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Veröffentlicht am 09­.04.2016

9.10.4.2016 - Donau-Kurier

Die neue Offenheit eines Papstes

Rom (DK/dpa) Auch dieses Mal bricht in der katholischen Kirche kein neues Zeitalter an, keine Revolution erschüttert die Grundfesten der Vatikanmauern – stattdessen betätigt sich Papst Franziskus als weiser Berater in Liebesdingen. In seinem Schreiben zu den Themen Familie und Ehe suchen Katholiken vergebens nach klaren Normen etwa zumUmgangmit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen. Der Argentinier präsentiert sich nicht als Dogmatiker, erlässt keine päpstlichen Anordnungen, sondern schreibt offen über Zweisamkeit und Sex. „Erfrischend“, meint Vatikan- ExperteBerndHagenkord. „Der ganze Text ist sehr emotional undmenschlich.“

Franziskus wendet sich mit einem sehr praxisnahen Resümeean die Gläubigen, das ohne den theologisch-theoretischen Pathos seiner Vorgänger auskommt – und frei von jeder Peinlichkeit auch offen über Liebe, Erotik und Zärtlichkeit spricht. „Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen“, rät der Papst und schreibt weiter: „Die Ehe ist auch eine Freundschaft, welche die der Leidenschaft eigenen Merkmale einschließt.“ Wenn esumdie Liebe zwischenMann und Frau geht, schwebt dieser Pontifex nicht in himmlischen Sphären, sondern bleibt ganz bodenständigundlebensnah.

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Das wird auch im sechsten Kapitel deutlich, in dem Franziskus fast nur am Rande das auch in Deutschland heiß diskutierteThemaZölibaterwähnt und wie aus dem Nichts zwei Sätze schreibt, die viele aufhorchen lassen: Es habe sich gezeigt, dass es geweihten Amtsträgern oft an der nötigen Ausbildung fehle, um mit den vielschichtigen aktuellen Problemen der Familien umzugehen. „In diesem Sinn kann auch die Erfahrung der langen östlichen Tradition der verheirateten Priester nützlich sein“, schreibt der Papst – und macht neugierig darauf, ob da vielleichtnochmehrkommt.

In Deutschland reagierte die Bewegung „Wir sind Kirche“ kritisch: „Papst Franziskus versucht mit seinem Schreiben einen Spagat zwischen den Erwartungen beharrender und den auf Reformen drängender Flügeln im Kirchenvolk“, sagt Walter Hürter von der Diözesangruppe Eichstätt. „Wir begrüßen die Betonung der persönlichen Gewissensbildung, der Barmherzigkeit Gottes und die stärkere Verantwortung der einzelnen Bischöfe, sind aber enttäuscht über die päpstliche Haltung zum Beispiel zu der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.“ Die Mehrheit der Antworten auf die vom Papst initiierten Umfragen spiegelten sich nicht in den Ergebnissen der Familiensynode und dem heute veröffentlichen päpstlichen Schreiben wider. Hürter: „Die Gläubigen werden sich weiter von den Lehren der katholischen Kirche entfernen.“

Zuletzt geändert am 19­.04.2016