24.5.2016 - katholisch.de
Das Selbstbewusstsein der Laien erwacht Die Geschichte der Deutschen Katholikentage - Teil zwei
Die auf den frühen Katholikentagen behandelten Themen waren relativ konstant: die Kirchenfreiheit und damit zusammenhängend die Schulfrage sowie die soziale Frage. Beim Stichwort "Kulturkampf" denkt man zuerst an den preußischen Kulturkampf der 1870er Jahre. Doch auch dieser hatte eine Vorgeschichte. Inzwischen spricht die Forschung vom 19. Jahrhundert als einem Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. In Deutschland begannen sie mit dem Kölner Ereignis von 1837, bei dem ein Bischof in Festungshaft genommen wurde. Verschärft wurde die Situation durch die Päpste. Diese wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts dreimal aus dem Kirchenstaat vertrieben. Sie verurteilten daraufhin sämtliche "Modernismen" und provozierten die Regierungen mit der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit.
Der deutsche Katholizismus und die Zentrumspartei ließen sich zwar nicht instrumentalisieren und setzten sich aus pragmatischen Gründen beispielsweise für Religionsfreiheit und Demokratisierung ein. Dennoch demonstrierten sie auf den Katholikentagen Geschlossenheit mit dem Papst und forderten die Freiheit der Kirche vor staatlichen Übergriffen. Konkret ging es beispielsweise um die freie Besetzung von kirchlichen Ämtern, die Sicherung konfessioneller Schulen sowie den Erhalt der Klöster und Orden.
Das Selbstbewusstsein der Laien erwacht
Daneben mussten vor allem Antworten auf die wachsende Armut und Verelendung der Industriearbeiter gefunden werden. Sah man die Lösung der sozialen Frage zunächst in religiöser Bildung und Almosen, ging es bald um Hilfe zur Selbsthilfe durch Genossenschaften und staatliche Sozial- und Arbeitsschutzgesetzgebung. Gerade in diesen Punkten ist die Geschichte des politischen Katholizismus, dessen wichtigste Plattformen die Katholikentage waren, eine Erfolgsgeschichte. Bismarck implementierte nach und nach umfassende Arbeitsschutzgesetze, die den Anfang unseres heutigen Sozialstaates bilden, die Kulturkämpfe scheiterten und die Weimarer Reichsverfassung gewährte die Religionsfreiheit. Und der Papst reagierte auf die Bitte des Vorbereitungskomitees des Danziger Katholikentags um eine Stellungnahme zur sozialen Frage mit der ersten Sozialenzyklika überhaupt, Rerum novarum (1891), und bestätigte inhaltliche die deutschen Lösungsansätze.
Die grundsätzliche Romtreue der Katholikentage wird auch darin deutlich, dass die Reformbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Jugendbewegung, die Bibelbewegung und die liturgische Bewegung auf den Katholikentagen keine Rolle spielten. Aber das Erwachen des Selbstbewusstseins der Laien war nicht aufzuhalten: 1922 sah sich Kardinal Faulhaber (1869-1952) dazu gezwungen, in 23 Reden zum Gehorsam der Laien gegenüber den Bischöfen aufzurufen. Als Konrad Adenauer (1867-1967) als Präsident des Katholikentags Faulhabers Abneigung gegen Demokratie kritisierte, wurde ihm der übliche päpstliche Orden verweigert. Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) nahm eine positive Neubestimmung der Laien in der Kirche vor und rehabilitierte die Reformbewegungen.
Auf dem Essener Katholikentag 1968 verfassten dann 4.000 Besucher eines Forumsgesprächs eine Resolution. Darin baten sie den Papst, die lehramtliche Position zur Empfängnisverhütung, wie sie in der Enzyklika Humanae vitae formuliert worden war, zu überarbeiten, da sie ihr nach Einsicht und Gewissen nicht folgen könnten. Die Essener Diskussionen veranlassten die Bischöfe 1969 dazu, die sogenannte Würzburger Synode (1971-75) einzuberufen, bei der Kleriker und Laien gemeinsam über die Umsetzung des Konzils berieten. Einen Einschnitt ganz anderer Art stellt der Freiburger Katholikentag 1978 dar: Damals stieg der Anteil jugendlicher Besucher stark an, die seither das Gesicht der Katholikentage prägen. Daneben gibt es weiterhin Gruppen, die sich nicht repräsentiert sehen: So lädt seit den 1980er Jahren der "Katholikentag von unten" oder inzwischen der "Katholikentag plus" zu ergänzenden Veranstaltungen ein. Dabei arbeiten Kirchenreformgruppen wie Wir sind Kirche heute auch bei den Katholikentagen mit und bieten Veranstaltungen im offiziellen Programm an.
Breites Themenspektrum, der Welt zugewandt
Insgesamt ist das Themenspektrum stark angewachsen und die Katholikentage haben sich wie die Kirche der Welt geöffnet: Bildungsgerechtigkeit, Mission bzw. die Verantwortung für die Eine Welt, Gleichberechtigung und Menschenrechte, Einsatz für den Frieden, die Gestaltung Europas und ökologische Themen sind nicht mehr wegzudenken. 1952 begann der Dialog mit der evangelischen Kirche, ab 1970 beschäftigte man sich intensiv mit dem Judentum und 1992 wurde in Karlsruhe erstmals ein christlich-islamisches Gespräch veranstaltet. Nach einem ersten ökumenischen Pfingsttreffen 1971 in Augsburg luden das ZdK und der DEKT 2003 zum ersten Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) nach Berlin ein. 2010 wurde dieser gemeinsame Weg in München mit dem zweiten ÖKT fortgesetzt.
Reden, Wallfahrten und Feuerwerk wie in Trier 1887 – die Verbindung von liturgischen, thematischen und kulturellen Angeboten auf den Katholikentagen bestand von Beginn an. In der Anfangszeit war zudem prägend, dass das katholische Milieu Ausdrucksmittel verschiedener Schichten nutzen konnte: neben bürgerlichen Banketten wurden Arbeitermärsche abgehalten – wie 1908 in Düsseldorf mit 60.000 Männern –, die ihre Wirkung nicht verfehlten.
Früher nur Reden, heute Workshops
Daneben wurden zunehmend inhaltliche Schwerpunkte gesetzt: zunächst in Form von nichtöffentlichen Arbeitskreisen, später durch öffentliche Zentren (heute beispielsweise "Generationen und Familien" oder "Integration und Begegnung der Kulturen"). Auch kamen zu den Reden neue, diskursivere und auf Beteiligung angelegte Formate hinzu: von Podiumsdiskussionen über Bibelgespräche bis hin zu Workshops. Sichtbarer Ausdruck der zunehmenden Pluralität ist zudem die seit Dresden 1994 eingeführte Kirchenmeile, auf der sich verschiedenste katholische Gruppen, Vereine und Orden präsentieren – und die nicht zuletzt auf die Anfänge der Katholikentage als Vertretertagungen der Vereine verweist.
Die Katholikentage entstanden im Zeitalter der Kongresse und waren für die Zeit nichts Ungewöhnliches – im kirchlichen beziehungsweise katholischen Kontext dagegen schon. In ihrer Kontinuität, durch die Förderung von Laienengagement und innerkirchlichem Dialog sowie in ihrer breiten gesellschaftlichen Wirkung über die Zeit hinweg sind die Deutschen Katholikentage einzigartig. Dabei wirkten sie als Vorbilder für den DEKT, die Internationalen Alt-Katholiken-Kongresse, regionale Katholikentage wie in Hessen oder die Österreichischen Katholikentage. Von einer kämpferischen "Heerschau" haben sich die Deutschen Katholikentage in ein buntes Kaleidoskop der deutschen Katholiken verwandelt. 1998 formulierte Bischof Karl Lehmann zum 150-jährigen Jubiläum, es bedürfe "intellektuelle[n"> Mut[es">, sozialer Phantasie und einer spirituellen Erneuerung". Dies gilt auch für die Katholikentage der Zukunft. Die vergangenen Jubiläen wurden im katholischen Mainz gefeiert. Zum 100. Deutschen Katholikentag nach Leipzig einzuladen ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Der Artikel stammt aus dem Buch "Wo zwei oder drei zusammen sind ... - Das Lesebuch zum Katholikentag" von Gudrun Lux (Hrsg.). Am Montag erschien der erste Teil des Textes auf katholisch.de.
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Zuletzt geändert am 25.05.2016