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Veröffentlicht am 25­.05.2016

25.5.2016 - heute.de

Reformer in der katholischen Kirche: "Es reicht nicht aus, auf den Papst zu setzen"

Mehr frischen Wind für die katholische Kirche, das wünscht sich die Reformbewegung "Wir sind Kirche". Nur auf Papst Franziskus zu setzen, reiche nicht, sagte Christian Weisner im Interview mit heute.de. Dass die AfD vom Katholikentag in Leipzig ausgeschlossen wurde, sei die richtige Entscheidung.

heute.de: Welche Erwartungen haben Sie an den Katholikentag?

Christian Weisner: Andere Länder beneiden uns um diese großen Versammlungen des Kirchenvolkes, die in Deutschland eine lange Tradition haben und die es in dieser Form sonst nirgendwo gibt.
Ich bin ein großer Fan der Katholiken- und Kirchentage. Es ist immer wieder eine phantastische Möglichkeit des Austausches mit anderen Gläubigen der eigenen Konfession, in der Ökumene und im interreligiösen Dialog.

heute.de: Also wichtiger für die Kirche selbst?

Weisner: Nein, der Dialog von Religionen mit der Zivilgesellschaft ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Da wird dieser Katholikentag ein besonderer Praxistest sein, welche Relevanz die christliche Botschaft von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Versöhnung für den Einzelnen wie auch für unsere Gesellschaft noch haben kann, unabhängig von überlieferten Traditionen. Umgekehrt müssen sich auch die Kirchen den Anfragen aus der Gesellschaft stellen, zum Beispiel in der Frauenfrage, beim Familienbild oder wie innerhalb der Kirche Entscheidungen gefällt werden. Ob daran wirklich alle beteiligt werden.

heute.de: Praxistest in Leipzig, einer völlig konfessionsfernen Gegend. War das die richtige Entscheidung?

Weisner: Die Entscheidung für Leipzig finde ich sehr gut, denn diese Stadt hat eine entscheidende Rolle gespielt, als sich christliche und gesellschaftliche Bewegungen von unten gemeinsam und erfolgreich für eine politische Wende eingesetzt haben. An diese Tradition wird dieser Katholikentag hoffentlich anschließen und neugierig machen.

heute.de: Es gab und gibt viel Kritik, dass die Stadt den Katholikentag mit einer Millionen Euro unterstützt, obwohl nur 4,3 Prozent der Leipziger katholisch sind.

Weisner: Die anstehenden Herausforderungen unserer Gesellschaft sind so groß, dass wir sie nur gemeinsam bewältigen können. Da können Katholiken- und Kirchentage wichtige Brücken bauen. Die breiten Dialogmöglichkeiten, die diese Treffen immer bieten, rechtfertigen meines Erachtens auch eine gewisse finanzielle Bezuschussung der öffentlichen Hand, obwohl ich angesichts der Finanzlage in Sachsen die Kritik vieler Menschen nachvollziehen kann. Die Transparenz und Mitentscheidungsmöglichkeit bei Kirchenfinanzen ist auch uns als kirchlicher Reformgruppe ein großes Anliegen. Das Programm des "Katholikentag plus" wird deshalb nur aus Spenden finanziert und verzichtet auf Kirchen- oder Steuergelder.

heute.de: Sie haben gesagt, dass Sie sich von dem Katholikentag einen "Franziskus"-Effekt wünschen. Was meinen Sie damit?

Weisner: Papst Franziskus hat in den gut drei Jahren seines Pontifikats innerkirchlich wie weltpolitisch zahlreiche Initiativen und Impulse gesetzt, die weit über die eigene Glaubensgemeinschaft hinaus mit großer Hoffnung beachtet werden, wie zuletzt bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises.
Es reicht aber nicht aus, nur auf den Papst zu setzen. Wir alle sind nun aufgefordert, die christliche Freiheits- und Friedensbotschaft in der heutigen Zeit wirksam werden zu lassen. Da spüre ich auf vielen Ebenen bisher leider noch zu wenig frischen Wind.

heute.de: Sehen Sie die aktuellen Fragen in der katholischen Kirche - Sexualethik, Öffnung des Diakonats für Frauen - in Leipzig angemessen repräsentiert?

Weisner: Franziskus hat bei der Familiensynode in Rom endlich wieder Freiräume für die theologische Debatte eröffnet und die Sexuallehre entkrampft. Das wird hoffentlich in Leipzig mit guten Argumenten und ohne Tabus weitergeführt. Am Ende wird es aber wichtig sein, dass endlich auch die Regeln einer bis jetzt viel zu sehr verrechtlichten Kirche geändert werden. Da hat Franziskus den Bischöfen jetzt viel Verantwortung übergeben, die diese aber auch übernehmen müssen.

heute.de: Der Kirchentag will auch aktuelle Themen, wie etwa die Flüchtlingspolitik, diskutieren. War es richtig, die AfD davon auszuschließen?

Weisner: Die Religionsfreiheit ist ein wesentliches Element unseres Staatsverständnisses. Wenn eine neue Partei das so massiv und aggressiv in Frage stellt, dann kann sie kein seriöser Gesprächspartner sein. Die aktuellen Herausforderungen, vor denen die europäische Staatengemeinschaft, das viel beschworene "christliche Abendland" steht, sind immens. Die Christlichkeit des Abendlandes kann aber nur mit christlichen Werten erhalten werden, und dazu gehören Nächstenliebe und Gastfreundschaft, gerade auch gegenüber Fremden. Eine Abschottung, wie sie manche Kräfte befürworten, ist weder verantwortbar noch dauerhaft realisierbar. Denn das eigentliche Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern die Kriege, Krisen und Nöten, die Millionen Menschen zur Flucht zwingen.

heute.de: Genau diese Krisen und Nöte machen vielen Menschen Angst.

Weisner: Alle Religionen sehe ich jetzt sehr gefordert, in der Not zu helfen, unberechtigte Ängste zu nehmen und sich nicht für politische und wirtschaftliche Interessen instrumentalisieren zu lassen. Ich hoffe, dass die Menschen, die aus einem von der AfD geschürten Angstgefühl diese Partei aus Protest gewählt haben, hier in Leipzig glaubwürdige Antworten auf ihre berechtigten Fragen erhalten werden. Als Christinnen und Christen in Europa haben wir eine besondere Verantwortung, bestehende Ängste zu überwinden, die neuen Aufgaben als Chancen für unseren Kontinent zu erkennen und gemeinsam mit allen Menschen guten Willens zu handeln.

Zur Person: Christian Weisner
Christian Weisner gehört zum Bundesteam der Reformbewegung "Wir sind Kirche". Die Katholiken fordern eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das bedeutet für sie: volle Gleichberechtigung der Frauen in allen kirchlichen Ämtern, keine Bindung des Priesteramtes an den Zölibat, eine positive Bewertung der Sexualität. "Wir sind Kirche" ist mit einem eigenen Programm auf dem Kirchentag vertreten.

http://www.heute.de/reformer-wir-sind-kirche-wuenschen-sich-frischen-wind-fuer-katholische-kirche-auf-katholikentag-in-leipzig-43634434.html

Zuletzt geändert am 25­.05.2016