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Veröffentlicht am 01­.04.2016

April 2016 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Rücktritte auf höchster Ebene fällig?

Der Rücktritt des übergriffigen Wiener Kardinals Hans Hermann Groër im September 1995 konnte damals noch als (prominenter) Einzelfall abgetan werden. Die Aufdeckung der systematischen Vertuschung im Erzbistum Boston löste 2002 ein Erdbeben in den USA aus, das der Oscar-prämierte Film „Spotlight“ jetzt eindrücklich dokumentiert. In Deutschland gelang es Pater Klaus Mertes und den Berliner Jesuiten erst im Jahr 2010, das katholische Schweigekartell aufzubrechen. In vielen Ländern ist sexualisierte Gewalt durch Kleriker immer noch ein Tabu.

Die Verstrickung von kirchlichen Instanzen in die Vertuschung dieser Skandale hat Bischof Geoffrey Robinson, der selber Leiter der australischen bischöflichen Kommission zur Aufklärung sexuellen Missbrauchs durch Kleriker war, sehr klar in seinem Buch „Macht, Sexualität und die katholische Kirche“ analysiert: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist nur die Spitze des Eisbergs von Gewalt in der römisch-katholischen Kirche. „Ein krasserer Widerspruch zu allem, was Jesus Christus lehrte, ist schwer vorstellbar, und der tief greifende und dauerhafte Schaden für die Kirche ist kaum zu überschätzen.“

Opferverbände, Reformgruppen und die Öffentlichkeit haben mittlerweile in einigen Ländern erreicht, dass dort die katholische Kirche zu den Vorreitern für Aufklärung und Prävention gehört. Es gibt Bemühungen im Vatikan. Doch trotz aller Beteuerungen: die jüngste Aufarbeitung beispielsweise bei den Regensburger Domspatzen und im Bistum Hildesheim hat wieder enttäuscht.

Auf dem Rückflug von Mexiko hat Papst Franziskus gesagt: „Ein Bischof, der einen Priester aus einer Pfarrei versetzt, wenn dieser als Pädophiler bekannt ist, handelt verantwortungslos, und das Beste, was er tun kann, ist, seinen Rücktritt einzureichen.“ Damit könnte auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller gemeint sein, der im Vatikan als Verantwortlicher für die Strafverfolgung der Täter ein besonderes Glaubwürdigkeitsproblem hat. Als Bischof von Regensburg hatte er einen straffälligen Pfarrer wieder zum Dienst zugelassen, der sich dann prompt erneut an Kindern verging. Auch der chilenische Bischof Juan Barros Madrid, der australische Kurienkardinal George Pell und Kardinal Philippe Barbarin in Lyon sollen in der Vergangenheit Missbrauchsfälle vertuscht haben. Der Jesuit Klaus Mertes hält deshalb Rücktritte auf höchster Ebene für notwendig. Wichtig ist aber auch eine theologische Aufarbeitung, wie die Sexualmoral und die Organisation der Machtzuteilung in der Kirche das Begehen und das jahrzehntelange Vertuschen dieser Verbrechen ermöglicht haben. Nur so kann unsere Kirche wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Bischof Geoffrey Robinson: „Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation“ (ISBN 978-3-88095-196-9, auch über Wir sind Kirche erhältlich)

Zuletzt geändert am 16­.03.2016