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Veröffentlicht am 10­.06.2016

10.6.2016 - Publik-Forum 11/2016

Klare Kante, neue Hoffnung

Nachdenklich und politisch: Der Katholikentag in Leipzig setzte Maßstäbe – auch wenn Fragen offen bleiben

Manchmal gibt es im Fußball das Phänomen, dass eine Mannschaft vor fremdem Publikum sich mehr zutraut als vor heimischer Kulisse. Für den Katholikentag im säkularisierten Leipzig, wo sich nur zwanzig Prozent der 500 000 Einwohner zum Christentum bekennen und vier Prozent katholisch sind, trifft diese Beobachtung in mehrerer Hinsicht zu. Es war ein atmosphärisch wie thematisch dichtes Treffen – im Fußball würde man sagen: eine geschlossene Mannschaftsleistung – mit klaren Schwerpunkten. Entschieden verteidigt wurden die europäische Idee und eine humane, gastfreundliche Haltung gegenüber Flüchtlingen. Obwohl zum Auftakt etliche Journalisten dem Katholikentreffen vorwarfen, es drücke sich um eine Auseinandersetzung mit der AfD, konnte man das in programmatischer Hinsicht gerade nicht behaupten. Akribisch arbeiteten sich etliche Podien am Parteiprogramm ab. Und auf die Frage, warum keine AfD-Politiker auf der Bühne zu sehen waren, ist mit der Gegenfrage zu antworten: Warum sollte man auf einem Christentreffen jenen eine Bühne bieten, die Angst schüren und Wut verkündigen? Die Nichteinladung war ein klares Zeichen nach außen, das nicht mit Feigheit oder Gesprächsverweigerung gleichzusetzen ist (siehe Seite 30). Interessant auch, dass AfD-Vize Alexander Gauland postwendend die strategische Annäherung an die Kirchen für beendet erklärte. Seine Partei verteidige nicht »das Christentum im religiösen Sinn«, sondern kämpfe für »das von den Vätern Ererbte«, erklärte er. Das Christentum sei dafür »nur eine Metapher«. Manchmal schafft eine »klare Kante« eben auch Klarheit – auf beiden Seiten.

Ein Katholikentag, den man mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung vergleichen kann, erweckt Argwohn. Von einem erwartbaren katholischen Selbstgespräch war die Rede, von einer Harmoniefalle bei der Auswahl der Diskutanten und davon, dass man sich der Verunsicherung nicht aussetzen wolle, nach dem Motto: »Da gucken wir jetzt aber nicht hin.« Natürlich hätte der streitbare und kritische muslimische Theologe Ednan Aslan dem harmonischen Islam-Podium gutgetan. Aber wenn er kurzfristig absagt, ist dies nicht die Schuld der Veranstalter. Bei innerkichlichen Streitfragen muss man feststellen, dass etliche Forderungen »von unten« in der Mitte des Gottesvolkes angekommen sind und daher nicht mehr so schroff und ausgrenzend diskutiert werden. Etwa der Diakonat der Frau. Oder das Reizthema Sexualität: Wer einer sexuellen Minderheit angehört, muss auch auf einem Katholikentag nicht mehr das Gefühl haben, dass man ihm oder ihr in einer kalten Schreibtischmoral erklärt, was richtig ist. So diskutierte der schwule CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann lebhaft mit dem Moraltheologen Thomas Bormann und Manuela Sabozin vom Netzwerk katholischer Lesben. Harmoniesoße? Selbstgespräch? Und wenn das sonst übliche Lamento einiger Bischöfe fehlt, wonach der Katholikentag eine glaubensverdunkelnde, beliebige und nicht ernst zu nehmende Veranstaltung sei, ist das kein Schaden. Hier machte sich der Franziskus-Effekt bemerkbar. Der Papst schaffte es mit seiner Videobotschaft sogar auf die Titelseite der Leipziger Volkszeitung: »Papst-Botschaft für Leipzig: Gebt der Stimme der Armen mehr Raum«. Seine Steilvorlage hätte man noch weiter konkretisieren können. Bei den Veranstaltungen des Katholikentags plus,der von der Leserinitiative Publik Forum und der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche jenseits des offiziellen Programms organisiert wurde, gab es genau darüber pointierte Diskussionen.

»Nur ein schönes Fest reicht nicht aus«

Nachdenklich stimmt, dass etliche hochkarätig besetzte politische Podien in halbleeren Hallen stattfanden. Es hatte etwas Gespenstisches, dass Bundespräsident Joachim Gauck, Arbeitsministerin Andrea Nahles oder Innenminister Thomas de Maizière quasi ohne Resonanz ihre Politik darstellen und rechtfertigen konnten. Es mag sein, dass es einen Überdruss gibt, Politikern zuzuhören. Doch der Evangelische Kirchentag vergangenes Jahr in Stuttgart hat vorgemacht, wie man aus solchen Treffen Funken schlagen kann, wenn man zum Beispiel die Vorstellungen Gaucks mit den Visionen des Soziologen Hartmut Rosa zusammenbringt. Dieses brillante Streitgespräch wurde bis in die Feuilletons der Zeitungen hinein wahrgenommen. Die Parallelveranstaltungen sind ein weiteres Problem. Aber man muss sich doch wundern, wenn die Frage, ob eine Laizität nach französischem Modell – also eine viel weitreichendere Trennung von Staat und Kirche – die bessere Staatsform sei, um angemessen auf eine religiös zersplitterte Gesellschaft zu reagieren, in einem fast leeren Saal diskutiert wird. Andererseits war es fast unmöglich, eine Kabarettveranstaltung oder ein Podium mit Anselm Grün zu besuchen. »Nur ein schönes Fest zu feiern, reicht nicht aus«, formulierte ZdK-Präsident Thomas Sternberg prophetisch.

Glücklicherweise wird die Theologie wieder munterer. Intellektuell und theologisch brillant war beispielsweise eine von der Kirchenvolksbewegung organisierte Diskussion zwischen dem auch in konservativen Kreisen angesehenen Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf und dem Dogmatiker Hermann Häring, einem Vordenker der Kirchenvolksbewegung. Wolf zitierte zuerst genüsslich Passagen aus einem jüngst von der internationalen Theologenkommission unter Kardinal Gerhard Ludwig Müller verabschiedeten Dokument, wonach eine Lehre nicht katholisch sein kann, wenn sie nicht vom Gottesvolk rezipiert wird. Wie er diese und ähnliche Aussagen in Kontrast setzte zu dem geltenden kirchlichen Gesetzbuch, hatte auch für Nichttheologen hohen Unterhaltungs- und Erkenntniswert. Wer danach immer noch der Meinung war, dass es ewige und unveränderliche Wahrheiten gibt, steht theologisch auf verlorenem Posten. Vom Katholikentag müsse mehr »Power« ausgehen, etwa klare Beschlüsse, forderte Wolf und ermutigte Karin Kortmann vom ZdK, bei der wieder aufgenommenen Diskussion zum Frauendiakonat beharrlich und präzise nachzufragen. »Aber schreiben Sie auf Spanisch, damit man nicht auf eine Übersetzung angewiesen ist.« Am Ende trennten Häring und Wolf nicht viel mehr als unterschiedliche Empfehlungen in der Frage, wie man Reformen in der Kirche vorantreibt. Während Wolf empfahl, nicht gleich ganze Bäume ins Feuer zu werfen, sondern aus dem jetzt vorhandenen theologischen »Kleinholz« ein nachhaltiges Feuer zu entfachen, meinte Häring: Es sei ja nicht die Schuld der Reformtheologen, dass man Bäume ins Feuer werfen müsse, die »jahrzehntelang im Wald der Konservativen gewachsen« seien. Wichtig ist, dass bald die rechtlichen Bestimmungen geändert werden. Sonst wird das Franziskus-Projekt als »Mogelpackung« wahrgenommen, das nur für gute Stimmung sorgen, sonst aber alles beim Alten lassen will. Sollte dies tatsächlich seine Absicht sein, wird sie am neu gestärkten Selbstbewusstsein der Laien, das in Leipzig immer wieder aufblitzte, scheitern. Zumindest langfristig. Man sollte daher den Optimismus, der durch den Franziskus-Effekt entstanden ist, nicht schlechtreden. Die »Leipziger Disputatio« zwischen dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und dem Bischofskonferenzvorsitzenden Reinhard Marx (siehe Online-Tagebuch auf Publik-Forum.de, dort auch weitere Berichte) zeigte, wie wichtig wohlwollende Atmosphäre ist: Jenseits der konfessionellen Unterschiede wissen die beiden genau, dass es darum geht, gemeinsam und auf neue Weise die Gottesfrage in den Diskurs zu bringen: politisch, philosophisch, ethisch und ästhetisch.

Doch wie könnte dies aussehen? Eine prominente Veranstaltung unter dem Motto »Ich glaub nix, mir fehlt nix« offenbarte vor allem Ratlosigkeit. Es ist schwer, dem religiösen Desinteresse und dem Agnostizismus zu begegnen. Warum nicht einfach mit dem Rezept von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow? Man solle die Kirchen an ihren Taten messen, sagte er und zeigte auf, warum das Christentum etwas ist, was man gut gebrauchen kann, obwohl man meint, es nicht zu brauchen. »Wären die Kirchen nach dem Massaker am Gutenberg-Gymnasium nicht offen gewesen, hätten wir keine Chance gehabt, die wunden Seelen zu berühren.«

Eine Kirche, die für andere da sein will

Ein offene Frage ist, wie man sich ästhetisch präsentieren will, wenn man – was absolut richtig war – eine christliche Großveranstaltung in der Diaspora ausrichtet. Müssen es immer die gleichen langweiligen Multifunktionszelte sein, die man auf jedem Stadtfest sieht? Die Vielfalt der Spiritualitäten lässt sich origineller ausdrücken als in einer Zeltstraße, in der jedes Bistum mehr oder weniger das Gleiche präsentiert. Die »Off-Church-Projekte« hatten dagegen etwas Überraschendes. Auf einer Kanzel etwas Gutes sagen. Oder in einen Raum eintreten, der an einen Beichtstuhl erinnerte, um dort mit einem unbekannten Menschen in Kontakt zu treten. Das sollte man weiter ausbauen. Ob der Katholikentag missionarisch in die Stadt hineingewirkt hat, kann man bezweifeln. Ohne Zweifel jedoch war das Leipziger Treffen wichtig für eine Kirche, die auf der Höhe der Zeit versucht, ihre Stimme einzubringen, und sich dabei neu erfährt – als eine Kirche, die für andere da sein will.

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Zuletzt geändert am 10­.06.2016