4.5.2016 - epd
Dienstende für den Professor mit Hirtenstab
Von Karsten Packeiser (epd)
Keiner der aktuellen katholischen Bischöfe in Deutschland war so lange im Amt, wie Karl Lehmann. Und nur wenige sind ähnlich populär. Wenn der Mainzer Kardinal in wenigen Tagen wohl in den Ruhestand geht, hinterlässt er eine große Lücke.
Mainz (epd). Im Mainzer Dom planen Protokoll-Mitarbeiter bereits die Sitzordnung für den großen Festgottesdienst am Pfingstmontag, und am Mittwoch war die Presse noch einmal zu einer Art Abschiedstreffen geladen. Die katholische Kirche bereitet sich auf eine Zäsur vor: Am 16. Mai wird Kardinal Karl Lehmann 80 Jahre alt, und es bestehen mittlerweile keine Zweifel mehr, dass Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch von Deutschlands dienstältestem katholischen Bischof zu diesem Termin annehmen wird. Weit über die Bistumsgrenzen hinaus genießt der frühere Theologieprofessor mit der eigenartig schnarrenden Stimme größten Respekt.
In seiner rekordverdächtigen, über 32-jährigen Amtszeit gelang Lehmann das Kunststück, seine Leidenschaft für die theologische Wissenschaft mit einer äußerst bodenständigen Amtsführung zu verbinden. Seine kolossale Veröffentlichungsliste umfasst über 4.200 gedruckte Texte, die er bis zuletzt noch selbst mit der Hand schrieb. Aber den Menschen in Rheinland-Pfalz und Hessen blieb der bekennende Mainz-05-Anhänger mindestens ebenso durch seine Stadionbesuche mit Fan-Schal in Erinnerung. Vor allem prägte der 1936 in Sigmaringen geborene Sohn eines Volksschullehrers die katholische Kirche als langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz mit.
Als Assistent des Theologen Karl Rahner hatte der junge Lehmann noch selbst am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen, jener historischen Versammlung, mit der sich die Katholische Kirche zur modernen Welt hin öffnete. Wie kein Zweiter habe er seither versucht, die Ergebnisses des Konzils in Deutschland ins Leben umzusetzen, glaubt Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung "Wir sind Kirche": "Er ist ein Kämpfer mit theologischen Argumenten, aber gegen die Machteliten in Rom hat er sich nicht durchsetzen können." Während Lehmanns Amtszeit sei deutlich geworden, wie sehr sich der Wind im Vatikan wieder gedreht habe.
An der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz genoss Lehmann lange den Ruf eines verhältnismäßig liberalen Vordenkers und besonnenen Reformers, der sich auch stark für die Ökumene einsetzte. Im langjährigen Streit um den vom Vatikan geforderten Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung scheute er selbst vor einem offenen Konflikt mit Papst Johannes Paul II. nicht zurück. "Wir haben gekämpft, und wir haben verloren", kommentierte er 1999 schließlich das Machtwort aus Rom. Auffällig lange wurde Lehmann ausgespart, wenn der polnische Papst den Kreis der Kardinäle erweiterte. Erst 2001 wurde auch dem Mainzer Bischof die Ehre zuteil.
"Karl Lehmann ist über Jahrzehnte hinweg das Gesicht einer weltoffenen und menschenfreundlichen Kirche geworden", sagt der frühere ZDF-Intendant Markus Schächter. Zum 80. Geburtstag des Kardinals hat der einstige Fernseh-Chef mehrere lange Gespräche mit Lehmann geführt hat, die in Buchform erschienen sind. Darin äußert der Bischof auch deutliche Kritik an Fehlentwicklungen in seiner Kirche, etwa an der Art und Weise, wie vakante Bischofssitze vergeben werden. "Unbefugte Leute haben immer wieder die Finger drin", sagte er zum Ablauf der Auswahlverfahren.
In den zurückliegenden Jahren war Lehmann - auch wegen gesundheitlicher Probleme - seltener in der Öffentlichkeit zu sehen. Auch nach dem Wechsel in den Ruhestand bleibt er weiter im Bischofshaus in der Mainzer Altstadt wohnen. Den Abschied aus dem Amt betrachte er mit einer Mischung aus Wehmut und Erleichterung, sagte Lehmann am Mittwoch in Mainz. Hoffnungen auf schnelle große Reformen in der katholischen Kirche erteilte er dabei eine Absage. An kleine Schritte glaube er weiter, denn schon als junger Mensch habe er erfahren: "Und sie bewegt sich doch."
Zuletzt geändert am 13.05.2016