinfachte Annullierung von Ehen ein Zeichen für Neuerungen sein?
DÜMMER: Das war ein erster Schritt, aber einer, der längst überfällig war. Ich glaube, dass viele ihre Entscheidung, ob sie noch in der Kirche bleiben, davon abhängig gemacht haben. Deshalb sind viele wegen einer rein organisatorischen Frage ausgetreten. Die Kirche muss endlich Anspruch und Wirklichkeit prüfen. Ob Ehe oder nicht – das muss man den Menschen überlassen. Ähnlich ist es mit Streitthemen, wie etwa ob Verhütung mit dem Glauben vereinbar ist. Da erhebt die Kirche einen Anspruch, der sich nicht einmal biblisch halten lässt.

Also sollte sich die Kirche aus dem Beziehungsleben der Gläubigen heraushalten?
DÜMMER: Das sind alles keine Glaubensfragen, es sind organisatorische – selbst wenn ich sage, die Ehe ist ein heiliges Sakrament. Was nützt diese Haltung, wenn man feststellt, dass man nicht zusammengehört und vielleicht sogar Kinder unter einer unglücklichen Ehe leiden? Die Grundlage für alles im Christentumsolltedie Liebe seinund nicht der Stempel des Pfarrers, der als Einziges noch die Ehe zusammenhält.

Können zölibatär lebende Männer kompetent Entscheidungen für Ehen und Familien treffen?
DÜMMER: Sicher nur sehr schwer. Aber es gibt viele Bischöfe, die sich diesem Problem bewusst stellen und darüber nachdenken – deshalb wäre es zu hart zu behaupten, sie können es generell nicht. Die Familienthemen wurden von Foren und kirchlichen Gruppen an die Bischöfe herangetragen und mit ihnen diskutiert, deshalb kann keiner von ihnen behaupten, er kennedieProblemenicht.Aber ob sich jeder von ihnen der Tragweite bewusst ist, wie die Menschen leiden, wenn sie nach einer Scheidung von der Gemeinde ausgeschlossen werden, da habe ich bei manchen so meine Zweifel. Papst Franziskus ist für viele ein Hoffnungsschimmer, die auf frischen Wind in der Kirche hoffen.

Wird sein Wort reichen?
DÜMMER: Im vergangenen Jahr hatten die konservativen Strömungen einen großen Einfluss. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Papst viele Kritiker in den eigenen Reihen hat. Deshalb ist es wichtig, dass die Reformorientierten und die Medien ihn unterstützen, um Lösungen voranzutreiben. Leider können solche Diskussionen dauern und natürlich muss man sich fragen, ob einem nicht die Zeit davon läuft – vor allem mit Blick auf die Jüngeren. Sollte es nicht bereits bei der Familiensynode zu Ansätzen von Veränderungen kommen, wird der Frust zu weiteren Austritten führen.

Das Gespräch führte Melanie Wigger

Zuletzt geändert am 03­.10.2015