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Veröffentlicht am 10­.01.2016

Januar 2016 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

„Selbst-bewusste Gemeinden im Jahr der Barmherzigkeit“

Es hat ja schon mit dem 8. Dezember begonnen, das Jahr der Barmherzigkeit. Geschrieben und geredet wird allerorten darüber. Warum nur habe ich den Eindruck, dass die meisten meiner Mitchristinnen und Mitchristen damit nichts anfangen können, sogar mit Ablehnung reagieren oder die Schultern zucken? Liegt es daran, dass das Wort Barmherzigkeit, misericordia, auch gern als Mitleid übersetzt, bei uns mit Überheblichkeit und Arroganz verbunden in Verruf gekommen ist?

Ein Jahr der Barmherzigkeit auszurufen, als Chef einer Organisation, die sich damit nicht gerade schmücken kann, ist nicht ganz ohne. Sofort poppen die Ressentiments auf, angesichts einer Amts-Kirche, die ihre Ausgrenzungsmechanismen perfektioniert hat, soweit, dass die meisten Ausgegrenzten sich das gefallen lassen, sich oft ganz zurückziehen und auf Barmherzigkeit verzichten, auch wenn die Bischöfe einer nach dem anderen eine „Heilige Pforte“ in ihren Kirchen öffnen.

Wie soll dieses Jahr der Barmherzigkeit dann in der Breite ankommen? In der Bulle zum heiligen Jahr beschreibt Franziskus Barmherzigkeit als „Schlüsselwort, um Gottes Handeln uns gegenüber zu beschreiben. Er beschränkt sich nicht darauf seine Liebe zu beteuern, sondern er macht sie sichtbar und greifbar. … Aus ihrer Natur heraus ist sie stets konkrete Wirklichkeit: Absichten, Einstellungen und Verhalten, die sich im tagtäglichen Handeln bewähren.“

Aus gutem Grund bildeten sich zu Beginn des Christentums Gemeinden, in denen die Frohe Botschaft weitergesagt und weitergelebt wurde. Nur gemeinsam und im Kontakt miteinander konnten die Menschen damals – und können sie heute – diesen hohen Anspruch verwirklichen. Doch bei uns hat man kleruszentriert alles getan, um diese anonym und träge zu machen durch XXL-Gemeinden und Gemeindeverbünde, die dem Priestermangel angepasst wurden.

Tatsächlich gibt es Gemeinden, die angesichts der Herausforderungen sich gerade neu entdecken und erfinden und zu Kraftzentren z. B. für Flüchtlingsarbeit werden. Vielleicht trägt das „Jahr der Barmherzigkeit“ dazu bei, dass noch mehr Gemeinden ein neues Selbst-Bewusstsein entwickeln, sich nicht mehr auf das „Business as usual“ und parochiale Verwaltungseinheiten mit Rosenkranz, Wallfahrt und Pfarrfasching reduzieren lassen und sich entsprechend ihrer Stärken neu orientieren und handeln.

Zum Öffnen Heiliger Pforten der Barmherzigkeit brauchen die Gemeinden keine Bischöfe, nur Gottvertrauen und Mut zur Eigenverantwortung. Wer weiß, welche Türen sich dann noch öffnen.

Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche Deutschland

Zuletzt geändert am 12­.01.2016